Die Serie beginnt mit dem Fund der Leiche der 16-jährigen Schülerin Laura Palmer, die gewaltsam umgebracht wurde. Der Mord wird vom jungen engagierten und lebensbejahenden FBI-Agent Dale Cooper zusammen mit dem örtlichen Sheriff Harry Truman untersucht. Im Laufe der Ermittlung entpuppt sich, dass viele Einwohner ein Motiv besessen haben und es kommen noch viele weitere mysteriöse und erschreckende Ereignisse ans Licht…
„Twin Peaks“ besticht sowohl durch seine vielfältige Charaktergestaltung, man kann die Dorfgemeinde wohl eindeutig als Zentrale aller durchgeknallten Figuren des Lynch’schen Kosmos bezeichnen, seinen trotz des dramatischen Grundtenors sehr humorvollen Inszenierung, einer hervorragenden Darstellerriege und, natürlich, dem grandiosen Score von Lynchs langjährigem Weggefährten Angelo Badalamenti, der aus dem Jazz kommt, welches man seinem Soundtrack auch von vorne bis hinten anmerkt. Manchmal etwas sperrig, oft aber auch sehr gefühlvoll und hochemotional. Mit „Falling“ hat er ein Grundmotiv geschaffen, welches sich durch die gesamte Serie und den Film zieht.
Folgend sollen sowohl der Film, als auch die insgesamt 3 Staffeln betrachtet werden, die allesamt als Klassiker in die analen der Fernseh-Geschichte eingegangen sind.
– Staffel 1 –
Aus der Idee eine Soap-Opera mit Crime- und Thriller-Elementen zu verbinden, entstand Ende der 80er der Pilot zur Serie Twin Peaks. Ein schwerer, dunkler Pilotfilm, der in seinen 90 Minuten fast ausschließlich Trauer, Leid und ähnlich dunkle Emotionen beinhaltet und dennoch enorm gut ankam – und zwar weil er geradezu in Perfektion die Kunst des Anteaserns beherrscht. Die Figuren in dieser verschlafenen Kleinstadt zeigen ein Gesicht, was durch die Bank weg den Eindruck einer Maske erweckt und hinter der etwas unbekanntes, andersartiges schlummert. Die offensichtlichen Ereignisse scheinen glatt und normal, wäre da nicht dieser klitzekleine Zweifel an den sichtbaren Fassaden der amerikanischen Bürgerlichkeit. Und nachdem all dies bereits eine Weile Raum zur Entfaltung dieser neuartigen, mysteriös fesselnden Atmosphäre hatte, erscheint zuguterletzt, wie vom anderen Stern über den Dingen schwebend, jedoch ohne die Bodenhaftung verloren zu haben, eine der vielleicht interessantesten Figuren der Seriengeschichte: Special Agent Dale Cooper.
Was sich im Folgenden entspinnt, ist ein Amalgam der Stile: Eine Krimi-Geschichte, deren Krimianteil nicht unwichtiger sein könnte, ein bitteres Gesellschafts- und Familiendrama, sowie eine mysteriöses, ins Surreale driftendes Fantasy- und Horror-Hybrid. Reichlich Soap-Opera steckt auch noch drin. Die Summe dieser Teile entwirft eine damals (wie heute) vollkommen eigensinnige Welt und so geht Season #1 von Twin Peaks problemlos als absolutes atmosphärisches Meisterwerk durch. Der Anstoß der Handlung, ein unerwarteter Mord an der jungen Laura Palmer, welcher eine tiefe Furche in die heil-geglaubte Idylle gesellschaftlicher Sicherheit kratzt und die Bewohner der Stadt zutiefst schockiert, bringt nur die sprichwörtliche Lawine ins rollen. Zunächst als Fremdkörper in der konstanten Normalität empfunden, ist das Ereignis in Wahrheit der letzte Tropfen, der ein Fass voll aufgestauter Lügen und Falschheit zum flutartigen Überlaufen bringt. Und da das undefinierbare, das hässliche Etwas unter der Oberfläche nun erstmalig sichtbar war, entwickelt sich schnell ein unberechenbarer Strom, der die verschrecken Seelen des kleinen Ortes zwischen den Berggipfeln mitreißt, ohne eine frühe Ahnung zu geben, an welchem seltsamen Ort sie landen werden.
Ausschlaggebend für die einhellige Meinung, dass Twin Peaks die damalige TV-Landschaft nachhaltig veränderte und den Grundstein für Mystery-TV vom Schlage Akte X und Co. legte, ist wohl die Art wie Lynch und Frost seriell erzählen. Wie sie die übergeordnete Geschichte mit zahlreichen Subplots verweben, die nie für sich existieren können, sondern durchweg zum großen Ganzen beitragen; dem Erschaffen einer vollkommen eigenen, in sich so geschlossen wie logischen Welt. Wie vielschichtig und komplex sich diese im Ganzen gestaltet, verdeutlicht wohl am besten die Schwierigkeit (und bereits Monate vor mir her geschobene Aufgabe) diesen Text zur Serie zu verfassen. Das Resultat der Reflektion von Twin Peaks, sind einzelne Notizen, angefangene Absätze, die jeweils genau einen Aspekt des Inhalts behandeln, sowie unzählige wieder verworfene Segmente, die aus der gefühlten Unfähigkeit heraus, diesem Werk in Worten gerecht zu werden, ihm einfach nicht gewachsen zu sein und daher immer wieder ihren Weg in den digitalen Papierkorb fanden. Die Größe des hier geschaffenen Universums können auch 10.000 Worte nicht wirklich erfassen.
Ohne lange Eingewöhnungs- oder Kennenlernphasen ermöglicht das zeitweise hochspannende Drehbuch einen direkten Zugang zu den vielfältigen Figuren und ihren ereignissreichen Mikrokosmen. Diese Menschen schließt man schnell ins Herz und ihr Schicksal ist somit alles andere als egal. Der Ideenreichtum quillt förmlich über, Erklärungs-Zwang herrscht nicht – Lynch und Frost wissen genau, welche Mysterien sie im Dunkeln lassen können, um die schwer greifbare, besondere Stimmung aufrecht zu erhalten. Dinge sind einfach wie sie sind, nicht alles muss ausformuliert sein, so dass die “Lynchige” Skurrilität nicht zu kurz kommt. Wenn beispielsweise aus Agent Cooper’s höchst unkonventionellen Ermittlungsmethoden – Traumvisionen, Reminiszenz an tibetische Solidarität und gezielte Steinwürfe liefern Indizien, die sprechende Vögel als Zeugen eines Verbrechens liefern – eine seltsame Kraft entwächst, die offene Fäden in Zusammenhang bringt und so Ort und Zeit der Tat gegen Laura immer weiter eingegrenzt, ist das immer so sehr mit dem nötigen Humor inszeniert, dass man kaum genug von dieser Person und ihrer schrullig-seltsamen Art bekommen kann. Und auch abseits von Zugpferd Agent Cooper bleibt Twin Peaks in dynamischer Bewegung, Figuren entwickeln sich, wachsen, haben Geheimnisse, Bedürfnisse und Wünsche.
Figuren, Atmosphäre und Plot fügen allesamt kleine Mosaik-Steinchen zum Ganzen hinzu. Obwohl bei all den Komplotts, Liebeleien und Intrigen der Kriminalfall immer der Hauptplot bleibt, tragen all die kleineren Mysterien um einzelne Figuren gleichwertig dazu bei, das Interesse aufrecht zu erhalten. Wer hat welchen Dreck am stecken, wie hängen Figur X und Y zusammen, welche Betrügereien erwarten Figur Z? Nur weniges Plotlines, wie beispielsweise eine Intrige um Erbschleicherei und -betrug, fallen etwas ab, weil sie tatsächlich völlig für sich stehen, als sich jedoch nach und nach eröffnet, wie sämtliche Handlungsstränge den zentralen Punkt des Mordes an Laura umkreisen, die Schlinge um dessen Aufklärung also aus verschiedensten Richtungen und über verschiedenste Theorien immer fester angezogen wird, fällt es wie Schuppen von den Augen, welch ein geniales inhaltliches Konstrukt uns Lynch und Frost hier vorgesetzt haben.
Twin Peaks, dieses verschlafene Nest, voller irrer Geschichten, mysteriösen Menschen und leckerem Kaffee als auch Kirachkuchen, ist ein besonderer Ort, einer, den man immer wieder besuchen kann und will, weil die Erlebnisse dort alles andere als gewöhnlich sind. Nach all dem Lob also noch einmal auf den Punkt: Diese erste Staffel ist wohl (fast) makellos, etwas einzigartig Besonderes und wahrscheinlich auch der direkte Höhepunkt der Serie – die vom Sender aufgezwungene, von Lynch und Frost jedoch nie geplante Enthüllung des Mörders in der Season #2, zwang auch derartige Genies mit dem Rücken an die Wand – doch dazu gleich mehr.
Fazit: Die erste Staffel von Twin Peaks ist Lynchs geheimes Meisterwerk – großartige Charaktere, eine dermaßen skurrile Inszenierung, dass Situationskomik nicht ausbleibt und natürlich Special Agent Dale Cooper und sein heißgeliebter Kaffee! Für alle, die eine unglaubliche Symbiose aus Bildern und Musik zu schätzen wissen und die bereit sind sich von gängigen Sehgewohnheiten zu verabschieden.
Folgen-/Wertungsübersicht:
- Das Geheimnis von Twin Peaks (Pilot) – 10/10*
- Spuren ins Nichts – 9,5/10
- Zen, oder die Kunst, einen Mörder zu fassen – 10/10*
- Ruhe in Unfrieden – 9,0/10
- Der Einarmige – 8,5/10
- Coopers Träume – 9,0/10*
- Zeit des Erkennens – 9,0/10
- Der letzte Abend – 9,5/10
Gesamt: 9,3/10
– Staffel 2 –
Je kreativer, eigensinniger und freigeistiger ein Künstler oder Filmemacher seine Werke gestaltet, desto stärker macht es sich bemerkbar wenn ihm von außen reingepfuscht wird – ein so sorgsam ausgeklügeltes System wie Twin Peaks, getragen von faszinierenden Mystery-Aspekten, skurrilen Figuren und einer ganz eigenen Dynamik im Umgang mit Genres, welche das Gesamtwerk als Einheit zusammenhielt, sollte der künstliche Eingriff durch ängstliche Produzenten für kurze Zeit sogar völlig zu Fall bringen. Wie auch sonst, denn einem Format, welches sich zuvor primär über die eigenen kauzigen Figuren, sowie eine besondere, aus einer dunklen Wolke der Ungewissheit über dem kleinen Städtchen speisende Atmosphäre definierte, entgegen der ursprünglichen Intention seiner zwei Macher, notgedrungen die vollständige Aufklärung des behandelten Mordfalles aufzuzwingen – die essentielle Grundstimmung also gewaltvoll zu zerstören, weil besagte dunkle Wolke sich leider mit einem Knall in Luft auflöst – musste sich zwangsweise auf die Qualität des Endresultates auswirken. Es bleiben nur noch die Figuren, Twin Peaks wurde eines seiner zwei Standbeine amputiert und das fällt arg ins Gewicht – orientiert man sich am Ablauf der insgesamt 22 Episoden, lassen sich diese fast perfekt in drei eigenständige Segmente von ähnlicher Länge, aber maßgeblich unterschiedlicher Qualität einteilen.
Auf dem Piloten und die folgenden acht Episoden trifft, mit kleineren Einschränkungen, grob alles zu, was es über die erste Staffel zu berichten gab – auch weil der Einfluss von David Lynch noch sehr stark spürbar ist. Die ganze Erzählung durchzieht eine beklemmende, leicht entrückte Stimmung, Agent Cooper läuft zur Höchstform auf, steht mit einem Bein in der realen Welt, mit dem anderen jedoch in den geheimnisvollen Tiefen seiner eigenen surrealen Träume und Visionen und die meisten der mittlerweile recht zahlreichen Nebenhandlungen tragen immer noch – mal mehr, mal weniger stark – etwas zu der alles überschattenden Suche nach Laura’s Mörder bei. Insgesamt stimmt vor allem die unbeschreibliche Grundstimmung, welche erneut auf den Punkt getroffen wurde und das von (eigentlich unvereinbaren) Spannungen durchzogene Grundgerüst der Serie – irgendwo zwischen kauzigem Humor, forderndem Horror und einer gewissen Leichtigkeit – nahtlos fortsetzt. All dies passt sicher auch, weil dieses (inoffizielle) erste Segment der Staffel sowohl von einer Lynch-Episode eröffnet, wie auch beendet wird – der Meister des Spiels mit der Wahrnehmung rahmt die Ereignisse sozusagen. Einarmige mit verrückten Visionen, beängstigend-wahnsinnige Tanz-Einlagen, alte Kellner mit tiefsinnigen Ratschlägen, Eulen in der Nacht, ein schrecklicher Mann im Spiegel – der Lynch-Fan ist vor entzücken am Jauchzen.
In diesen Episoden begegnen uns immer wieder Momente, wie sie nur Lynch selbst erschaffen kann – Cooper bekommt in Traumsequenzen Hinweise von Riesen, driftet während Konzerten in entrückte Wahrnehmung-Sphären ab, die ihn wichtige Schlüsse ziehen lassen, eine die Realität transzendierende Komponente ist auf eine so selbstverständlich Art die Serie eingeflochten, dass es keinerlei weiterer Erklärung bedarf – so funktioniert dieser über den Dingen schwebende FBI-Agent nun mal und das ist auch gut so. Es könnte ewig so weiter gehen. Doch das tut es nicht – nachdem dann jedoch in einem furios inszenierten Mini-Finale “endlich” Licht ins Dunkel gelangt ist, bricht Twin Peaks fast völlig in sich zusammen.
Über ein viel zu langes Fenster von mindestens vier, vielleicht sogar sechs Episoden fallen zahlreiche Aspekte zusammen, die die Qualität enorm nach unten drücken. Am gravierendsten ist dabei wohl, dass die Serie nicht mehr länger den Eindruck erweckt sie wisse selbst was sie überhaupt erzählen will. Lynch und Frost hatten sich zunehmend – auch aufgrund des Ärgers über die zuvor erzwungene Auflösung – aus der Produktion zurückgezogen und anderen Autoren das Feld überlassen. Was diese jedoch aus dem Setting herausholen ist maximal Mittelmaß.
Da wird versucht, Cooper als neuen Bürger von Twin Peaks in Angler-Weste und Karohemd zu etablieren und über Ermittlungen der Dienstaufsicht gegen ihn unter Druck zu setzen, James verlässt die Stadt, um eine Liebelei mit einer unbekannten Frau anzufangen, welche in Intrigen und Herzschmerz endet, ein müder Rivalen-Zwist zweier alter Männer wird zum relevanten Plot-Point erhoben, totgeglaubte Figuren tauchen als Chinese verkleidet wieder in der Stadt auf, die vorher schon überflüssige Figur Nadine will plötzlich wieder zur Schule gehen, ein albernes Wettbuhlen zwischen zwei möglichen werdenden Vätern (von Lucy’s Kind), dreht den Klamauk-Level in den roten Bereich und all das schafft nicht mehr, als ein müdes Schmunzeln zu entlocken. Aber wo ist der Sog? Wo ist der unbeschreibliche Charme? Und wo ist vor allem die inhärente Creepiness, die uns stetig bewusst machte, hier nur Fassaden zu sehen, unter denen etwas dunkles schlummert?
Interessant ist, von den mindestens zehn neuen Subplots – und das klingt nun sehr hart – zündet leider gar keiner. Wären die zahlreichen Darsteller an diesem Punkt nicht bereits bis ins Letzte mit ihren Figuren verschmolzen (woraus durchweg gelungene Performances resultieren), gäbe es wahrlich nichts mehr, was überhaupt noch zum weiterschauen motivieren würde. Man wird das Gefühl nicht los, dass die Autoren und Regisseure, welche hier nun am Werk sind, um das untergehende Boot zu flicken, nicht einmal wirklich verstanden haben was die Serie im Vorfeld so großartig gemacht hatte.
Was machte Twin Peaks aus? Es waren nicht Klischees, sondern das elegante Spiel mit ihnen, es war kein Klamauk, sondern ein schräger Humor der daraus entwuchs, dass Elemente aus ihrem natürlichen Umfeld gerissen und in ein neues überführt wurden, es waren nicht die isolierten Erlebnisse der Figuren, sondern ihre gemeinsame Interaktion und ihr Miteinander. Plötzlich liegt kein brechendes Spiel mit den Charakteristiken einer Seifenoper mehr vor, sondern Twin Peaks ist diese Seifenoper. Plötzlich sollen wir über plumpe Slapstick-Gags lachen, nicht mehr über absurde Ereignisse. Und so weiter. Ein transsexueller David Duchovny, ein schwerhöriger David Lynch und einen Bürgerkrieg spielender Ben Horne, sind über weite Strecken fast der einzige Lichtblick.
Dies blieb nicht folgenlos – Kritiken und Zuschauer-Resonanz machten den Verantwortlichen damals schnell klar, das es so nicht weitergehen kann. Doch anstatt sich auf die Kernaspekte zurück zu besinnen (und vielleicht mit Lynch und Frost wieder ins Reine zu kommen), beschloss man den schon geplanten Stoff für eine ursprünglich gewünschte dritte Staffel ans Ende der zweiten zu quetschen und Twin Peaks danach abzusetzen. Dies leitet den letzten Abschnitt ein.
Als sich der Inhalt zunehmend stärker auf einen Psychopathen aus Cooper’s Vergangenheit konzentriert, der aus dem Nichts erscheint und in der Stadt sein Unwesen zutreiben scheint, ziehen Stimmung und Charakter der Serie wieder an, auch wenn (vom unglaublichen Serien-Finale abgesehen, welches David Lynch endlich wieder inszenierte) nie wieder gänzlich an die Qualität der guten Tage angeschlossen wird. Es wird wieder mystischer, beklemmender, düsterer und endlich scheint für die Bewohner der Kleinstadt wieder etwas auf dem Spiel zu stehen – Windom Earle beginnt aus dem Hintergrund die Fäden zu ziehen, blutige Morde zu begehen und uns erschließt sich langsam, das all dies nur von Cooper mit seinen außergewöhnlichen Methoden gelöst werden kann, weil hier mehr Faktoren eine Rolle spielen, als ein psychopathischen Killer. Geheime Regierungsprojekte, rätselhafte Höhlen und indianische Mythen sind nur ein kleiner Teil eines großen Ganzen.
Gipfeln tut dieser letzte Handlungsstrang – und das entschädigt tatsächlich für einiges – in einer Dreiviertelstunde, die wohl zu dem Besten gehört was David Lynch in seiner Karriere inszeniert hat. In einem verdrehten Spiel mit Realität, Mythologie und Wahrnehmung schickt er Agent Cooper auf die Jagd nach Earle – zwischen den Zeilen aber wohl eher nach einer tieferen Erkenntnis über sich selbst und die Beschaffenheit der Welt – lässt ihn tief in Abgründe eintauchen und zu guter Letzt vor allem das eigene Ich in allen seinen Facetten konfrontieren. Purer Wahnsinn, der Kaffee versteinert. Sind diese Geschehnisse erklärbar? Schließen sie tatsächlich eine Handlung ab? Sind diese Fragen überhaupt relevant?
Sie sind es nicht, denn Lynch verkaufte uns nie primär Geschichten, sondern immer Erfahrungen – und dies ist vielleicht eine der pursten und reinsten, die er je auf den Schirm brachte. Sein Kino ist im besten Fall immer die Reise in eine Psyche – in seine, in die eigene, in die des kollektiven Geistes – und der Versuch erfahrbar zu machen, wie es sich anfühlen könnte, in den Tiefen des Geistes die Richtung zu verlieren, sich zu verlaufen ohne den dringend nötigen Ausweg zu finden. Diese letzte halbe Stunde bringt es auf der Gefühlsebene perfekt auf den Punkt – verloren in obskuren Stimmungen und Eindrücken, geplagt von den Geistern der Vergangenheit und Zukunft. Hilflos. Gefangen im Wahn.
Und so entlässt die zweite Staffel dieser revolutionären TV-Serie (deren Einfluss und Einzigartigkeit diese Kritik in keinem Fall schmälern soll) auf einer versöhnliche Note. Einer Note, die uns zeigt dass die vorhergehenden zehn Episoden noch um Welten hätten besser sein können, wenn es hinter den Kulissen anders gelaufen wäre. Aber das ist das nun mal nicht. Und so endet Twin Peaks anstatt im Sande zu versickern wenigstens noch mit einem lauten Knall, der einen umhaut und sprachlos in den Sessel presst.
Fazit: Nachdem David Lynch und Mark Frost mit der ersten Staffel Twin Peaks Fernsehgeschichte geschrieben haben, hat die zweite Staffel aufgrund diverser kreativer Differenzen und der Abstinenz der beiden brillanten Köpfe im Mittelteil der zweiten Staffel einen deutlichen Qualitätsabfall zu beklagen, findet aber zum Ende hin, wieder fast zur gewohnten Stärke zurück. In Zahlen ausgedrückt: Folgen 1-9 Durchschnittwertung 9,2/10, Folgen 10-19 „gnädige“ 7,4/10 und die finalen 4 Folgen im Durchschnitt 8,8/10.
Folgen-/Wertungsübersicht:
- Der Riese sei mit dir – 9,5/10*
- Koma – 9,0/10*
- Der Mann hinter Glas – 8,5/10
- Lauras geheimes Tagebuch – 8,5/10
- Der Fluch der Orchideen – 9,0/10
- Dämonen – 9,0/10
- Einsame Seelen – 10/10*
- Spazierfahrt mit einer Toten – 9,0/10
- Selbstjustiz – 10/10
- Brudertwist – 8,0/10
- Maskenball – 7,5/10
- Die schwarze Witwe – 7,0/10
- Schachmatt – 7,5/10
- Doppelspiel – 7,5/10
- Sklaven und Meister – 7,0/10
- Die Verdammte – 7,5/10
- Wunden und Narben – 7,0/10
- Auf den Schwingen der Liebe – 8,0/10
- Beziehungsvariationen – 8,0/10
- Der Weg zur schwarzen Hütte – 8,0/10
- Jenseits von Leben und Tod (1) – 9,0/10
- Jenseits von Leben und Tod (2) – 9,5/10*
Gesamt: 8,4/10
Twin Peaks – Der Film (OT: Fire walk with me)
Nachdem die Handlung der Serie Twin Peaks mit dem Finale der zweiten Staffel ein unerhörtes vorläufiges Ende fand, war innerhalb der Fangemeinde das Verlangen nach Antworten groß. David Lynch reagierte auf diese Nachfrage auf seine ganz eigene Weise.
Ein explodierender Fernseher weist früh den Weg und zeigt an, welche Richtung hier eingeschlagen werden soll. Weg von den Konventionen des von Lynch verhassten Mediums Fernsehen, hin zu mehr künstlerischer Freiheit, besserer visueller Qualität und weniger abgenötigten Konzessionsentscheidungen. Als wolle Lynch gleich zu Beginn nachdrücklich klar machen, das die natürlich latent abgründige, aber letztendlich doch schrullige, herzliche Note der (Fernseh-)Serie hier in Lynchs Kinofilm keinen Platz finden wird.
Sichtlich unzufrieden mit den Produktionsbedingungen und Entwicklungen der zweiten Staffel seiner Serie und ihrem letztendlich unbefriedigendem Aus wollte Lynch wohl nicht so schnell mit dem Projekt abschließen und knallte nun den Twin Peaks Anhängern das Prequel Twin Peaks – Fire walk with me vor den Latz. Dieser erinnert in seiner konsequent düsteren, verstörenden Atmosphäre viel mehr an seine späteren, in L.A. angesiedelten Nightmare-Noirs, als an die letztlich doch vergleichsweise liebevollen Serie.
Lynch möchte zudem keineswegs auf für jedermann befriedigende Weise Antworten liefern oder Rätsel decodieren, sondern das qualvolle Martyrium von Laura Palmer insbesondere sensorisch und im Unterbewusstsein des Publikums nachfühlbar werden lassen. Und genau das gelingt Lynch wiederum auf meisterhafte Art und Weise.
Zwischen dem lynchtypisch grausig-schauderhaftem Sounddesign, das sich regelrecht ins Mark brennt, den suggestiven Alptraumwelten und extremen menschlichen Abgründen entführt Lynch seine Protagonistin wie die Zuschauer in eine dunkle Zwischenwelt, die immer mehr dem Tode zugerichtet ist.
Nach leicht trügerischen ersten 30-Minuten im „Anti-Twin Peaks“ Dear Meadow, in dem die Bewohner im Vergleich zur Serie nicht mal mehr oberflächlich herzlich oder sympathisch anmuten, sondern viel mehr extrovertiert, abweisend und feindselig daherkommen, befasst sich Lynch die restliche Laufzeit beinah ausschließlich mit dem Leiden Laura Palmers, deren Leben sich zwischen wüsten Drogenexzessen und sexuellen Eskapaden, häuslichem Missbrauch, kompletter innerlicher Zerrissenheit und Selbstaufgabe mehr und mehr dem Ende entgegen neigt. Dementsprechend steht eine konstant beklemmende, plättende Grundatmosphäre an der Tagesordnung, wo sich stellenweise betörende Schönheit, lähmende Tragik (alleine die Szene in der Bar, wenn Julee Cruise ihren wunderbar traurigen Song performt und Laura in Tränen ausbricht) und verstörender Schrecken Hand in Hand zu einem hypnotischen Mahlstrom aus unterschiedlichsten Eindrücken und purem filmischem Ausdruck verbinden.
Gerade im Leitmotiv des Missbrauchs forscht Lynch gnadenlos herum, streut mehrmals Salz in die offenen Wunden, inszeniert das Ganze als grausamen, unbegreiflichen Akt puren Schreckens. Und findet diesbezüglich keine rationalen Antworten, kann es auch gar nicht geben, sondern sieht die Ursache für solch extreme Taten in der Existenz metaphysischer, dämonischer Schattenwesen aus einer fremden Dimension begründet, die Besitz von Menschen ergreifen und diese schließlich in ein derartiges Verderben stürzen. Erlösung findet sich schlussendlich nur im Tode. Ein unterschätztes, gar epochales Werk, indem Sheryl Lee alias Laura Palmer endlich die große Bühne bekam und es David Lynch mit einer meisterhaften Darbietung dankt.
Fazit: 30 Jahre nachdem der Prequel-Film im Kino, konnte ich ihn dieses Jahr erstmals auch im Kino sichten und war von der Atmosphäre und dem Psychogramm Lauras so fasziniert, dass ich mir die ganze Serie nochmal geben musste und ich die Mosaikstückchen viel besser zusammensetzen konnte und mich auf die surrealen Welten Lynchs besser einlassen konnte, als vor Rund 15 Jahren! Es hat sich gelohnt!
Twin Peaks – The Return (2017)
Die Enttäuschung ist in dieser Rückkehr bereits angelegt. Wie sollte sie auch je glücken, nicht? Mit Graus stellte ich mir vor, was geworden wäre, wenn man Twin Peaks einem dieser unzähligen Nachlassverwalter überlassen hätte, die Hollywood in letzter Zeit vornehmlich hervorbringt. Was wäre im Kopf eines jungen, aufstrebenden Regisseurs vorgegangen, der seinem Vorbild Lynch unbedingt gerecht werden wollte – der Stadt Twin Peaks unbedingt gerecht werden wollte? Ein neuer Mordfall? Alte Liebeleien mit alten Gesichtern wieder aufgekocht? Nein. Nein! Bitte nicht! Das würde ein paar Romantiker milde stimmen, aber würde doch niemals zu Lynch passen. Ich denke Frost/Lynch wussten um die Gefahren einer Wiederkehr, vielleicht sogar um ihre Unmöglichkeit und dennoch war es ein Herzensprojekt von beiden, nachdem sie, wie zuvor geschildert, wegen kreativer Differenzen runde 8-10 Folgen der zweiten Staffel gar nicht beteiligt waren.
Und so sei es: Auf die Anflüge heimeliger Nostalgie folgt stets die brutale Gegenbewegung, auf die Misty Mountains, die Twin Peaks sagenumwoben umschweben, folgen Bilder karger Wüsten und einer lichtverpesteten Casinostadt. Alles ist anders. Twin Peaks ist keine warme Umarmung mehr. Special Agent Dale Cooper ist nur noch eine Erinnerung, die nicht mehr erinnert werden kann, erinnert werden will. Und selbst als er plötzlich, nach einer quälend langen Wartezeit, schließlich auf der Matte steht, ist etwas anders, seine Figur auf seltsame Weise entrückt. Es ist etwas verloren gegangen 1991 und es wird nie wider zurückkehren. So wie sich „Twin Peaks“ globalisiert hat, fragmentiert sich auch Cooper. Als Dougie schlurft er langsamen Schrittes durch die Welt, verspeist weltvergessen ein Stück warmen Kuchen und trinkt eine Tasse Kaffee, erinnert sich nicht, aber richtet sich allmählich in seinem neuen bürgerlichen Dasein ein. Er macht einen zufriedenen Eindruck und man beginnt ihn vielleicht doch nicht so genervt zu betrachten, wie ich es die meiste Zeit dann doch getan habe und vermutlich von Lynch auch so beabsichtigt war. Dougie, ist indes, wie bereits angedeutet, kein Vergleich zu jenem Cooper, der in den letzten drei Episoden den tieftraurigen Schlusspunkt setzt. Kein Vergleich, wirklich. Dieser Cooper ist getrieben von der Erinnerung, getrieben von der Vorstellung, etwas zu beenden, das er vor langer Zeit einmal begonnen hat. Absolute Gänsehaut! Er muss zurück zu Laura Palmer, jenem Fall, der ihn nie losgelassen, ihn alles gekostet hat. Cooper wird zum Zeitreisenden. Durch seine Anwesenheit wird Fire walk with me metafiktiv umgedeutet. Er gräbt in den Erinnerungen einer Serie, gräbt in den Erinnerungen ihrer Zuschauerschaft, in ihren Sehnsüchten und Träumen und wird doch nicht fündig. Er kann nicht fündig werden. 18 Folgen dauert diese Suche, an deren Ende etwas so unglaublich faszinierendes passiert, dass die Stille der Nacht durchschneidet und erneut so viele Fragen aufwirft, die man glaubt vorher verstanden zu haben und die einen wohl nie mehr so ganz loslassen werden. 18 Folgen dauert diese Suche, von der wir wissen, dass es nicht darauf ankommt zu allem eine Antwort zu bekommen, rationale schon einmal gar nicht. Nachdem Lynch in den 2 Staffeln gerade mal 6 Mal Regie geführt hat und uns mit grandiosen surrealen Bildern umgehauen hat, erleben wir nun die dreifache Dosis, sprich 18 Folgen ungefilterten Lynch. Und der schert sich nicht darum, dass The Return sich stilistisch nahtlos an die alte Serie anfügt, sondern macht sein eigenes Ding. Man spürt Referenzen an alle seine früheren Werke, von Mullholland Drive und Inland Empire, bis zurück zu Eraserhead.
Ich verstehe, wenn Leute das sehr feiern oder auch abnervt, denn wenn man eine Serie Twin Peaks: The Return nennt, erwartet man erst einmal etwas völlig anderes, nämlich die Rückkehr in unsere geliebte Provinz-Kleinstadt in den Kiefernwäldern von Washington. Und dass geklärt wird, was aus unseren lieb gewonnen Charakteren geworden ist.
Die Stadt Twin Peaks spielt in der dritten Staffel wie bereits angedeutet kaum eine Rolle, mehr eine untergeordnete Rolle. Wir bekommen als Schauplätze Las Vegas und South Dakota, und neben altbekannten Charakteren jede Menge neuer Charaktere, die stilistisch für viele zum Trost dann doch ein wenig an die skurille, liebevoll-verschrobene, aber unterschwellig verstörende Atmosphäre der alten Staffeln, erinnern. Twin Peaks: The Return fühlt sich kalt und nihilistisch an und erinnert damit von allen Twin-Peaks-Werken am ehesten noch an den Film Fire Walk With Me (den man auch unbedingt gesehen haben muss, da Phillip Jeffries eine gewichtige Rolle spielt). Durch die erste Hälfte der Serie, welche mit Folge 8 in einem komplett experimentellen Eraserhead-Fiebertraum gipfelt, musste ich mich ganz schön durchkämpfen. Wo ist die Wärme? Wo sind die Gefühle, die ich mit Twin Peaks verbinde? Wo ist Angelo Badalamenti, der einem das Herz rausreist mit seinen Kompositionen?
Glücklicherweise wandelt sich die Serie nach der 8. Folge stark. Wir bekommen öfters Twin Peaks als Schauplatz, verbringen zunehmend Zeit mit unseren altbekannten Charakteren und es ist eine wahre Freude, sie wiederzusehen. Andy, Lucy, Hawk, Bobby Briggs, Margaret, Shelley, Norma, Ed, Nadine, Dr. Jacoby, Sarah Palmer, die Gebrüder Horne… Fast alle Charaktere sind wieder dabei, haben liebevolle Nebenhandlungsstränge und es ist so eine Freude, sie wieder auf der Leinwand zu sehen. Auch wie gegen Ende die Handlungen von Gordon Cole und Albert vom FBI, den Leuten in Twin Peaks und den verschiedenen, von Kyle McLachlan verkörperten Charakteren, zusammenlaufen, könnte befriedigender kaum sein. Wenn in Folge 16 die altbekannte Titelmelodie ertönt, liefen Tränen über mein Gesicht. Ich war wieder nach Twin Peaks zurückgekehrt.
Und dann kam das Finale. Folge 17 war alles, was ich von einem Twin-Peaks-Finale haben wollte. Handlungsstränge wurden zusammengeführt und gingen auf ein Ende zu, Lucy versteht Mobiltelefone, British One-Punch-Man findet seine Bestimmung und die letzten 20 Minuten sind wunderschöner Fan-Service. Ich saß vor dem Bildschirm und dachte mir: „DAS wird das Ende sein! Hammer!“. Wenn es nicht noch einige entscheidende Handlungsstränge gäbe, die nicht aufgeklärt wären, hätte Folge 17 das Ende der Staffel sein können. Der letzte Moment der Folge spiegelt in seiner tragischen Ausweglosigkeit das Ende der 2. Staffel.
Und dann kommt David Lynch und denkt sich „Fuck Y’all“ und wirft einem mit Part 18 einen verstörenden Alptraum einer letzten Folge entgegen, welche nicht nur das Gesehene komplett auf den Kopf stellt und Dutzende neue Fragen aufwirft. Herrlich, aber auch zermürbend zugleich. Die letzte Folge ist wohl der ultimative Lynch-Lackmustest. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen, die absoluten Lynch-Jünger von den Casual-Fans. Ich weiß zwar immer noch nicht, ob ich zu den Lynch-Jüngern gehöre, aber ich fand die allerletzte Szene absolut genial. Wer Lynch kennt, wusste es wird ein WTF-Ende werden oder hat ernsthaft Jemand damit gerechnet, dass die Serie ohne einen großen Wtf-Moment endet?
Folgenbewertungen
- My log has a massage for you (8,5/10)
- The Stars turn and a time presents itself. (9,0/10)
- Call for help (8,0/10)
- … brings back some memories. (8,0/10)
- Case files. (7,5/10)
- Don´t die. (7,5/10)
- There´s a body all right. (8,0/10)
- Gotta light? (8,5/10)
- This is the chair. (8,0/10)
- Laura is the one. (8,0/10)
- There´s fire where you are going. (8,5/10)
- Let´s rock. (7,5/10)
- What story is that, Charlie? (8,0/10)
- We are like the dreamer. (8,5/10)
- There´s some fear in letting go. (8,5/10)
- No knock, no doorbell. (10/10)*
- The past dictates the future. (9,5/10)
- What is your name? (9,0/10)
Gesamtwertung: 8,4/10