Black Friday For Future (OT: Une Année Difficile)
Angesichts der gegen die Klimapolitik der Industriestaaten gerichteten Proteste, die zunehmend radikalere und vielfach für Aggressionen sorgende Ausmaße annehmen, war es im Prinzip lediglich eine Frage der Zeit, bis man Umweltschutz zum Hauptmotiv eines Spielfilms erheben würde. Dank einer weiteren Sneak Preview fiel die Inaugenscheinnahme von „Black Friday For Future“ ironischerweise genau auf den Tag, den Sparfüchse als „Cyber Monday“ kennen und den Demonstranten als Höhepunkt hemmungslosen Konsums brandmarken. Unter der Leitung ebenjenes Regieduos entstanden, das 2012 in Gestalt von „Ziemlich Beste Freunde“ einen der erfolgreichsten, französischen Filme der Historie schuf, wird der ambitionierte Versuch unternommen, etwas zutiefst Unpopuläres amüsant-ironisch zu umwickeln, ohne sich tiefgreifend um die Motive zu kümmern. Aufgrund der durchaus vielversprechenden Anfangsszene erweist sich der Originaltitel sich als treffendere Wahl, da dieser vor allem Bezug auf die zunehmende, unbegründete Nörgelkultur westlicher Gesellschaften nimmt. Die wirklich witzigen, oft von Übertreibung lebenden Momente sind vor allem den Marotten der Protestgemeinschaft zu verdanken, die in leeren Wohnungen leben und sich mit Namen wie „Quinoa“ und „Kaktus“ ansprechen, während sich zwei hochverschuldete, kaufsüchtige Herren durch Zufall hinzugesellen, um auf eigene Rechnung Schadensbegrenzung zu erreichen. Ausgehend von der Reaktion des Saalpublikums beruht der Unterhaltungsfaktor größtenteils auf der überaus amüsanten Darbietung von Jonathan Cohen. Abseits von ihm liegt die Zündungsquote des gebotenen Humors und der temporeichen Wortwechsel aber maximal bei einem soliden 50/50-Verhältnis. Des Weiteren wirkt der Soundtrack aufgrund seiner enormen Vielfalt ebenfalls durchaus interessant, dennoch verliert sich auch dieser Ansatz ein Stück weit in einem unnötig süßlichen, nicht wirklich überraschenden Schlusspart. Der offizielle Kinostart wird am 21. Dezember 2023 erfolgen, doch bereits jetzt kann festgehalten werden, dass Klimaaktivismus und das Porträt letztlich vieles gemeinsam haben: Die Basalidee ist zweifelsohne allerehrenwert, die weitestgehend auf Lösungsvorschläge verzichtende, ausgedehnte Umsetzung gelingt aber alles andere als ideal.
Cat Person
Erstaunlicherweise erst seit dem Jahr 2007 stellt „Stalking“ hierzulande gemäß § 238 StGB einen empfindlich zu sanktionierenden Straftatbestand dar. Im Lichte von „Me-Too“ und der Omnipräsenz von Apps beschäftigt sich Susanna Fogel in Gestalt ihrer dritten Regiearbeit namens „Cat Person“ mit dieser auf einem Unicampus in New Jersey zentrierten Thematik, die sich vor allem in narrativer Hinsicht vom Mainstream abhebt und beleuchtet ein zunächst harmlos wirkendes Kennenlernen zwischen einer Studentin und einem Mittdreißiger. Dieses schlägt ungeahnte Wellen und übt Kritik an dem Trend, weitestgehend Unbekannte zu früh am eigenen Privatleben teilhaben zu lassen. Bei dem zugrundeliegenden Skript handelt es sich um eine Adaption einer im „New Yorker“ erschienenen Kurzgeschichte mit Gegenwartsrelevanz, auch aufgrund der mitunter recht ungeschliffenen Dialoge. Während der Anfang an eine lockerleichte Romantik-Komödie inklusive Bonmots auf männliche Liebhaberqualitäten erinnert, zeichnet sich das Werk dramaturgisch spätestens ab der zweiten Hälfte zunehmend durch Brüche, musikalische Kontraste, halluzinative Szenen, Selbstgespräche und den gesteigerten Fokus auf die kollidierenden Ansichten und Wahrnehmungen der beiden Hauptcharaktere aus. Emilia Jones erntete zuvor für ihre Darbietung in „CODA“ wohlwollende Kritiken und wird auch diesmal zur unaufgeregt agierenden Identifikationsfigur, während ihrem Verehrer erst im spannenden Finalakt erlaubt wird, sich darstellerisch zu entfalten und Isabella Rossellini bedauerlicherweise nur in drei Szenen zu sehen ist. Ironischerweise liegt die Veröffentlichung von „DogMan“ nur wenige Wochen zurück, der in vielerlei Hinsicht ein Pendant bildet. Wenngleich verschieden, gehen die beiden metaphorischen Visualisierungen der ältesten Feindschaft im Tierreich schlussendlich mit derselben soliden Wertung über die Ziellinie. Aufgrund der Machart und neofeministischer Tendenzen dürfte die Independentproduktion jedoch enorm polarisieren, überzeugt aber vor allem als Parabel dafür, dass so mancher Zeitgenosse sein wahres Gesicht erst nach einer Trennung offenbart.
Die Unschärferelation Der Liebe
„Ich fühle nicht. Ich denke.“ Mit dieser Einstellung schreitet der Metzger Alexander unspektakulär, wortkarg und routiniert durchs Leben. Margarete, mit der er im Berufsverkehr wortwörtlich zusammenstößt, sieht ebendies genau andersherum und legt zudem ADHS-ähnliche Verhaltensweisen an Tag. Die beiden Individuen, welche man neuhochdeutsch wohl als „Best-Ager“ bezeichnen könnte, sind grundverschieden und genau das bildet den erzählerischen, roten Faden in einem anderthalbstündigen Porträt mit Arthaus-Kolorit. Dass die romantisch beseelte Komödie mit sperrigem Titel auf einem britischen Bühnenwerk basiert, merkt man der Verfilmung partiell an, denn diese ist ganz auf zwei Figuren zugeschnitten und lebt von Dialogreichtum. Darum ist sie vermutlich besser für eine Theateraufführung geeignet, funktioniert jedoch auf Kinoebene phasenweise recht erfrischend. Überdies ist die Genremischung auch eine Liebeserklärung an die bunte Hauptstadt Deutschlands, die effektvoll bebildert und mit abwechslungsreichen Klängen ummantelt worden ist. Der bereits in internationalen Produktionen wie „Der Vorleser“ oder „The Crown“ in Erscheinung getretene Burghart Klaußner erinnert nicht nur mimisch-optisch an den verstorbenen Bruno Ganz, sondern liefert als Ruhepol eine ebenso souveräne Performance und man kauft ihm das Gebotene ab, während sein weiblicher Gegenpart vor Lebensfreude regelrecht übersprudelt, dass nahezu jeder Passant jedoch im realen Leben schnell Reißaus nehmen wollen würde. Speziell auf ihren ungefragt behelligenden Charakter bezogen, hat man es ein wenig übertrieben und aus diesem Grund entfaltet auch nicht jeder Gag volle Zündungskraft. Insgesamt ist „Die Unschärferelation Der Liebe“ somit auch wegen eines recht vorhersehbaren Schlussparts sicherlich kein großer Wurf des deutschsprachigen Kinos, hat allerdings speziell an windigen, verregneten Novembertagen einen kurzweiligen Charme und seine Daseinsberechtigung.
Fallende Blätter (OT: Kuolleet Lehdet)
Jeweils 92 Länder reichten für die nächstjährige Oscarverleihung offiziell einen Beitrag in der Kategorie „Bester nicht-englischsprachiger Film“ ein. Nur ein einziges Mal wurde Finnland bis dato in dieser Sparte die Ehre einer Nominierung zuteil, doch die Chancen auf eine zweite Nennung stehen diesmal außerordentlich hoch. „Fallende Blätter“ erhielt 2023 bereits den Jurypreis im Rahmen der Filmfestspiele von Cannes – und das, wie nun klar ist, auch vollkommen zu Recht, denn es handelt sich um ein kurzes, aber doch sehr profundes dichtes Werk voller inspirierender Momente, denen man unfassbar gerne folgt. Die vielfach sozialkritische Geschichte um zwei einsame Menschen mit undankbaren Jobs ohne Stabilität oder Absicherung, die abgesehen vom Kontakt zu wenigen Arbeitskollegen ein weitestgehend isoliertes Dasein fristen und sich zufällig begegnen, ist bittersüß und bisweilen skurril, aber doch voller kleiner charmanter, oft unausgesprochener Wahrheiten. Aufgrund der Kürze, kontinuierlicher Dialogarmut und einer allgemein reduzierten Gestaltung erweist es sich als besondere Errungenschaft, wie facettenreich und universell das Gebotene gleichzeitig anmutet. Einzig die Beleuchtung der Atmosphäre inmitten von Helsinki weist gewisse Defizite auf, denn mitunter wirkt es, als würde sich das nicht ohne Rückschläge verlaufende Kennenlernen eher in einem abgelegenen, weniger urbanen Örtchen ereignen. Dieses geringfügige Manko wissen die beiden Hauptdarsteller, zwischen denen die schauspielerische Chemie einfach in absoluter Szene zu 100 Prozent spürbar stimmt, mithilfe fabelhafter Darbietungen allerdings rasch auszugleichen. Auf den Pfaden eines besonnenen Arthaus-Kleinods wandelnd, vermag es „Fallende Blätter“ sowohl zu unterhalten als auch zum Nachdenken anzuregen und dürfte sich zielsicher auch außerhalb Skandinaviens in etliche Filmherzen spielen.
Jeanne Du Barry – Die Favoritin Des Königs (OT: Jeanne Du Barry)
Uraufgeführt in Cannes, ist das Historienstück „Jeanne Du Barry – Die Favoritin Des Königs“ nach „D’Artagnan“ sowohl teuerster als auch bezüglich des Einspielergebnisses rentabelster Film der „Grande Nation“ im Laufe des scheidenden Jahres 2023. Nicht zum ersten Mal wurde die Vita der Komtesse Jeanne du Barry (1743 – 1793) filmisch verarbeitet, diesmal jedoch bildet sie die Protagonistin in einem größtenteils epochenauthentischen Drama, das manchmal etwas zu unentschieden zwischen Konvention und Gegenwartsrelevanz hin- und herpendelt. An der Optik gibt es freiwillig absolut nichts zu kritisieren, denn es ist den Machern gelungen, den opulenten Hofstaat von Versailles in der Endphase des Ancien Régime visuell eindrucksvoll wiederaufleben zu lassen und vor allem das detailreiche Kostümdesign berauscht die Augen ebenso wie die Arbeit der Maskenbildner. Auch die Musikgestaltung fügt sich optimal ein und lässt der von Neid bestimmten Theatralik des Mätressentums ausreichende Geltungsmöglichkeit. Lediglich bezüglich der Figurenzeichnung der Töchter des Königs wäre weniger sporadisch mehr gewesen. In seinem französischsprachigen Debüt mimt Johnny Depp Ludwig XV., der zugleich Urenkel als auch direkter Thronfolger des Sonnenkönigs war, unerwartet nuanciert und verleiht dem Regenten Würde und Glaubwürdigkeit, allerdings sieht man ihm mitunter an, dass er augenscheinlich Probleme hatte, mit einer Fremdsprache zu hantieren. Neben der deswegen weitaus überzeugenderen, vielschichtig agierenden Bretonin Maïwenn in der Titelrolle setzen vor allem Benjamin Lavernhe und Pierre Richard als Höflinge wertvolle, schauspielerische Akzente. Ganzheitlich betrachtet, ist „Jeanne Du Barry“ trotz kleinerer Mankos eine Produktion, die vor allem genreaffinen Zuschauern Freude bereiten dürfte und bemüht ist, Parallelen zwischen dem 18. Jahrhundert und heutigen Tagen aufzuzeigen. Und so überrascht es nicht, dass die mitunter feinhumorige Filmbiographie die anfangs geäußerte These „Mädchen, die nichts haben, können auch nichts verlieren.“ letztlich infragestellt.
Napoleon
Exakt eine Woche vor dem 86. (!) Geburtstag von Ridley Scott, der offenbar keine Gedanken an einen baldigen Ruhestand hegt, hält sein annähernd 200 Millionen US-$ teures Historienepos „Napoleon“ Einzug in die hiesigen Lichtspielhäuser. Dabei handelt es sich um seine inzwischen sage und schreibe 28. Leinwandschöpfung, die selbst Enthusiasten seiner Filmographie spalten dürfte. Im Zentrum des an gerade einmal 60 Drehtagen entstandenen Werks stehen nicht nur Werdegang, Politik und episch inszenierte Feldzüge von Napoleon Bonaparte, sondern vor allem die besondere, stürmische Romanze mit Joséphine. Im Kontrast zu früheren Scott-Produktionen mit historischer Couleur hält er sich diesmal mit Ausnahme weniger Umdeutungen sowie künstlerischer Freiheiten eng an den Überlieferungskanon, setzt von den Betrachtern allerdings gewisse Vorkenntnisse der französischen Geschichte voraus. Nicht nur die Krönung (1800) und die Schlachten von Austerlitz (1805) und Waterloo (1815) wurden hinsichtlich der Kameraarbeit und musikalischen Gestaltung meisterhaft-atmosphärisch inszeniert, sondern vor allem der äußere Rahmen, in dem sich die Ereignisse abspielen. Trotz einer Laufzeit von beinahe drei Stunden gibt es nahezu keine Phasen des Leerlaufs, allerdings werden die einzelnen, strikt chronologisch angeordneten Elemente, die immerhin etwa 30 Jahre illustrieren, sporadisch etwas überhastet abgearbeitet, was wohl aus Kürzungen der Rohfassung resultieren dürfte. Oscarpreisträger Joaquin Phoenix als legendären, von der Insel Korsika stammenden Feldherren zu besetzen, war mit Sicherheit nicht die naheliegendste Wahl, doch wie erhofft sieht man seinem rasanten Aufstieg gebannt zu, insbesondere in den Momenten, die dem Publikum erlauben, hinter seine Fassade zu schauen. Die Sensation inmitten eines multinationalen Ensembles bildet aber ohne den mindesten Zweifel Vanessa Kirby, denn ihr gelingt es, zur Identifikationsfigur zu werden und ihre Darbietung als Prinzessin Margaret, die ewige Zweite, in „The Crown“ um ein Vielfaches zu übertreffen. Darüber hinaus überzeugen vor allem Rupert Everett und der Youngstar Edouard Philipponnat, der den Zaren Alexander herrlich schmierig mimt. In Summe können einige, drehbuchbezogene Reserven nicht von der Hand gewiesen werden, dennoch ist „Napoleon“ eine runde Sache und ein würdiges Denkmal eines Mannes, der Europa für immer verändern sollte.
Sound Of Freedom
Nach einer quälend langen Trockenphase voller bestenfalls mittelmäßiger Vorpremieren stellte „Sound Of Freedom“ in doppelter Hinsicht einen unerwarteten Befreiungsschlag dar – und zwar buchstäblich. Basierend auf realen Ereignissen setzt sich das Drama mit dem beklagenswerterweise inzwischen lukrativsten, illegalen Geschäft auf Erden auseinander. Anders als vermutet, handelt es sich dabei nicht etwa um den ebenfalls florierenden Handel mit Drogen, personenbezogenen Daten oder verschollenen Kunstartefakten, sondern mit blutjungen Menschenleben inmitten von Süd- und Mittelamerika. Als besonders beeindruckend erweist sich bereits nach intensiver Einführungssequenz, dass der 45-jährige, mexikanische Regisseur bis dato gerade einmal vier Filme schuf, ein enormes Maß an Feingefühl für ein einschneidendes, komplexes, bis dato größtenteils gemiedenes Sujet beweist, die überdies durch eine hypnotische Kameraarbeit und eine empfindsame Musikgestaltung intime Qualitäten erhält. Der Fokus bleibt dabei aus der Perspektive des aktivistischen Spezialagenten Tim Ballard stets auf zwei Geschwistern namens Miguel und Rocío aus Honduras, anhand derer die perfide, netzwerkartig organisierte Maschinerie des Raubs von Heranwachsenden nachvollziehbar und fesselnd illustriert wird. Insbesondere der ins scheinbar rechtsfreie Kolumbien verlagerte Teil ist wegen starker Dialoge und eines spannend inszenierten Finales trotz gewisser Vorhersehbarkeit herausragend, wenn auch mitunter schwer zu ertragen, gerade wenn der Observierende verinnerlicht hat, dass es nicht um Einzelfälle menschlicher Abgründe handelt. Darstellerisch können neben den jungen Talenten vor allem Bill Camp sowie Hauptdarsteller James Caviezel, der durch sein Engagement in „Die Passion Christi“ weltweite Bekanntheit erlangte, wertvolle Akzente setzen. Summa summarum handelt es sich um ein überaus intensives Filmerlebnis, das unter die Haut geht, alles andere als leichte Kost ist und den Kopf so schnell nicht verlassen will, weswegen der um Aufmerksamkeit schachernde Epilog vollkommen entbehrlich gewesen wäre.