USA in den frühen 1960ern: Noch immer gibt es eine strikte Trennung zwischen Weißen und Schwarzen. Zwar kämpfen einige Organisationen für die Gleichberechtigung. Auch US-Präsident John F. Kennedy will sich dafür einsetzen. Die Realität sieht bislang aber anders aus. Und so beschließt Bayard Rustin (Colman Domingo), zusammen mit A. Philip Randolph (Glynn Turman) einen Marsch nach Washington zu organisieren, an dem 100.000 Menschen teilnehmen sollen, um auf diese Weise den Druck zu erhöhen. Sein alter Freund Martin Luther King (Aml Ameen) ist misstrauisch, ob dies klappen kann. Auch andere sind skeptisch. Doch Rustin hält an seinem Traum fest. Ihm ist der Einsatz gegen Diskriminierung auch deshalb eine Herzensangelegenheit, da er als homosexueller Mann doppelt diskriminiert wird. Tatsächlich droht ihm dies selbst bei der Organisation des Marsches zum Verhängnis zu werden…
Zurück in die Vergangenheit: Filme und Serien nehmen uns immer wieder mit auf Zeitreisen, um uns entweder historische Persönlichkeiten vorzustellen oder Zeitporträts zu erstellen. Rustin huldigt die Menschen, die geholfen haben eine neue Zukunft zu gestalten. Genauer widmet man sich hier dem Marsch auf Washington für Arbeit und Freiheit, dem sich seinerzeit mehr als 200.000 Menschen anschlossen und der als einer der großen Momente der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in die Geschichte eingegangen ist.
Hierzulande werden vermutlich eher weniger Leute mit dem Event vertraut sein. Und auch Bayard Rustin, der gemeinsam mit Randolph als Konstrukteur des Marsches gilt, dürften nicht mehr allzu viele kennen. Insofern ist es nicht verkehrt, wenn Netflix ihm noch einmal ein spätes Denkmal errichtet, rund 60 Jahre später. Wobei Rustin nicht den Fehler macht, sich auf eine einseitige Heldenverehrung zu versteifen, wie es so viele biografische Filme tun. So wird der Aktivist hier durchaus als streitbar und eigensinnig beschrieben. Ein Mensch, der an das Gute glaubt und bereit ist dafür zu kämpfen, dabei aber kein Heiliger ist, sondern jemand mit Ecken und Kanten. Und mit Bedürfnissen, die er erfüllen will.
Eine solche Figur lebt natürlich maßgeblich von der Besetzung. Hier zeigte man ein glückliches Händchen: Colman Domingo (Beale Street) empfiehlt sich hiermit für Größeres. Nicht wenige sprechen ihm sogar Oscar-Chancen zu, wenn er die Titelfigur mit Leben füllt. Es macht Spaß, wie er sich abwechselnd mit Leuten anlegt oder sie für seine Sache gewinnt. Insgesamt ist Rustin schauspielerisch überzeugend. Neben Glynn Thurman, wissen auch Gus Halper, Audra McDonald und Da´vine Joy Randolph in einem wundervollen Cameo als Mahalia Jackson zu überzeugen. Ein bisschen seltsam ist jedoch die Besetzung von Chris Rock, der ja eigentlich für komödiantische Produktionen bekannt ist und als Roy Wilkins, ein weiterer bedeutender Bürgerrechtler, irgendwie deplatziert wirkt.
Das größere Manko ist jedoch, dass Regisseur George C. Wolfe (Ma Rainey’s Black Bottom) und Drehbuchautor Dustine Lance Black, der einen Oscar für das Biopic Milk erhielt, keine wirklichen Ambitionen bei seinem Film versorgt. Das ist alles so brav und konventionell, so unbedingt drauf auf, dem Publikum zu gefallen, dass da Potential verschenkt wird. Wie so oft trifft ein außergewöhnliches Schicksal auf ein sehr gewöhnliches Biopic-Drama, das selbst keine eigene Persönlichkeit hat. Das muss einen nicht stören, viele dieser Filme sind nach demselben Konzept abgearbeitet. Und es ist ja auch nicht uninteressant, wie Rustin einen Blick hinter die Kulissen des Events gewährt. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Film, selbst etwas bewegt, ist dadurch aber eher gering. Vermutlich wird er in einigen Jahren bereits wieder vergessen sein, was angesichts des wichtigen Themas etwas enttäuschend ist.
Fazit: „Rustin“ will einem Mann ein Denkmal setzen, der Großes für die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung geleistet hat. Das ist gut gespielt und thematisch nicht uninteressant. Das Drama um einen großen Protestmarsch ist aber so konventionell und frei von Persönlichkeit, dass es bald selbst vergessen sein dürfte. Colman Domingo wird aber hoffentlich endlich seine erste, längst überfällige, Oscarnominierungen erhalten.