Dass der Grat zwischen Kollektivismus und einer Sekte mitunter ein sehr schmaler ist und sich Isoliertheit häufig als idealer Nährboden erweist, um als Individuum in die Fänge alternativer Glaubensgemeinschaften zu geraten, führt ein Filmporträt vor Augen, dessen deutschlandweite Veröffentlichung für die kommende Woche anvisiert ist. Das Mantra „Der Einzelne ist nichts. Die Gruppe ist alles.“ bildet den Ausgangspunkt einer auf dem Roman „Tokyo“ basierenden, amerikanisch-deutschen Koproduktion. Kurzerhand verlegte man das literarische Setting in die pulsierende Hauptstadt der BRD, die exemplarisch wie universell für die Schattenseiten im urbanen Kaleidoskop steht und zum Schauplatz einer investigativen Geschichte wird, welche entscheidend von der kreierten Atmosphäre lebt, dabei allerdings Geduld vom Zuschauer abverlangt.
Dass die britische Regisseurin Scott zuvor lediglich einen einzigen Film in Langfassung inszenierte, verwundert zunächst einmal, denn „Berlin Nobody“ zeichnet sich im Hinblick auf Gestaltung und Narration durch investigative Routine aus, welcher bewusst schemenhaft gehaltene Brüche innewohnen. Die zunächst als solidarische Aktivistengruppe getarnte Gruppierung trägt von zwar von Anbeginn befremdliche Züge, dennoch erweist sich die beleuchtete Maschinerie bei entsprechender Einlassungsbereitschaft aufgrund ihres Erlösungsplans als beängstigend und nach schrittweiser, bedächtiger Aufdeckung nicht als an den Haaren herbeigezogen. Obwohl skriptbezogene Reserven, was die Figur der jungen Mazzy, die ihren als Psychologiedozenten tätigen Vater besucht und allzu leichtgläubig und abrupt in den Strudel des Kults gerät, anbetrifft, nicht von der Hand zu weisen sind, sorgt vor allem die starken Kompositionen von Volker Bertelmann für eine Egalisierung dessen, während das finale Drittel enormen Polarisierungscharakter entfaltet, der sich spürbar nicht dem Mainstream zu unterwerfen gedenkt. Im Gedächtnis bleibt neben Sadie Sink primär die Darbietung von Jonas Dassler, dem es nach seiner Rolle als Serienmörder in „Der Goldene Handschuh“ gelingt, erneut ein charismatisches, aber auch beklemmendes Ausrufezeichen zu setzen.
Da es sich im Falle von „Berlin Nobody“ um ein in Summe düsteres Werk mit psychologisch-investigativem Unterbau handelt, überrascht es in hohem Maße, dass die Kritiker im Rahmen von Testvorführungen sich bisher mehrheitlich nicht allzu begeistert äußerten, denn trotz der Andersartigkeit und gelegentlicher Redundanz ist das Gesehene im Nachhinein nicht leicht abzuschütteln. Speziell Sympathisanten von Krimis, die nicht nach Schema-F verlaufen, sei die Inaugenscheinnahme daher empfohlen.