Pop-Diva Cher sagte einst unverblümt: „Älterwerden ist sch****!“ Ebendies muss auch Elizabeth Sparkle schmerzlich am eigenen Leib feststellen, als sie pünktlich zu ihrem 50. Geburtstag von ihrem Arbeitgeber ausrangiert wird und ein langjähriges TV-Engagement verliert. Desillusioniert unterzieht sie sich spontan einer geheimnisvollen, medikamentösen Verjüngungskur und erschafft ein zweites, makelloses, blutjunges Ich namens „Sue“. Mit dem perfektionierten Wesen wechselt sie sich fortan im Wochenrhythmus ab und bestreitet den Alltag, verpflichtet sich aber zum Tausch. Was zunächst wie ein Heiliger Gral anmutet, mündet schrittweise in einem alptraumhaften, unumkehrbaren Szenario.
Zugegeben: Auf ein Handlungskonstrukt wie dieses muss man selbst als kreativer Kopf erst einmal kommen. „The Substance“ wurde erstmals im Mai an der Côte d’Azur vorgestellt und sorgte für ein hohes Maß an Aufsehen, denn die Produktion, deren Original-Drehbuch in Cannes ausgezeichnet wurde, bedient nicht nur vier Filmgenres zugleich, sondern mutiert schrittweise zu einem schizophrenen, bizarren Konkurrenzkampf, der definitiv nichts für zart besaitete Gemüter ist.
Vor drei Jahren führte „Promising Young Woman“ Cineasten vor Augen, dass auch Frauen kaltschnäuzige und kompromisslose Kinostreifen kreieren können, doch dieses Werk sprengt in vielen Belangen sämtliche Grenzen von bisher Dagewesenem. Die konsequent dialogarme Inszenierung pendelt elegant zwischen hochpoliertem Style und Sterilität inmitten des künstlichen Modezirkus‘ von Los Angeles. Kein einziges Detail, keine symbolische Anspielung und keine Kameraperspektive geschieht in dieser Atmosphäre zufällig, sondern bildet stets ein essentielles Mosaikstück eines gesellschaftlichen Frontalangriffs. Als elektrisierende Quelle erweist sich vor allem der sich zuspitzende Kampf der beiden Versionen, die sich alsbald – unterlegt von dröhnenden Geräuschen – mit Missgunst und Rücksichtslosigkeit gegenüberstehen. Insbesondere Individuen, die zu mangelnder Selbstfürsorge neigen oder den natürlichen Alterungsprozess als Abwertung erachten, wird hierbei ein Spiegel vorgehalten. Diese Dynamik resultiert in einem zutiefst unerwarteten Finalakt, der nicht nur durch eine absolut verstörende und entfesselte Wirkungsästhetik gekennzeichnet ist, sondern auch Ekelgefühle auf eine harte Probe stellt. Obwohl im Hinblick auf die bildliche Drastik der letzten 20 Minuten „weniger“ mehr gewesen wäre, vollzieht sich selbst dieser Blutrausch erfreulicherweise nicht um des reinen Selbstzweckes willen. An einer Oscarnennung für die Arbeit der Maskenbilder dürfte wohl kein Weg vorbeiführen.
Unter dem Strich ist jedoch nicht das dargebotene, stets körperfixierte Grauen verantwortlich, dass „The Substance“ seinem Titel gerecht wird, sondern die vortreffliche Besetzung. Demi Moore, mittlerweile 61 Jahre alt, offeriert in der Tat die wohl beeindruckendste, couragierteste Leistung ihrer gesamten Karriere – und zwar nicht nur aufgrund unzähliger, hüllenloser Nahaufnahmen ohne Beschönigungseffekte. Wie sie sich – von Selbstzweifeln zerfressen – im Angesicht von sich selbst das Make-Up verschmiert, trifft einen mitten ins Mark und ihr psychischer und körperlicher Niedergang ist mitunter nur schwer zu ertragen. Demgegenüber darf sich auch Margaret Qualley als experimentell Entstiegene ebenso ungezügelt und facettenreich entfalten, während Dennis Quaid in einer geradezu widerlich überdrehten, frauenverachtenden Rolle, für die ursprünglich der vor Drehbeginn verstorbene Ray Liotta vorgesehen war, zu überzeugen weiß.
Der Werbespruch der Flüssigkeit namens „It Changed My Life“ wird somit nicht nur für die Protagonistin zum folgenreichen Faktum, sondern mit Sicherheit auch für den ein oder anderen Observierenden. In Gestalt von „The Substance“ ist der Französin Fargeat mit ihrer erst zweiten (!) Tätigkeit als Regisseurin & Drehbuchautorin trotz seines enormen Polarisierungsfaktors etwas Außergewöhnliches gelungen, das vermehrt Schlaflosigkeit auslösen dürfte. Wer bereit ist, sich dieser grotesken, schwarzhumorigen & parabelhaften Kriegserklärung an den tief verwurzelten Jugendwahn zu stellen, die so recht in keine Schublade passen will, kann dies hierzulande seit dem gestrigen Tag tun.