Das Historiendrama – ein ebenfalls unterschätztes, filmisches Genre! (Teil 8)

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Das Grauen der Terrorherrschaft unter der von Adolf Hitler konstituierten NSDAP auf die Leinwand zu bringen, ist zweifellos eine äußerst schwierige Angelegenheit. Möglicherweise stößt das Medium des Spielfilmes sogar unweigerlich an seine Grenzen, wenn es darum geht, dem Publikum diese Zeit originalgetreu vor Augen zu führen und in Gänze begreiflich zu machen. Während viele Produktionen in Bezug auf die Vergegenwärtigung von Verfolgungsangst, Verlusten und körperlichem wie seelischem Leid gänzlich scheitern, ist ebendies einigen wenigen Regisseuren in verhältnismäßig hohem Maß gelungen. Nachdem ich mit den bereits rezensierten Werken „Der Untergang“ und „Anne Frank – Die Wahre Geschichte“ zwei neuere, in den Jahren zwischen 1933 und 1945 angesiedelte Historienfilme besonders positiv hervorgehoben habe, wird es nun langsam Zeit, die betrübliche Epoche aus filmischer Sicht zu einem Abschluss zu bringen. Schließlich ist es schmerzhaft genug, sich am laufenden Band Porträtierungen über das „Dritte Reich“ zu Gemüte zu führen, denn das kann sogar eine persönliche Abstumpfung bewirken. Sämtliche, vor Kurzem von mir gesehene, noch ausstehende Dramen – insgesamt sind es fünfzehn – werde ich in meiner achten Episode deutlich kürzer als gewohnt abhandeln. Die Ausnahme bildet ein außergewöhnlicher, vermutlich recht unbekannter Film im Speziellen, welcher sich inzwischen einen besonderen Platz in meinem Herzen erarbeitet und folglich eine intensivere Betrachtung verdient hat…

Die Zwillinge (OT: De Tweeling)

Es gibt Filme, die auf technischer Ebene perfekt sind, aber das Langzeitgedächtnis doch recht schnell wieder verlassen und solche, die mit begrenzten Mitteln entstanden sind, einen aufgrund ihrer emotionalen Wirkung aber einfach nicht mehr loslassen wollen. Zu letztgenannter Sorte zählt auch die Literaturverfilmung „Die Zwillinge“ unter Regie von Ben Sombogaart. Die Adaption des Romans von Tessa de Loo, einem neben dem Tagebuch der Anne Frank weltweit meistgelesenen Werke einer holländischen Autorin, das zu meinen absoluten Lieblingsbüchern gehört, schildert die Lebensgeschichte zweier Schwestern, die in jungen Jahren durch den Tod ihres Vaters voneinander getrennt werden, bei verschiedenen Familien aufwachsen und fortan zwei entgegengesetzte Leben führen. Während Anna in bäuerlicher Armut unter deutschen Katholiken aufwächst und später notgedrungen im System der NSDAP zurechtkommen muss und einen SS-Offizier heiratet, lebt die anfangs kränkliche Lotte sorgenfrei, schulisch gefördert und behütet in den Niederlanden, bis sie sich in einen jüdischen Musiker verliebt und der Zweite Weltkrieg auch den eigentlich neutralen Staaten ereilt. Nach der frühen Trennung begegnen sich Lotte und Anna nur drei Mal, zuletzt im Alter von annähernd 80 Lebensjahren, als sie bei einem Kuraufenthalt aufeinandertreffen…

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Obwohl die biographischen Elemente allesamt rein fiktiver Art sind, könnte sich die beeindruckende, ein dreiviertel Jahrhundert umfassende Geschichte dennoch genau in dieser Form zugetragen haben. Sowohl die in den 1920ern häufig eigenhändig vorgenommene Zwangsadoption – meiner Urgroßmutter erging es genau so – als auch der Werdegang der Mädchen wirkt dabei so authentisch und uninszeniert wie nur möglich. Sujets wie der furchtbare Umgang mit Menschen, die als „Schwachsinnige“ diffamiert worden, werden genau so in die Handlung eingeflochten wie die sich langsam ausbreitenden Gerüchte von den Bedingungen in Buchenwald und Auschwitz. Dabei wird bewusst auf den dramaturgisch abrupten Wechsel zwischen Freud und Leid gesetzt, der trotz der ruhigen Erzählweise kaum Möglichkeiten bietet, zur Ruhe zu finden, was ferner den bewusst drastischen Dialogen zu schulden ist. Insbesondere die konträren Weltansichten der beiden nun per nationaler Zugehörigkeit auf gegenüberstehenden Seiten stehenden Schwestern werden szenisch stets direkt miteinander in Kontrast gesetzt und Rück- sowie Vorausblenden optimal eingewoben. Mithilfe einer eleganten Kameraführung vom imposanten Luxemburg wird man oftmals poetischen, gegensätzlichen und von ausdrucksvollen Kompositionen unterlegten Bildern gewahr, die nahezu immer wiederkehrende Metaphern, Farben und Schlüsselszenen von hohem Symbolismus in sich tragen. Trotz der Entfernung und Existenzbedingungen bleiben die Frauen bis zu ihrer Lebensmitte durch ein Taschentuch, die Briefe oder das Kinderlied miteinander verbunden. Im Alter jedoch sind sie sich fremd, was vor allem die konsequente Beibehaltung der Sprachbarriere beeindruckend versinnbildlicht. Kritisch anzumerken ist maximal, dass einige Sequenzen kürzer gefasst hätten werden können und die Charakterisierung der Bauernfamilie freilich aufgrund der Dramaturgie etwas überzogen angelegt wurde. Zu loben sind überdies sämtliche Szenenbilder und Kostüme.

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„Die Zwillinge“ zeichnet sich darüber hinaus vor allem durch ein unerwartet brillantes, deutsch-niederländisches Schauspielensemble aus. Die Geschwister werden von jeweils drei verschiedenen Darstellerinnen verkörpert, wobei die schrittweise, psychologisch akkurate Entwicklung der alternden Protagonistinnen perfekt ineinandergreift. Besonders nachwirkend sind all jene Szenen der frühen Kindheit und gleichermaßen der „Gegenwart“, aus der die Leistung von Gudrun Okras, einer der bedeutendsten Theaterschauspielerin der ehemaligen DDR, am stärksten hervorragt. Sie verkörpert die betagte Lotte mit Feingefühl und Inbrunst, sodass man trotz geringer Screentime gefesselt ist und die filmische Coda in Erinnerung behält. Zudem liefert auch Nadja Uhl ihre aus meiner Sicht mit Abstand beste Leistung und auch Thekla Reuten, Ellen Vogel und Roman Knižka können in ihren Rollen glänzen, während Ingo Naujoks und Barbara Auer ebenfalls für kleine, aber darstellerisch umso anspruchsvollere Momente sorgen.

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Entstanden ist somit ein durch und durch großartiges, tränenförderndes Werk mit subtiler Dramaturgie über Geschwisterliebe, Entfremdung, diskutable Schuld und persönliche Aufarbeitung, das den Zuschauer dazu bewegen kann, sich mit familiären Themen stärker zu beschäftigen. Seinerzeit hätte ich „Die Zwillinge“, der allgemein deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt hätte, dem kanadischen Oscargewinner „Die Invasion der Barbaren“ ohne den mindesten Zweifel vorgezogen. Es ist dennoch hocherfreulich, dass das Werk zum finanziell erfolgreichsten, holländischen Kinofilm aller Zeiten avancierte. Zum Schluss sagte Lotte: „Wir sind alle beide Schlachtopfer der Umstände gewesen.“ Wie wahr! Aber macht es das besser? Diese Frage überlässt die raffinierte Regieführung dankenswerter Weise vollends dem jeweiligen Individuum. Ganz groß!

NL / LUX 2002 - 137 Minuten Regie: Ben Sombogaart Genre: Historienfilm / Familiendrama Darsteller: Nadja Uhl, Thekla Reuten, Roman Knižka, Jeroen Spitzenberger, Hans Somers, Markus von Lingen, Barbara Auer, Ingo Naujoks, Margarita Broich, Gudrun Okras, Ellen Vogel, Sina Richardt, Julia Koopmanns
NL / LUX 2002 – 137 Minuten
Regie: Ben Sombogaart
Genre: Historienfilm / Familiendrama
Darsteller: Nadja Uhl, Thekla Reuten, Roman Knižka, Jeroen Spitzenberger, Hans Somers, Markus von Lingen, Barbara Auer, Ingo Naujoks, Margarita Broich, Gudrun Okras, Ellen Vogel, Sina Richardt, Julia Koopmanns

Schindlers Liste (OT: Schindler’s List)

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Steven Spielbergs siebenfach oscargekröntes Meisterwerk ist ohne jeden Zweifel kein Film, den man im Vorbeigehen sehen sollte, sondern in vollem Bewusstsein sowie bei entsprechender Reife. Kein anderer Regisseur hat es bis dato geschafft, den Holocaust so schonungslos und detailliert faktengetreu auf die Kinoleinwand zu bringen und das humane Wirken eines einzigartigen Mannes realistisch zu dokumentieren, ohne in eine Form der Überinszenierung abzudriften. Gerade das Zusammenspiel zwischen gestaltungsbezogenem Ästhetizismus und realistischer Härte der Stationen und Dialoge erwirken die nachhaltige, beklemmende Spannung, welche mithilfe der stilistischen Aufnahmen in Schwarzweiß zusätzlich verstärkt worden ist und beispielsweise wegen des roten Mantels einen gravierenden Symbolismus für den Zuschauer bereithielt. Für die sich über die gesamten Kriegsjahre erstreckende Chronologie wurde ausschließlich an Originalschauplätzen – im Krakauer Stadtteil Kazimierz und in der Emailwarenfabrik, die ich im Juni selbst besuchen durfte, gedreht und Vorgänge im Zwangsarbeiterlager Plaszow akribisch recherchiert. Lediglich die Vita von Itzahk Stern ist nicht durchgängig korrekt umgesetzt worden, da einige Tatsachen auf den Biographien anderer Helfer Schindlers beruhen. Dies ist neben dem Umstand, dass die zweite Filmhälfte aus meiner Sicht die Beeindruckendere war, der einzig feststellbare „Makel“.

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Auch die fast unübertreffebare, virtuose Filmmusik von Williams verlangt einem angesichts des Zusammenspiels mit dem Gesehenen Einiges ab, doch ich bin sehr dankbar, dass der Mensch mit den aktuell meisten Oscarnominierungen, der sich selbst im Vergleich zu anderen Komponisten für nicht gut genug hielt, das Engagement letztlich annahm, weil Spielberg ihn mit den Worten: „Ich weiß, aber die sind alle tot.“ überzeugen konnte. Wohl nur wenige hätten Liam Neeson zuvor eine derart intensive, oscarreife Darstellung zugetraut und gerade die Schlusssequenz, in der er fast daran zerbricht, nicht noch mehr Juden gerettet zu haben, gleicht einem Schlag in die Magengrube und lässt einen in der genialen Reprise fassungslos zurück. Ferner glänzten auch Ben Kingsley und Ralph Fiennes in ihren konträren, jedoch gleichermaßen herausfordernden Rollen voll und ganz. Es ist als besonders bedauerlich zu erachten, dass das von mir heißgeliebte Drama „Das Piano“ im selben Jahr erschien, die beiden Meisterstücke also miteinander konkurrieren mussten. Was der Nachwelt anhand von „Schindlers Liste“ bleibt, ist nicht nur die Geschichte eines stillen Helden, der Nächstenliebe und Menschlichkeit in erbarmungslosen Zeiten praktizierte, sondern auch ein im Kern erschütternder, wohldosiert inszenierter und absolut hervorragender Tatsachenbericht.

USA 1993 - 194 Minuten Regie: Steven Spielberg Genre: Historiendrama / Kriegsfilm Darsteller: Liam Neeson, Ben Kingsley, Ralph Fiennes, Geno Lechner, Caroline Goodall, Jonathan Sagalle, Embeth Davidtz, Malgoscha Gebel, Mark Ivanir, Martin Semmelrogge
USA 1993 – 194 Minuten
Regie: Steven Spielberg
Genre: Historiendrama / Kriegsfilm
Darsteller: Liam Neeson, Ben Kingsley, Ralph Fiennes, Geno Lechner, Caroline Goodall, Jonathan Sagalle, Embeth Davidtz, Malgoscha Gebel, Mark Ivanir, Martin Semmelrogge

Sophie Scholl – Die Letzten Tage (IT: Sophie Scholl – The Last Days)

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Auch das Porträt der wohl bekanntesten Widerstandskämpferin gegen die NS-Herrschaft zählt für mich zum illustren, kleinen Kreis an Filmen, in denen die deutsche Kinoindustrie sich in Hochform zeigte. Zum einen liegt das an der durchgängigen historischen Akkuratesse und dem realistischen, gleichermaßen sensibel angegangen, eschatologischen Fokus auf die abschließende Lebenswoche der Geschwister Scholl. Die hervorragende, fokussierte Kameraperspektive nimmt außerdem einen besonderen Stellenwert ein und die Kostümierungen und Schauorte gleichen den echten aufs Haar. Hinzu kommen trotz der steten Orientierung an den überlieferten Verhörprotokollen gestochen scharfe, spannende Wortwechsel von hoher Deutbarkeit und eine variable, bewusst emotionserweckende Filmmusik.

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Neben der grandiosen, facettenreichen und vielfach nominierten Hauptdarstellerin Julia Jentsch, die dem „Original“ augenscheinlich sehr nah kommt, sind vor allem der bravourös auftretende Alexander Held und Johanna Gastdorf in starken Rollen zu sehen. André Hennicke ist es jedoch, der die mit Abstand beste Performance erbrachte. Er verkörperte jenen Richter, der heute wegen fast 3000 ausgesprochenen Todesurteilen als „Blutrichter“ bekannt ist, beängstigend realistisch, sodass es mir schwer fiel, Darsteller und den jähzornigen demütigenden Nationalsozialisten voneinander zu unterscheiden. „Sophie Scholl – Die Letzten Tage“, ein erschütterndes Kammerspiel, hat sich seine Oscarnominierung redlich verdient und ermahnt uns nachwirkend dazu, auch in Zeiten größtmöglicher Repression zu seinen Idealen zu stehen. Erstklassig!

D 2005 - 116 Minuten Regie: Marc Rothemund Genre: Historiendrama / Biographie Darsteller: Julia Jentsch, Fabian Hinrichs, Alexander Held, André Hennicke, Johanna Gastdorf, Jörg Hube, Florian Stetter, Petra Kelling
D 2005 – 116 Minuten
Regie: Marc Rothemund
Genre: Historiendrama / Biographie
Darsteller: Julia Jentsch, Fabian Hinrichs, Alexander Held, André Hennicke, Johanna Gastdorf, Jörg Hube, Florian Stetter, Petra Kelling

Das Urteil Von Nürnberg (OT: Judgment At Nuremberg)

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Was Stanley Kramer anpackte, das gelang auch! Vor allem „Das Urteil Von Nürnberg“, eins der vielleicht packendsten und bedeutsamsten Gerichtsdramen der Geschichte bildet da keine Ausnahme. Bezug nehmend auf die international mit riesigem Interesse verfolgten, bis 1949 durchgeführten Schauprozesse, die primär zur Entnazifizierung und zur juristischen Vergeltung dienen sollten. Zwar sind alle handelnden Personen fiktiven Charakters, dennoch orientierte man sich ausschließlich an tatsächlich verhandelten Fällen und im Besonderen an der Frage nach der Schuld eines ganzen Volkes. Im angemessen dokumentarischen Stil, für den wie bei „Schindlers Liste“ eigentlich nur schwarzweiß in Frage kam, spitzt der Film sich ebenso zu wie die dargestellte Verhandlung stufenartig zu und zeichnet sich speziell durch eine beklemmende Atmosphäre, einschneidende Dialoge, eine auffallend dezente Gestaltung und intensive psychoanalytische Einblicke in die verschiedenen Auffassungen aus. Zugute zu halten ist auf inhaltlicher Ebene überdies, dass die Frage nach der Verantwortlichkeit für die Verbrechen letztlich extrem objektiv betrachtet und als wahrscheinlich aussichtsloses Unterfangen gekennzeichnet wurde, denn gerade das noch kaum vorhandene Schuldbewusstsein kommt außerordentlich zum Tragen. In erster Linie sind es die überragenden, feinsinnigen Leistungen nahezu aller Schauspieler, welche den Dreh- und Angelpunkt der Inszenierung bildeten. Sowohl Schell, Tracy, Clift als auch Garland wurden für ihre intensiven Performances zu Recht für den Oscar nominiert – Ersterer gewann ihn in seiner anspruchsvoll angelegten Rolle des Verteidigers hochverdient – doch auch Dietrich wäre einer Nennung würdig gewesen. Vorwerfen könnte man dem Drama allenfalls eine Weitschweifigkeit, was die temporäre Ebene anbelangt, und ein fast gänzlich fehlender Setwechsel, die von dem Zuschauer abverlangt, sich auf die Thematik einzulassen. Seinen Klassikerstatus hat das nachhallende Werk nichtsdestotrotz vollkommen gerechtfertigt inne.

USA 1961 - 188 Minuten Regie: Stanley Kramer Genre: Historiendrama / Gerichtsfilm Darsteller: Spencer Tracy, Maximilian Schell, Burt Lancaster, Marlene Dietrich, Judy Garland, Montgomery Clift, Richard Widmark, William Shatner
USA 1961 – 188 Minuten
Regie: Stanley Kramer
Genre: Historiendrama / Gerichtsfilm
Darsteller: Spencer Tracy, Maximilian Schell, Burt Lancaster, Marlene Dietrich, Judy Garland, Montgomery Clift, Richard Widmark, William Shatner

Der Vorleser (OT: The Reader)

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Wenngleich die filmische Adaption wie in vielen anderen Fällen nicht eins zu eins mit der brillanten Romanvorlage mithalten kann, zähle ich „Der Vorleser“ dennoch in der betreffenden Saison zu meinen ausgesprochenen Favoriten. Die sowohl gegen Schlinks Bestseller als auch die Leinwandadaption vorgebrachten Ressentiments, man blende die KZ-Historie zugunsten der Romanze aus und erteile insofern Absolution, als dass dem Analphabetismus mehr emotionaler Raum als der Verbrechensbeteiligung zugestanden wird, teile ich nicht im Ansatz. Weder Schlink noch Daldry wollten moralisieren, sondern die Entstehung und den Niedergang einer leidenschaftlichen, unkonventionellen Liebschaft beleuchten – und das ist legitim und gewinnbringend. Umringt von einer hypnotischen Kameraarbeit, geschichtlicher Akkuratesse, stets plausiblen Zeitsprüngen, einem hervorragenden Make-Up, bestechenden Dialogen, einer bewusst zurückhaltenden Filmmusik und nicht zuletzt mannigfaltigen Sets im Wandel der Zeit – vorrangig entstanden in Görlitz – zeigte der Regisseur erneut sein delikates, jedoch stets nach Authentizität und Inspiration strebendes Können. An die gesamtheitliche Perfektion von „The Hours“ kommt die Literaturverfilmung allerdings nicht heran, was auch an vereinzelt zu langen Szenen liegt. Kate Winslet spielt die bis zum Schluss mysteriöse Hanna souverän und vielleicht sogar intensiver als die ursprünglich vorgesehene Kidman es getan hätte, nichtsdestotrotz bleibe ich bei meiner mehrfach geäußerten Meinung, dass die Rolle in „Zeiten Des Aufruhrs“ ihre eigentliche, auszeichnungswürdige Mammutleistung im betreffenden Jahr gewesen ist. Dennoch sieht man ihrem intensiven Spiel genau so gern zu wie dem des erst entdeckten David Kross, welcher die darstellerisch vielschichtigste, zerbrechlichste Performance ablieferte. Bruno Ganz und Lena Olin sorgen für weitere tolle Akzente, lediglich Ralph Fiennes agierte insgesamt etwas unterfordert. Sehenswert und von hoher Gegenwartsrelevanz!

USA / D 2008 - 124 Minuten Regie: Stephen Daldry Genre: Liebesdrama / Historienfilm Darsteller: Kate Winslet, David Kross, Ralph Fiennes, Jeannette Hain, Bruno Ganz, Hannah Herzsprung, Karoline Herfurth, Lena Olin, Alexandra Maria Lara, Burghart Klaußner, Susanne Lothar
USA / D 2008 – 124 Minuten
Regie: Stephen Daldry
Genre: Liebesdrama / Historienfilm
Darsteller: Kate Winslet, David Kross, Ralph Fiennes, Jeannette Hain, Bruno Ganz, Hannah Herzsprung, Karoline Herfurth, Lena Olin, Alexandra Maria Lara, Burghart Klaußner, Susanne Lothar

Sophies Entscheidung (OT: Sophies Choice)

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Auch dieser Film muss schlicht und ergreifend zur Sprache gebracht werden, und zwar nicht nur deswegen, weil die Qualität enorm von der vielleicht unerreichbaren Karrierebestleistung von Meryl Streep abhing. „Sophies Entscheidung“ kann als poetischste, aufwühlendste und subjektivste Auseinandersetzung mit dem Holocaust sowie der oft außen vor gelassene Frage nach dem „Danach“ angesehen werden. Die Düsterheit der Thematik, die scheibchenweise mithilfe von Rückblenden offenbart wird, könnte kaum überraschender ausfallen können und häufig wird das Gesehene nur durch die Klaviermusik halbwegs psychisch erträglich. Die fein gezeichnete, zunehmend zur Dreiecksbeziehung mutierende Geschichte der Hauptcharaktere ist komplex und wirft viele Fragen auf, denn insbesondere Sophie und Nathan verbindet weniger eine Liebe als eine obsessive, letztlich tödliche Abhängigkeit, die besonders durch die Dialogführung greifbar wird. Sowohl die Ausstattung und vortrefflichen Masken als auch Handlungselemente wie der Aufstieg von „Sträflingen“ bebildern die Zustände im größten Vernichtungslager aussagekräftig. Spätestens (oder frühestens) mit dieser Performance beweist Streep, warum sie zu Recht zu den Allerbesten ihres Fachs gehört und auch, dass sie den Status der „Queen of Oscar“ gerechtfertigt innehat. Wenngleich spekulativ, bin ich davon überzeugt, dass selten ein Academy Award mit eindeutigerer Stimmenzahl vergeben wurde und gerade die Szene der „Entscheidung“ an der Rampe von Auschwitz-Birkenau trifft einen bis ins Mark. Kevin Kline bietet hierin ebenfalls eine seiner stärksten Rollen, während MacNicol aus meiner Sicht etwas fehlbesetzt worden ist und schwerlich in die Beschützerrolle passte. Was summa summarum bleibt ist eine nachhaltige, expressive One-Woman-Show, die stellenweise etwas redundant wirkt und zu stark auf die Gegenwart fokussiert ist, um als ganzheitliches Meisterwerk bezeichnet werden zu können.

USA / PL 1982 – 144 Minuten Regie: Alan J. Pakula Genre: Historienfilm / Liebesdrama Darsteller: Meryl Streep, Kevin Kline, Peter MacNicol, Günther Maria Halmer, Eugene Lipinski, Stephen D. Newman, Greta Turken, Rita Karen, John Rothman, Josh Mostel
USA / PL 1982 – 144 Minuten
Regie: Alan J. Pakula
Genre: Historienfilm / Liebesdrama
Darsteller: Meryl Streep, Kevin Kline, Peter MacNicol, Günther Maria Halmer, Eugene Lipinski, Stephen D. Newman, Greta Turken, Rita Karen, John Rothman, Josh Mostel

Das Leben Ist Schön (OT: La Vita È Bella)

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Ich bin nun zumeist wahrlich kein Freund des italienischen Kinos, dennoch muss ich eingestehen, dass „La Vita È Bella“ nicht völlig ungerechtfertigt bei IMDB auf einem vorderen Platz rangiert. Einen kindlich-sensiblen Umgang mit den Vorgängen in Konzentrationslagern, durch den man häufig nicht genau weiß, ob man lachen oder weinen soll, findet man in der Tat einzig in Benignis Werk. Gerade wegen der Tarnung des Aufenthaltes als Spiel und des Titels geriet es vielfach in die ambivalente Kritik. Ich gebe zu, dass man sich tatsächlich an ein paar Stellen an der Schwelle zur Grenzüberschreitung bewegte, die Tragweite der Szenerie aber nie wirklich in den Hintergrund gedrängt worden ist, was an dem feinfühligen Drehbuch und dem Kontrast zwischen dem für meine Begriffe etwas zu ausgedehnten, märchenhaften Beginn und dem umso tragischeren Schluss liegt. Ein tiefgreifender Optimismus bildet das Herz des Films, wodurch jüdische Glaubensanhänger erstmals nicht nur in der stereotypen Opferrolle erscheinen, wofür vor allem die extravagante und quirlige, gleichwohl tief empfundene Emotionalität des Hauptdarstellers verantwortlich ist. Die für die Handlung essentielle Nebenrolle von Horst Buchholz, seiner letzten Leinwanddarstellung, sticht ebenfalls heraus. Hinzu kommen eine hervorragende Filmmusik und ein adäquates Design von Kulissen und Kostümen. Letztlich ist es der dreifach oscarprämierten, letztlich legitimen Tragikomödie entgegen aller Kontroversität gelungen, drei Botschaften mit Nachdruck zu betonen: Einerseits wurde die Liebe eines Löwenvaters fantasievoll und nachwirkend illustriert, zum zweiten der unbändige Wille zum Überleben inmitten der NS-Maschinerie und drittens, dass das Leben tatsächlich wunderbar sein kann, wenn es weder Kriege noch Unterdrückung gäbe. Nachwirkend, wenn auch nicht makellos.

IT 1997 - 116 Minuten Regie: Roberto Benigni Genre: Tragikomödie / Historienfilm Darsteller: Roberto Benigni, Nicoletta Braschi, Giustino Durano, Giorgio Cantarini, Horst Buchholz, Marisa Paredes, Sergio Bustric, Amerigo Fontani
IT 1997 – 116 Minuten
Regie: Roberto Benigni
Genre: Tragikomödie / Historienfilm
Darsteller: Roberto Benigni, Nicoletta Braschi, Giustino Durano, Giorgio Cantarini, Horst Buchholz, Marisa Paredes, Sergio Bustric, Amerigo Fontani

Aimée & Jaguar

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Vor 15 Jahren wurde einer dieser ambitionierten Versuche unternommen, die Verfolgung innerhalb des deutschen Faschismus einmal unter einem anderen Aspekt zu betrachten. Aufgrund der Unmöglichkeit einer Beziehung zwischen einer Jüdin und einer „Arierin“ wird nicht nur das Momentum der „Rassentrennung“ exemplarisch thematisiert, sondern auch die gleichgeschlechtliche Liaison, die sich selbst in einem seinerzeitig demokratischen Land schwierig gestaltet hätte. Aus Gründen der Dramaturgie wich man minimal von Tatsachenberichten ab, während die Charakterentwicklungen inmitten der Berliner Szenegesellschaft geheimnisvoll anmuten, wenn auch nicht minder subtil und wegen der unsentimentalen Umsetzung besonders wirkungsvoll. Selbiges trifft auf die dichte Atmosphäre und substantiellen Dialoge zu, durch die man als Zuschauer nie vergisst, dass eine der Protagonistinnen sich stets in unmittelbarer Gefahr befindet. Die elegischen Aufnahmen, garniert mit herrlichen, aufwendigen Ausstattungselementen, entstanden größtenteils im imposanten Breslau und bebildern die tiefe Melancholie auch visuell vortrefflich. Maria Schrader und Juliane Köhler tragen den Verlauf nahezu im Alleingang mit ihren empfindsamen, nuancierten, extrem authentischen und grundverschiedenen Darstellungen und auch Wokalek sowie Makatsch gefielen mir erneut überaus gut. Desirée Nicks Szenen hätte allerdings lieber der Schere zum Opfer fallen sollen, obschon ich nicht bestreiten will, dass sie tatsächlicher besser agierte als erwartet. Trotz geringer Schwächen ist „Aimée & Jaguar“ in erster Linie ein leidenschaftlicher Film über die ebenso leidenschaftliche, unzerstörbare Liebe von Felice und Lilly, die zum Nachdenken anregt.

D 1999 - 121 Minuten Regie: Max Färberböck Genre: Genre: Historienfilm / Liebesdrama Darsteller: Maria Schrader, Juliane Köhler, Johanna Wokalek, Elisabeth Degen, Heike Makatsch, Detlef Buck, Inge Keller, Kyra Mladeck, Dani Levy, Desirée Nick, Dorkas Kiefer
D 1999 – 121 Minuten
Regie: Max Färberböck
Genre: Genre: Historienfilm / Liebesdrama
Darsteller: Maria Schrader, Juliane Köhler, Johanna Wokalek, Elisabeth Degen, Heike Makatsch, Detlef Buck, Inge Keller, Kyra Mladeck, Dani Levy, Desirée Nick, Dorkas Kiefer

Der Pianist (OT: The Pianist)

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Man sagt, die beste Form der Kunst sei stets persönlichen Naturells. Roman Polański war es, der mit seinem Geschichtsdrama der „Der Pianist“ einen Teil seiner eigenen Vergangenheit bewältigen wollte, weil er selbst zeitweise im Krakauer Ghetto aufwuchs. Die Handlung um den Musiker Władysław Szpilman deckt die sechs Kriegsjahre vollständig und historisch weitestgehend fehlerfrei ab. Damals urteilten die Kritiker, der Zweieinhalbstünder sei hinsichtlich der Wirkung eine Mischung aus „symbiotischem Schmerz“ und „ästhetischem Genuss“. Dem möchte ich mich grundsätzlich anschließen, denn es handelt sich wahrlich um eine reich ausgestattete, technisch vortreffliche, aber aufgrund von Ehrlichkeit schwer zu verdauende Kost. Freilich wurden manche Szenen in dramaturgischer Hinsicht etwas zu weit in die Länge gezogen und explizit auf das Erwirken von Emotionen angelegt, wodurch die Spannung zeitweilig nicht gehalten werden konnte, doch die zweite Filmhälfte ist wegen der zunehmenden Verdichtung die deutlich gelungenere. Die akustische Untermalung des kürzlich verstorbenen Wojciech Kilar ist wundervoll, allerdings hätte ich mir schon wegen des Titels eine höhere Anzahl an Klavierstücken gewünscht. Demgegenüber hätte ich – im Gegensatz zur Academy – das Szenenbild, welches die Enge und das schlussendliche Trümmerszenario realistisch bebildert ebenfalls mit einer Nominierung beacht. Auch Brodys intensives Spiel auf hohem Level sowie sein ungeahnter Oscarsieg stehen nicht zur Disposition, wohingegen das übrige Ensemble nicht optimal besetzt worden ist. In Summe konnte ich mich schon bei der ersten Sichtung des Eindruckes nicht verwehren, dass Polański nicht das volle Potential ausschöpfte. Nichtsdestoweniger muss das im Nachhinein verspürte, ungute Gefühl wohl in erster Linie der unbeschönigenden Gesamtwirkung zugeschrieben werden, welche die Tragweite der Phase Polens unter deutscher Besatzung weit mehr als nur oberflächlich durchdrungen hat.

F / UK / D / PL 2002 - 150 Minuten Regie: Roman Polański Genre: Historienfilm, Kriegsdrama Darsteller: Adrien Brody, Thomas Kretschmann, Frank Finlay, Emilia Cox, Maureen Lipman, Ed Stoppard, Julia Rayner, Axel Prahl, Michał Żebrowski, Jessica Kate Meyer
F / UK / D / PL 2002 – 150 Minuten
Regie: Roman Polański
Genre: Historienfilm, Kriegsdrama
Darsteller: Adrien Brody, Thomas Kretschmann, Frank Finlay, Emilia Cox, Maureen Lipman, Ed Stoppard, Julia Rayner, Axel Prahl, Michał Żebrowski, Jessica Kate Meyer

Nackt Unter Wölfen (IT: Naked Among Wolves)

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Unter der Leitung von Frank Beyer, einem der bedeutendsten DEFA-Regisseure und unter Einbeziehung des Autoren Bruno Apitz, welcher selbst jahrelang im KZ Buchenwald inhaftiert war, entstand vor einem halben Jahrhundert „Nackt Unter Wölfen“. Die unnegierbaren Vorzüge der Verfilmung liegen in der konsequenten, intentioniert schlichten Inszenierung und der beklemmenden, kammerspielartigen Atmosphäre und der inhaltlichen wie formalen Kontrastierung von Mitgefühl und Kalkül. Dabei bleibt jedoch in Teilen die Dimension des Völkermordes auf der Strecke, dennoch vermögen einige Sequenzen aufgrund gelungener Dialoge es, länger im Gedächtnis zu bleiben. Die dokumentarischen Stilmittel tragen zur Vermittlung korrekter Fakten bei und umschließen die Muttersprachen der Beteiligten. Vor allem auf darstellerischer Ebene gibt es kaum etwas zu bemängeln, da Geschonneck, Müller-Stahl und vor allem Delmare sehenswerte, fesselnde Darbietungen zeigten. Leider merkt man dem Klassiker die propagandistische Komponente, in Form von wiederholten Bezügen zu zeittypischen Idealen des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates recht deutlich an, was die Identifikation erschwert. Dies ist umso verwunderlicher, da das reglementierende „Kahlschlagplenum“ erst zwei Jahre später stattfand. Der teils übertrieben hohe, kommunistische Pathos, welche der Masse nur bedingt auffallen dürfte, hätte vermieden werden sollen, gerade weil die Geschichte um ein Kindeswohl, den Versuch zum Widerstand und die beginnenden Todesmärsche ansonsten zumeist effektvoll, leider aber doch zu langatmig arrangiert worden ist. Was folglich bleibt, ist ein sehr informativer, wenn auch letztlich nur knapp überdurchschnittlicher Moment des ostdeutschen Kinos.

DDR 1963 - 116 Minuten Regie: Frank Beyer Genre: Historiendrama / Antikriegsfilm Darsteller: Erwin Geschonneck, Armin Müller-Stahl, Fred Delmare, Gerry Wolff, Wiktor Awdjuschko, Krystyn Wójcik, Peter Sturm, Erik S. Klein, Herbert Köfer, Werner Dissel
DDR 1963 – 116 Minuten
Regie: Frank Beyer
Genre: Historiendrama / Antikriegsfilm
Darsteller: Erwin Geschonneck, Armin Müller-Stahl, Fred Delmare, Gerry Wolff, Wiktor Awdjuschko, Krystyn Wójcik, Peter Sturm, Erik S. Klein, Herbert Köfer, Werner Dissel

Napola – Elite Für Den Führer

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In Gansels erstem Kinodrama wird die Situation an einer Nationalpolitischen Lehranstalt (NAPOLA), also einem direkt der SA unterstehenden Elitegymnasium, das vor allem zur Kampfausbildung diente, exemplarisch beleuchtet. Ein effektvoll skizzierter, tiefenpsychologischer Blick auf den rabiaten Drill der männlichen Jugend unter dem Hakenkreuz mit einer großartigen Darstellung des jungen Max Riemelt – gleiches trifft weitestgehend auch auf Tom Schilling zu – sowie nahezu einwandfreie Gestaltungselemente steht dabei im Kontrast zu einer fragwürdigen Moralvermittlung. Soll uns das Jugenddrama suggerieren, dass alle Heranwachsenden, die innerhalb ihres Elternhauses zu wenig Anerkennung bekamen, sich den Nationalsozialisten unweigerlich anschließen mussten? Wenn ja, käme mir dies einerseits als extreme Vereinfachung vor, andererseits trägt dies auch einen zutiefst manipulativen Zug in sich. Schließlich beruhte die Faszination an der Ideologie nicht nur auf Motiven wie Enttäuschung oder Geltungsdrang, sondern viel mehr auf einer Dominanz des Gemeinschaftsgefühls. Eine persönliche Auseinandersetzung wird deswegen erschwert. Zudem wirken die einbezogenen SA-Lehrmeister erneut teilweise mehr als stereotyp, während die höherliegende Dimension zu stark bei Seite gedrängt worden ist. „Napola“ mag handwerklich gelungen und bezüglich der Schauspieler zweifelsohne befriedigend sein, aber leider doch zu urteilsarm und einseitig.

D 2004 - 115 Minuten Regie: Dennis Gansel Genre: Historienfilm, Jugenddrama Darsteller: Max Riemelt, Tom Schilling, Devid Striesow, Joachim Bißmeyer, Justus von Dohnányi, Michael Schenk, Florian Stetter, Alexander Held, Sissy Höfferer, Thomas Drechsel
D 2004 – 115 Minuten
Regie: Dennis Gansel
Genre: Historienfilm, Jugenddrama
Darsteller: Max Riemelt, Tom Schilling, Devid Striesow, Joachim Bißmeyer, Justus von Dohnányi, Michael Schenk, Florian Stetter, Alexander Held, Sissy Höfferer, Thomas Drechsel

Bonhoeffer – Die Letzte Stufe (OT: Bonhoeffer – Agent Of Grace)

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Dietrich Bonhoeffer zählt unter evangelischen Theologen neben Martin Luther, Friedrich Schleiermacher und Karl Barth zu den einflussreichsten Theologen der Konfession. Die Frage nach dem merkwürdig passiven Auftreten von Katholiken wie Protestanten (mit Ausnahme der „Bekennenden Kirche“) im „Dritten Reich“ ist eine unangenehme, aber wichtige, nichtsdestotrotz wird ihm die betreffende Porträtierung summa summarum nicht gerecht, weil lediglich die letzte halbe Stunde direkt Bezug auf seine Philosophie und praktische Umsetzung nimmt und der Aufbau von Spannung zu viel Zeit benötigt hat. Oft verlor man sich in sujettypischen Klischees und sprang unwirksam von Szene zu Szene, was auch das teilweise ergiebige Ensemble rund um den gut besetzten Tukur, einige starke, von ideologischer Diskrepanz lebende Momente, weitestgehende Korrektheit sowie ansehnliche Szenenbilder nicht wettzumachen vermochten. Man bleibt als Zuschauer leider zumeist unbeteiligt, weil einem die Botschaft und Entwicklung des Mannes, der die Gegenwart Jesu Christi predigte, zu fern erscheint, was durch Rückblenden oder das Einbringen zusätzlicher Informationen hätte erreicht werden können. Intentionsbezogen war die Produktion auf einem guten Weg, dennoch fehlt es an Identifikationsmöglichkeit und Nachhaltigkeit.

CA / D / USA 2000 - 88 Minuten Regie: Eric Till Darsteller: Ulrich Tukur, Johanna Klante, Robert Joy, R.H. Thompson, Tatjana Blacher, Ulrich Noethen, Susanne Lothar, Dominique Horwitz, Rosemarie Fendel, Justus von Dohnányi
CA / D / USA 2000 – 88 Minuten
Regie: Eric Till
Darsteller: Ulrich Tukur, Johanna Klante, Robert Joy, R.H. Thompson, Tatjana Blacher, Ulrich Noethen, Susanne Lothar, Dominique Horwitz, Rosemarie Fendel, Justus von Dohnányi

Operation Walküre – Das Stauffenberg-Attentat (OT: Valkyrie)

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Mit „Operation Walküre“ setzte man den Trend zur Porträtierung von Widerstandskämpfern innerhalb des Faschismus’ fort. Leider liegen zwischen dieser Veröffentlichung und „Sophie Scholl“ qualitätsbezogen Lichtjahre. Die Masse der geschilderten Ereignisse und Abläufe stützt sich nicht auf Fakten, sondern auf an den Haaren herbeigezogenen Mutmaßungen. So hat es den unterzeichneten Walküre-Plan nie gegeben, zudem war Stauffenberg nicht jemand, der Hitler persönlich hasste, sondern viel mehr seine Heimat vor noch größerem Schaden bewahren wollte. Des Weiteren missfiel mir die krampfhaft heroische Amerikanisierung, wodurch jedwede reflektierende Authentizität flöten ging. Umso verwunderlicher ist es, dass die Aneinanderreihung von Einzelszenen dennoch kaum fesselt, obwohl eigens dafür genügend dramaturgische Elemente erdacht worden sind. Die optisch soliden Ansätze wie die Reproduktion der Wolfsschanze oder aber eine passende, stakkatoartige Schnittarbeit können aufgrund dessen, dass man als Zuschauer zu keinem Zeitpunkt direkt angesprochen oder aber emotional berührt wird, wenig ausrichten. Mit Tom Cruise wurde eine absolut unglückliche und zu Recht kontrovers diskutierte Rollenbesetzung getroffen. Er hat es nicht geschafft sich in den (unreflektiert gezeichneten) Part einzufinden, sondern bleibt einfach ein Typ Mann wie er in auch in sämtlichen anderen Filmen spielen würde. Kenneth Branagh sticht aus dem überraschend hölzern agierenden Ensemble leicht hervor. Nighy, Kretschmann und Berkel hatten dagegen einfach keine Gelegenheit zur Entfaltung, da die Macher zu viele, folglich oberflächliche Charaktere einbrachten. Das allenfalls mediokre Werk scheitert letztlich ebenso in Bezug auf Nachhaltigkeit genau wie das ambitionierte Attentat vom 20. Juli 1944.

USA 2008 - 120 Minuten Regie: Bryan Singer Genre: Historiendrama / Thriller Darsteller: Tom Cruise, Kenneth Branagh, Bill Nighy, Tom Wilkinson, Carice van Houten, Thomas Kretschmann, Christian Berkel, David Bamber, Terence Stamp, Kevin McNally
USA 2008 – 120 Minuten
Regie: Bryan Singer
Genre: Historiendrama / Thriller
Darsteller: Tom Cruise, Kenneth Branagh, Bill Nighy, Tom Wilkinson, Carice van Houten, Thomas Kretschmann, Christian Berkel, David Bamber, Terence Stamp, Kevin McNally

Die Flucht

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Deutsche TV-Filme á la „Die Hindenburg“ sind für historisch Interessierte generell mit Vorsicht zu genießen, dennoch ließ ich mich letztlich von dem Umstand, dass meine Großmütter ebenfalls aus Gebieten des heutigen Polens vertrieben worden sind, dazu überreden, der Produktion eine Chance zu geben. Gelohnt hat sich das aber nicht! Die äußerst schwierige Geschichte zwischen Polen, Russland und Deutschland wurde hierin konsequent anhand von stereotypen Charakteren und fehlerhaften Chronologien verklärt und durch ein schwaches, oberflächliches, faktenarmes und uninspiriertes Drehbuch in Rosamunde-Pilcher-Manier auf ein letztlich nichtssagendes, plattes Melodram reduziert. Die extrem schwarzweißmalerische Zeichnung der Russen als das personifizierte Böse empfand ich – wie die seichten Dialoge – als beinahe unerträglich, gleiches trifft auf die weibliche Hauptfigur zu, denn diese wirkt wie eine zwanghaft in den Kontext gepresst Heldin, um die Geschichte wenigstens etwas relativieren zu können. Erst nach zwei Stunden werden die katastrophalen Umstände des Trecks von Vertriebenen aus Ostpreußen schemenhaft abgearbeitet, die einen wiederum in emotionaler Hinsicht nahezu absolut kalt ließen, was angesichts der ernsten Thematik voller Potential als absolut verheerend zu erachten ist. Hinzu kommt ein in der Gesamtheit unglaubwürdiges, hölzern agierendes Ensemble mit Maria Furtwängler an der „Spitze“. Gerade sie ist und bleibt in meinen Augen einfach eine untalentierte und grauenvoll emotionslose und künstliche Darstellerin. Die gelungenen, zeittypischen Kulissen des preußischen Adels sind zwar in der Tat nett anzuschauen, bewahren das Porträt aber nicht davor, der Materie keinesfalls gerecht zu werden. Man kann nur hoffen, dass das Sujet irgendwann erneut aufgegriffen wird – dann aber bitte mit etwas höherem Sachverstand!

D 2007 - 180 Minuten Regie: Kai Wessel Genre: Historiendrama / Melodram Darsteller: Maria Furtwängler, Jürgen Hentsch, Jean-Yves Berteloot, Frédéric Vonhof, Tonio Arango, Angela Winkler, Max von Thun, Adrian Wahlen, Stella Kunkat
D 2007 – 180 Minuten
Regie: Kai Wessel
Genre: Historiendrama / Melodram
Darsteller: Maria Furtwängler, Jürgen Hentsch, Jean-Yves Berteloot, Frédéric Vonhof, Tonio Arango, Angela Winkler, Max von Thun, Adrian Wahlen, Stella Kunkat

Hitler – Aufstieg Des Bösen (OT: Hitler – Rise Of Evil)

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Ein aus dem Horrorgenre stammender Regisseur unternahm den an sich nicht uninteressanten Versuch, den komplexen Lebenslauf Adolf Hitlers bis zum verhängnisvollen Legitimierung der Gewaltherrschaft der NSDAP im August 1934 – und scheiterte damit auf allen Ebenen grandios! Angesichts so manch dargestellter Handlungsbausteine muss man sich ernsthaft fragen, ob Duguay jemals einen Blick in Überlieferungen über den Diktator geworfen hat, denn es gibt massenhaft frei erfundene Elemente, die allesamt sensationslüstern und äußerst platt erscheinen. Trotz privater Ungereimtheiten aus der Jugend des Österreichers, rechtfertigt das nicht die Ignorierung aller Quellen über die Etappen bis zur Gleichschaltung. Man sprang lediglich übereilt, willkürlich und durchzogen von Dialogen ohne jede Substanz von Station zu Station, wodurch das Ausmaß des Ganzen nie wirklich zum Tragen kommt. Es wäre müßig, alle Fehler, verdrehten Realitäten und falschen Datierungen aufzuzählen, doch die besonders groteske Szene der Verabschiedung der Ermächtigungsgesetze sei exemplarisch als Krönung des Ganzen genannt. Den (in Unterzahl befindlichen) Sozialdemokraten zu unterstellen, sie habe den parlamentarischen Maßnahmen zugestimmt, gleicht einer Frechheit sondergleichen! Insbesondere auch das Make-Up ist erschreckend dürftig geraten und die Kulissen strotzen ebenfalls vor Augenwischereien, während die Möglichkeit, in München zu drehen, gar nicht erst in Erwägung gezogen wurde. Es mag für einen Schauspieler sicher kaum etwas Anspruchsvolleres geben als eine Figur wie Hitler zu verkörpern, dennoch liefert Carlyle eine teils bizarre und durchgehend unglaubwürdige Vorstellung. Peter O’Toole erhielt für Rolle des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zu Recht eine Emmy-Nominierung, wenngleich er selbst mit seinem Talent nicht in der Lage war, gemeinsam mit den ebenfalls solide agierenden Kollegen Margulies und Schreiber gegen das miserable Drehbuch anzukämpfen. Verwundern tut es mich nicht, dass der anfangs bereitstehende Historiker letztlich darauf bestand, auf keinen Fall im Abspann erwähnt zu werden…

CA / USA 2003 - 180 Minuten Regie: Christian Duguay Genre: Historienfilm / Biographie Darsteller: Robert Carlyle, Stockard Channing, Jena Malone, Julianna Margulies, Matthew Modine, Liev Schreiber, Friedrich von Thun, Peter O’Toole, Chris Larkin
CA / USA 2003 – 180 Minuten
Regie: Christian Duguay
Genre: Historienfilm / Biographie
Darsteller: Robert Carlyle, Stockard Channing, Jena Malone, Julianna Margulies, Matthew Modine, Liev Schreiber, Friedrich von Thun, Peter O’Toole, Chris Larkin
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