Nicht nur unter Filmkritikern hat sich in den letzten Jahren die landläufige Meinung manifestiert, dass auf jeden qualitativ hochwertigen Film von Woody Allen ein schlechter folgt. Wenngleich ich dies nicht vollumfänglich bestätigen möchte, trifft es dennoch zu, dass er inmitten einer produktiven Trockenphase ein besonders signifikantes Werk veröffentlichte, das auch vielen Personen zusagte, die den New Yorker nicht unbedingt als ihren favorisierten Regisseur bezeichnen würden. In Folge von vier Golden-Globe-Nominierungen in sämtlichen Hauptkategorien wurden im Jahr 2006 eigentlich alle Weichen für eine Oscarnacht voll von multiplen Nennungen gestellt, doch bedauerlicher und unverständlicher Weise wurde einzig und allein das einmal mehr herausragende Drehbuch unter die kategoriale Top-5 gewählt. Dies kommt aus meiner Sicht mit einem Abstand von inzwischen über einem Jahrzehnt zur Erstveröffentlichung aus mehreren Gründen einem Skandal gleich und gerade während meiner Teenagerphase haben mich nur wenige Kinoproduktionen derart geprägt wie ebendiese…
„Match Point“ vereint schlicht und ergreifend alle simplen und gleichermaßen anregenden Zutaten, die für ein originelles und unkonventionelles Drama mit kammerspielartigen Zügen notwendig sind, das augenscheinlich nicht krampfhaft beabsichtigt, den Bevölkerungsquerschnitt anzusprechen und beleuchtet den Werdegang eines attraktiven Londoner Tennislehrers, der per Zufall in eloquente Kreise einheiratet und in ein Gefühlschaos gerät. Insbesondere der elegant vollzogene Wechsel von der zunächst gemächlichen, fast schon belanglosen Anfangsphase hin zu einer intensiven und in jeder Faser durchdachten Genremischung, in welcher sich sexueller Reiz, die exemplarische Bebilderung sämtlicher Gesellschaftszwänge der High Society und wohldosierte Spannung ebenso entfalten können wie brillante, nuancierte Dialoge voller moderater Gesellschaftskritik, lässt den vortrefflich betitelten, eventuell fünf Minuten zu langen Film zu einem aufwühlenden und nachwirkenden Ereignis avancieren. Trotz intentionierter Überspitzungen erscheint das in einem vollends überraschenden Finale mündenden Handlungsgefüge geradezu schmerzhaft realistisch und wird schlussendlich zur kriminalistisch-kühlen Parabel erhoben, die dem Publikum unmoraliserend vor Augen führt, in welchem Maße ein unbescholtenes Individuum durch den Zusammenprall von finanziellen Ambitionen und Ehrgeiz in Relation zu menschlichen Grundbedürfnissen wie Leidenschaft in Bedrängnis geraten kann.
Zur inhaltlich-dramaturgischen Raffinesse gesellen sich überdies in Form einer hypnotischen, emotionsfokussierten Kameraarbeit, auffallend geduldigen Schnitten, ideal gewählten Sets und einer aus expressiven Opernstücken bestehenden Musikuntermalung erlesene und exakt an den entscheidenden Momenten auftrumpfende Stilmittel und – noch viel wichtiger – eine durchgängig überzeugende Schauspielriege. So liefert speziell die junge, kurz zuvor mithilfe von „Lost In Translation“ ihren Durchbruch feiernde Scarlett Johansson eine gewandte und laszive, gleichermaßen glaubhaft fragile Performance, die längerfristig im Gedächtnis bleibt und wohl nur knapp an der Oscarnominierung vorbeigeschrammt sein dürfte beziehungsweise müsste. Doch auch der über mehrere Serienstaffeln mit der Verkörperung des Tudor-Monarchen Heinrich VIII. brillierende Jonathan Rhys Meyers agiert sowohl mit müheloser Präsenz und nachfühlbarer Zerrissenheit. Ihm gelingt es, die Hauptrolle als zweifelhafte Identifikationsfigur meisterhaft auszufüllen, sodass ich in seinem Fall von Karrierebestleistung sprechen möchte, während Emily Mortimer, Matthew Goode und Penelope Wilton ansehnliche Nebendarstellungen boten.
Analog zu anderen, psychologisch tiefschürfenden Werken wie „Little Children“ und zuletzt „Raum“ funktioniert auch Allens 35. Regieführung, die der keinesfalls eindeutigen Definition des Begriffs „Glück“ zur Diskussionsgrundlage aufrichtet, am effektivsten wenn man vorab absolut nichts über die Handlung weiß oder aber nicht einmal den Trailer zu Gesicht bekommen hat. „Match Point“ stellt nicht nur eine eigenwillige und grandiose, auf das Wesentliche fokussierte Charakterstudie sowie einen nahezu perfekten Ensemblefilm dar, sondern auch das vielleicht stärkste aller Dramen innerhalb der langen Filmographie des wohl berühmtesten Sohnes der niemals schlafenden Stadt. Bravissimo!