Innerhalb der aktuellen, meiner persönlichen Meinung nach noch ausbaufähigen Filmsaison ist es als unschätzbarer Triumph anzusehen, endlich eine lang ersehnte, seit heute offiziell in den deutschen Lichtspielhäusern laufende Filmproduktion zu Gesicht zu bekommen, welche die eigenen Erwartungen nicht nur zu erfüllen wusste, sondern sie sogar noch deutlich übertreffen konnte. Nach einer kreativen Pause von rund sieben Jahren ist es dem Modeschöpfer Tom Ford in gleichzeitiger Funktion als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent gelungen, einen spannungsreichen und genial betitelten Psychothriller im Neo-Noir-Stil zu kreieren, der sich keinesfalls hinter seinem bahnbrechendem, hochemotionalen Debüt „A Single Man“ verstecken muss. Ohne sich in irgendeiner Form bei der allgemeinen Zuschauerschaft lieb Kind machen zu wollen, fungiert die ausgeklügelte Genremischung sowohl als konsequent inszenierte, düstere Studie über die häufig diskutierte Verrohung der Gesellschaft als auch als physisch wie psychisch extrem aufwühlende Parabel für die Abrechnung einer vor Jahren zerbrochenen Ehe.
Uraufgeführt im Rahmen der 73. Filmfestspiele von Venedig im September, schildert „Nocturnal Animals“ die Geschichte der Galeristin Susan, die von ihrem Exmann nach Jahren der Funkstille ein aufwühlendes Manuskript erhält, das unversehens Parallelen zu ihrer eigenen Vergangenheit offenlegt. Bereits die in absolut jeder Hinsicht skurrile Eröffnungssequenz weckt nicht nur eine befremdliche Art der Neugier, sondern setzt zugleich ein surreales, vielseitig deutbares Statement, das in Summe den gesamten Film durchzieht wie ein roter Faden. Forciert wird vor allem die allegorische Gegenüberstellung zwischen der überzeichneten, hochpolierten Ästhetik der neureichen Gesellschaft und der rauen, texanischen Ödnis, die symbolisch für die zwei divergenten Handlungsstränge steht, die sich durch Rückblenden und Einbeziehung der Buchinhalte schrittweise in überaus intelligenter Weise miteinander zu einer fesselnden Einheit verbinden. In diesem Zusammenhang besticht die optische Sphäre bis ins kleinste wohlgewählte Detail, denn die fabelhafte, hypnotisch angelegte Kameraführung von Seamus McGarvey entwickelt einen ungewöhnlichen Sog und sorgt im perfektionistischen Zusammenspiel mit herausragender Schnitt-, Masken- und Tonarbeit sowie den in den entscheidenden Momenten anschwellenden Kompositionen des Polen Abel Korzeniowski, der bereits in „A Single Man“ und „W.E.“ Großes geleistet hat, für eine zwischen Verängstigung, Schonungslosigkeit und Bittersüße pendelnde Atmosphäre. Obwohl einem speziell die dramaturgisch-inszenatorische Eiseskälte förmlich ins Gesicht weht und nicht zuletzt aufgrund rabiater, sarkastischer Dialoge den Atem mehrfach zum Versiegen bringt, verliert Ford nicht eine Sekunde den dichten, psychologischen Fokus aus den Augen und bewahrt das stetige Interesse an seinen zunehmend ambivalenter anmutenden Protagonisten. Auch die intentionierte Konzentration auf ein kleines, schrittweise zur Hochform auflaufendes Ensemble bildet nichts anderes als eine Offenbarung, in der vor allem Amy Adams und Jake Gyllenhaal kongruente, oscarwürdige Leistungen darbieten konnten und mithilfe von Authentizität und spürbarer innerer Zerrissenheit zum Dreh- und Angelpunkt des Gesehenen avancieren, obwohl die beiden in nur wenigen Szenen miteinander auftraten. Auf der anderen Seite boten auch Michael Shannon und der als Psychopath brillierende Aaron Taylor-Johnson herausragende, einander trotz der Verschiedenartigkeit ebenbürtige Darbietungen und enorme Präsenz, die das Gedächtnis nicht so schnell wieder verlassen dürften, während Laura Linney in einem extravaganten, nur vier Minuten andauernden Gastauftritt als snobistische Mutter regelrecht brillieren konnte.
Nach der Sichtung des Zweistünders durchzog eine selten erlebte, gespenstische Stille den Kinosaal, die das Publikum nachdenklich und gleichermaßen verstört zurücklässt. „Nocturnal Animals“ stellt zweifelsohne keine Unterhaltung für den Querschnitt der breiten Bevölkerung dar, sondern richtet sich an ein gereiftes und anspruchsvolles Publikum, das bereit ist, sich der tiefgreifenden Metaphorik zu stellen. In diesem Fall vermag die Produktion, zu den intensivsten und originellsten Kinoerlebnissen der letzten Jahre zu avancieren, in dessen Gestalt Tom Ford der Gattung des Psychothrillers ohne Abstriche gerecht werden konnte und sie in vielen Belangen sogar übertraf. Abschließend bleibt inständig zu hoffen, dass die Mitglieder der Academy sich nicht allein von der augenscheinlichen Sperrigkeit des Dargebotenen beeinflussen lassen und in Folge dreier Golden-Globe-Nominierungen weitere, hochverdiente Würdigungen folgen werden. Ein modernes Meisterwerk!