The Favourite – Intrigen & Irrsinn (OT: The Favourite)

© Fox Searchlight Pictures

Die Oscar-Karriere des 45-jährigen Giorgios Lanthimos begann vor exakt einer Dekade mit dem surrealistischen Gleichnis „Dogtooth“ (Κυνόδοντας), welches als bisher einzige griechische Entsendung des neuen Jahrtausends eine Nominierung als „Bester Fremdsprachiger Film“ erhielt. Seitdem untermauerte er in Form von „The Lobster“ und „Killing Of A Sacred Deer“ seinen Ruf als einer der eigenwilligsten, europäischen Regisseure unserer Zeit. Nach diesen filmischen Experimenten mit apokalyptischer, definitiv nicht massentauglicher Prägung wagte sich der gebürtige Athener nun erstmals an ein historisches Sujet inmitten einer Phase der Frühen Neuzeit, die bisher auf Leinwandebene selten betrachtet worden ist. Im Zentrum von „The Favourite – Intrigen & Irrsinn“ steht die Regentschaft von Anne, dem ersten Oberhaupt des 1707 begründeten Königsreichs Großbritannien sowie deren Verhältnis zu zwei ihrer einflussgewinnenden Hofdamen. Wer allerdings eine steife Historienstunde nach althergebrachten Mustern erwartet, wird rasch eines Besseren belehrt werden, denn das für zehn Academy Awards vorgeschlagene, bissig-ironische Werk bildet den vermutlich unkonventionellsten, mutigsten Kinobeitrag der aktuellen Saison.

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Bereits im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig uraufgeführt, darf die passend betitelte Genremixtur seit Donnerstag auch hierzulande einer Sichtung unterzogen werden. Dass ebendies einem Privileg gleichkommt, kristallisiert sich schnell heraus, denn Lanthimos konfrontiert den Zuschauer unmittelbar mit scharfzüngigen Wortgefechten von brillant-satirischer Cleverness und einer über die Maßen detaillierten Schilderung des höfischen Lebens voller Dekadenz und Weltfremdheit, ohne dabei das Gespür für den historischen Kontext aus dem Fokus zu verlieren. Schon nach kurzer Zeit entfalten sich sowohl laszive und politische Ränkespiele als auch Klassenunterschiede eindrucksvoll, während klassische Gender-Perspektiven reihenweise und höchst unterhaltsam ad absurdum geführt werden. Ob die Beziehung der drei Protagonistinnen in der Tat vergleichbar eng gewesen ist, ist historisch zwar umstritten, dennoch beschleicht einen in der Rolle des Zuschauers das fortwährende Gefühl, dass es sich genau so ereignet haben könnte, sodass man den Film auch eine etwa zehnminütige Überlänge mit Freuden verzeiht. Die von ideal platzierten, barocken Klängen durchzogene Inszenierung als solche ist ein optischer Hochgenuss, der keine Wünsche offen lässt, da die die jeweiligen, vom Spiel mit Kerzenlicht bestimmten Stillmittel wie Zahnräder stets geschmeidig und wohlüberlegt ineinandergreifen. Ursächlich dafür ist nicht nur die geradezu grenzerweiternde Arbeit Kameraarbeit und das Wirken des mehrfach vom Regisseur engagierten Cutters Mavropsaridis, sondern auch die erstklassige Auswahl von Sets an Originalschauplätzen sowie Kostüme und Make-Up von perfektionistischer Qualität.

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Fernab aller Diskussionen im Hinblick auf die kategoriale Einteilung erzeugen alle drei Damen einen außergewöhnlich starken Eindruck und lassen erneut großes Bedauern verspüren, dass die „Academy of Motion Arts & Sciences“ nach wie vor keine Notwendigkeit darin sieht, die „Beste Ensembleleistung“ zu prämieren. Olivia Coleman mimt die Monarchin, die bereits als körperliches Wrack und gezeichnet von mehr als einem Dutzend an Fehl- und Totgeburten den Thron bestieg mit tragikomischer Färbung, während Emma Stone mit scheinbarer Leichtigkeit und in der Funktion der eigentlichen Hauptdarstellerin die vermutlich beste, facettenreichste Leistung ihrer Laufbahn offeriert. Eine Nasenlänge vor den Mitstreiterinnen bewegt sich allerdings Rachel Weisz, welche die Figur der Sarah Churchill eher lebt als sie lediglich zu spielen und dank eiskalter Brillanz und szenestehelnder Präsenz regelrecht fesselt. Letzten Endes halten Nicholas Hoult und Joe Alwyn die sprichwörtliche Ehre der Herren aufrecht und runden die rundum energetische, erlesene Darstellerriege ab.

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Mit „The Favourite“ ist in Summe einer der vielleicht ungewöhnlichsten, drastischsten und ausgeklügelsten Filme vor historischer Kulisse seit Langem entstanden, der einen während des Abspanns im übervollen Kinosaal gedachten Adjektiven wie „genial“ und „geil“ zurücklässt. Angesichts der fehlerfreien, handwerklichen Dimension, des schauspielerischen Feuerwerks dreier ebenbürtiger Damen und einer Vulgarität von brillanter Herrlichkeit kann „The Favourite – Intrigen & Irrsinn“ lediglich als modernes Gesamtkunstwerk betrachtet werden, das nicht danach strebt, sich bei der gesamten Menschheit lieb Kind machen zu wollen und hoffentlich entsprechende Anerkennung erfahren wird. Schon jetzt freue ich mich auf die Zweitsichtung in Originalsprache, die vermutlich weitere fantastische Dialoge ergeben wird.

IE / UK / USA 2018 – 120 Minuten
Regie: Giorgos Lanthimos
Genre: Schwarze Komödie / Historienfilm
Darsteller: Emma Stone, Olivia Colman, Rachel Weisz, Nicholas Hoult, Joe Alwyn, Mark Gatiss, James Smith, Jenny Rainsford
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