Porträt einer jungen Frau in Flammen (OT: Portrait de la jeune fille en feu)

Porträt einer jungen Frau in Flammen mit Adele Haenel
©Alamode Film

Schon viele Leute haben der Pariser Malerin Marianne (Noémie Marchant) Modell gestanden, entsprechend routiniert ist sie bei der Arbeit. Doch dieses Mal ist alles anders! Im Jahre 1770, nicht von ungefähr kurz vor der französischen Revolution, erhält sie den Auftrag der verwitweten Gräfin (Valeria Golino) ein Porträt von deren Tochter Héloïse (Adèle Haenel) anfertigen, anlässlich der bevorstehenden Hochzeit. Da Héloïse jedoch weder diese Hochzeit noch ein Bild von sich will, bleibt Marianne nichts anderes übrig, als unter einem Vorwand viel Zeit mit ihr zu verbringen und sie später aus dem Gedächtnis zu malen. Im Laufe dieser Zeit kommen die beiden sich immer näher, bis Héloïse mehr als nur ein Modell für Marianne geworden ist …

In den letzten Jahren hat sich die Französin Céline Sciamma als Expertin für die Auseinandersetzung mit Frauenbildern etabliert. Mit scharfem Blick beobachtet die Regisseurin und Drehbuchautorin ihre Protagonistinnen, hat dabei sowohl über sie wie auch das Umfeld, in dem sie leben, eine Menge zu erzählen. Dies geschieht oft ohne Worte. Auch verzichtet sie auf eine größere Handlung. Stattdessen gibt sie der Geschichte die Zeit, sich langsam zu entwickeln und viele Fragen geradezu beiläufig aufkommen zu lassen.

Wenn die beiden Frauen allein Zeit auf dieser Insel verbringen, weil die Mutter unterwegs ist, dann hat der Ort etwas von einem kleinen Paradies, ähnlich gelagert wie der Brokeback Mountain, an dem die Gesetze der realen Welt nicht mehr gelten. Ein bisschen unwirklich sind die menschenleeren Landschaften, an denen sich die Kamerafrau Claire Mathon nicht sattsehen kann. Und wer wollte es ihr verdenken? Zusammen mit der sehr ruhigen Erzählweise und einer Soundkulisse, die vorwiegend aus Meeresrauschen und Windpfeifen besteht, entsteht ein gleichzeitig betörendes wie raues Setting, nah dran an dieser Welt und doch auch ganz weit weg.

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Ohnehin sind die Bilder großartig, was mehr als angemessen ist für einen Film, der – zumindest zum Teil – im Bereich der Kunst unterwegs ist. Einige Passagen von Porträt einer jungen Frau in Flammen handeln von der Beziehung zwischen Künstler und Motiv. Wie nahe muss man diesem sein, um es in Form eines Bildes einfangen zu können? Und ist es überhaupt möglich, das Wesen derart zu erfassen? Doch im weiteren Verlauf rücken diese eher philosophischen Fragen in den Hintergrund, wenn sich Sciamma ganz auf die beiden Frauen und deren allmähliche Annäherung konzentriert. Auch hier lässt es die Französin ruhiger angehen, erzählt ihre Geschichte überwiegend durch Blicke, mal flüchtiger, mal ausführlicher. Das subtil gespielte Drama, das bei den Filmfestspielen von Cannes Weltpremiere feierte, baut in aller Seelenruhe Hindernisse ab, die sowohl gesellschaftlicher wie auch persönlicher Natur ist, bis irgendwann die Frauen selbstbestimmt ihr Leben und einander genießen.

Unterbrochen werden diese Passagen durch kleine Höhepunkte, etwa eine gleichzeitig schöne wie surreale Auseinandersetzung mit dem Thema Abtreibung, die hier endgültig zum Abbau aller künstlichen Schranken führt. An diesen Stellen entdeckt der Film, der so frostig begann, eine Wärme und Herzlichkeit, die einen selbst Jahrhunderte später noch beglückt und den Film bei aller Distanz zu einem sehr menschlichen machen.

Neben der superben Kameraarbeit und dem herausragendem Drehbuch, welches voller Subtext steckt und unter anderem in Cannes, als auch beim Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde, sind vor allem die Darsteller Adéle Haenel, Noémie Merlant und Newcomerin Luána Bajrami zu erwähnen, die alle zurecht für den César, dem französischen Pendent zum amerikanischen Oscar, nominiert waren und mit ihrem subtilen Spiel die feinen Nuancen des Drehbuchs spürbar werden lassen.

Porträt einer jungen Frau in Flammen ist zwar ein Historiendrama, aber dem Sinn nach ein utopisches. Sciamma geht in die Vergangenheit zurück, um die Zukunft zu erforschen. Dabei gelingt ihr ein Kostümfilm, der auf wundersame Weise zeitlos aussieht. Die historische Wahrscheinlichkeit überschreitet die Geschichte von Marianne und Héloïse genau so weit, dass sie sich nicht im Irrealen verliert. Die Frauen sind ein Liebespaar auf Zeit, das sich physisch aber sinnlich nicht verliert. Der Blick, den Marianne am Ende zu Héloïse schickt, hat auch nach Jahren noch entflammende, bannende Kraft. Sie sitzen weit voneinander entfernt in einem Kraftwerk der Gefühle, der Mailänder Oper. Es ist ein rauschhafter Kino-Moment zu Vivaldis Vier Jahreszeiten, der noch lang nachwirkt. So muss großes (Gefühls)Kino sein!

Frankreich 2019 – 122 Minuten
Regie: Cécile Sciamma
Genre: Drama / Romanze
Darsteller: Noémi Merlant, Adéle Haenel,  Luána Bajrami, Verleria Golino
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