The Trial of the Chicago 7

© Netflix

In einer unkalkulierbaren Zeit wie der unseren, in der Kinostarttermine reihenweise verschoben werden und die Existenz vieler Lichtspielhäuser auf dem Spiel steht, erweist es sich als Glücksfall, dass Streamingdienste wie Netflix existieren. Ebendort wurde gestern mit „The Trial of the Chicago 7“ die zweite Regiearbeit von Aaron Sorkin über ein bedeutendes Kapitel angloamerikanischer Zeitgeschichte veröffentlicht, für das zeitweise Steven Spielberg im Gespräch war und in dessen Zentrum ein Schauprozess des Jahres 1968 steht. Dass ein Werk mit unverhohlen antirepublikanischer Grundstimmung wenige Wochen vor der mutmaßlichen Wiederwahl von Donald Trump erscheint, geschah keinesfalls zufällig, denn die Grundaussage ist von deutlichem Naturell und prangert nicht zuletzt dank starker Dialoge juristische Willkür an. Problematisch wirkt die erste Dreiviertelstunde der Chronik, da ebendiese allzu gemächlich, wenn nicht sogar zähflüssig in Szene gesetzt worden ist und an die Wirkungsästhetik diverser N24-Dokus erinnert. Gerade weil man das wortreiche Drama im Geiste der Hippie-Kultur vom heimischen Sofa aus sichten kann, besteht die Gefahr, dass der Betrachter abschaltet, bevor die Dramaturgie entscheidend an Fahrt gewinnt. Infolgedessen steigert sich das Gebotene entscheidend und fesselt nicht nur dank einer genialen Schnittarbeit, eines Gespürs für Spannung und geschliffenen, tief sarkastischen, juristischen Vokabulars, sondern mithilfe seines namhaften, stets gleichberechtigt agierenden Schauspielensembles. Aus diesem stechen neben vielen, überzeugenden Gastauftritten speziell die Oscargewinner Eddie Redmayne und Mark Rylance mit absolut denkwürdigen Darbietungen hervor, aber auch der als „Ali G.“ bekannt gewordene Sacha Baron Cohen, welchen man zuvor in dieser ernsthaft-ironischen Form noch nicht erleben durfte. „The Trial of the Chicago 7“ steht seit allen Netflix-Abonnenten zur Verfügung und überzeugt auf vielen, wenngleich nicht allen Ebenen. Gelegentlich einen Hauch zu berechnend, jedoch in Summe souverän, sei die Inaugenscheinnahme insbesondere all jenen ans Herz gelegt, die über ein gewisses Maß an Geduld sowie historische Kenntnisse und eine Affinität für Justizdramen verfügen.

USA 2020 – 129 Minuten
Regie: Aaron Sorkin
Genre: Justizdrama / Thriller
Darsteller: Eddie Redmayne, Sacha Baron Cohen, Mark Rylance, Alex Sharp, Jeremy Strong, Noah Robbins, John Carroll Lynch, Frank Langella, Yahya Abdul-Mateen II, Joseph Gordon-Levitt, Michael Keaton, William Hurt
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