Queer Cinema (# 6)

Nachdem in den vorangegangenen Ausgaben der Artikelserie vor allem US-amerikanische Filmproduktionen unter die Lupe genommen worden sind, sollen diesmal fünf Werke im Fokus stehen, die allesamt in Good Old Germany produziert worden sind. Allzu oft steht die deutschsprachige Filmlandschaft in der Kritik und muss sich Vorwürfen aussetzen, dass sie facettenarm, eindimensional und in kreativer Hinsicht oft unkreativ und zu wenig risikofreudig sei und sich allzu häufig am Mainstream orientiere. Insbesondere den Belangen und Wünschen der LGBT-Community wird dabei nur sporadisch entsprochen und es wirkt oft, als würden gelungene Kinoproduktionen mit schwulen oder lesbischen Protagonisten in etwa so selten auftreten wie ein 29. Februar. In der mittlerweile sechsten Ausgabe der Artikelserie soll zumindest partiell ein Versuch unternommen werden, dieser Sichtweise entgegenzutreten, denn drei der fünf vorgestellten Filme aus vier verschiedenen Dekaden erweisen sich durchaus als uneingeschränkt sehenswert und beispielgebend.

Aimée & Jaguar

© Senator Film

Annähernd 65 Millionen Menschen – diese Zahl lässt einem noch immer das Blut in den Adern gefrieren – verloren während und in Folge des Zweiten Weltkriegs ihr Leben. Neben Juden, Kommunisten, geistig behinderten Menschen und Systemkritikern fielen auch geschätzt 10.000 Homosexuelle dem faschistischen Rassenwahn in den Konzentrationslagern zum Opfer. Obwohl sich das Leinwanddebüt von Max Färberböck nur am Rande mit der vorgenannten Dimension beschäftigt, ist die allgegenwärtige Bedrohung für das namensgebende, lesbische Liebespaar, von denen eine außerdem jüdischer Herkunft ist, stets in bittersüß-düsterer Weise präsent. Aus dramaturgischen Gründen weicht die Handlung leicht von den verbürgten Tatsachen ab, dennoch ist das Gebotene vor allem eine grandios gespieltes, psychologisch dichtes Lehrstück gegen Unterdrückung und lässt die facettenreiche, im Untergrund agierende Berliner Szenegesellschaft der 30er und 40er wiederaufleben, obwohl das malerische Breslau als primärer Drehort fungierte. Durchzogen von Melancholie und einer gewissen Subtilität, was die Nebencharaktere anbetrifft, sind es vor allem die feinsinnigen Dialoge, die im Gedächtnis bleiben, viel mehr jedoch die nuancierten, authentischen und sich perfekt ergänzenden Darstellungen von Maria Schrader und Juliane Köhler, welche seinerzeit im Rahmen des Berlinale ausgezeichnet wurden und auch Heike Makatsch beweist binnen weniger Minuten, warum sie oft (und völlig zu Recht) zu den besten Darstellerinnen unseres Landes gezählt wird. Trotz geringer Schwächen im Mittelteil ist „Aimée & Jaguar“ in erster Linie ein leidenschaftlicher Film über die ebenso leidenschaftliche, unvergängliche Liebe von Felice und Lilly, die auch in Zeiten, in denen gleichgeschlechtliche Paarungen gesetzlich gleichgestellt und öffentlich weitgehend akzeptiert sind, zum Innehalten und Nachdenken anregt.

D 1999 – 121 Minuten
Regie: Max Färberböck
Genre: Historiendrama / Romanze
Darsteller: Juliane Köhler, Maria Schrader, Johanna Wokalek, Elisabeth Degen, Heike Makatsch, Detlev Buck, Inge Keller, Kyra Mladeck, Dani Levy, Désirée Nick, Dorkas Kiefer, Ulrich Matthes

Coming Out

© DEFA

Als denkwürdiger Zufall erweist es sich, dass ein Drama exakt am Tag des Mauerfalls seine Uraufführung erlebte, das zugleich die Sonderstellung als einziger DDR-Film mit homosexueller Thematik innehat und dessen Fertigung auf Drängen des SED-Regimes jahrelang vehement unterbunden wurde. Der von angenehm zurückhaltender, sichtbarer Neugier und Begierde durchzogenen Produktion merkt man auch ohne dieses Wissen überdeutlich an, dass er in einer Phase des gesellschaftlichen Umbruchs geschaffen wurde und wirkt daher trotz seiner behutsamen Herangehensweise wie ein Befreiungsschlag nach 40 Jahren voller Repression. Ohne jedwede voyeuristischen oder aber vorführenden Tendenzen wird das Publikum anhand des Lehrers Philipp Zeuge eines Individuums von nebenan, dessen Leben durch das durch eine zufällige Begegnung eine Existenzkrise erfährt. Insbesondere der Fokus auf den ureigenen Willen, sich Dinge ausreden zu wollen sowie die seinerzeitigen Folgen einer öffentlichen Beziehung zwischen zwei Männern wurde bis zum Schluss nicht aus den Augen verloren und die inhaltliche Brisanz durch eine behutsame Inszenierung mit zurückgenommenen Klängen, lebensnahen Dialogen und ruhiger Kameraführung verstärkt. Darüber hinaus zeichnen sich die Darsteller, allen voran Protagonist Matthias Freihof, durch ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Glaubwürdigkeit aus. Wenngleich manche Elemente aus der Perspektive eines Jahres 2021 keinen optimalen Alterungsprozess durchlaufen haben und die Inszenierung gewisse Auslassbarkeiten enthält, kann der Film dennoch als wichtiges, couragiertes Zeitdokument und als Appell gegen staatliche Reglementierung verstanden werden.

DDR 1989 – 113 Minuten
Regie: Heiner Carow
Genre: Erotikdrama
Darsteller: Matthias Freihof, Dagmar Manzel, Dirk Kummer, Michael Gwisdek, Werner Dissel, Gudrun Ritter, Walfriede Schmitt, Axel Wandtke, Pierre Bliß, Gudrun Okras

Darkroom – Tödliche Tropfen

© missingFILMs

Eines der letzten deutschsprachigen Werke, das vor dem ersten landesweiten Shutdown (größtenteils in urbanen Programmkinos) über die Leinwand flimmerte, war „Darkroom“, der auf einem authentischen Kriminalfall aus dem Jahre 2012 basiert, bei dem ein Altenpfleger innerhalb weniger Wochen im Berliner Schwulenmilieu insgesamt drei Morde und zwei weitere Tötungsversuche mithilfe von überdosiertem Liquid Ecstasy beging. Der regieführende Aktivist und Träger des Bundesverdienstkreuzes Rosa von Praunheim ist durchaus nicht bekannt für leichte Kinokost oder aber die Einhaltung von Konventionen sowie politischer Korrektheit und so verwundert es nicht, dass er auch diesmal etwas zuwege gebracht hat, das vielfach Fragezeichen hinterlässt und aufgrund seiner synthetischen Gestaltung gleichermaßen irritiert als auch provoziert. Aus der Perspektive des Täters erzählt, liegt die Stärken ironischerweise in den wenigen sensiblen Momenten, die sich zwischen dem Protagonisten und jeweils einer anderen Person abspielen, während die Schilderung der Hauptstadtszene selbst bei größtem Wohlwollen extrem überzeichnet worden ist. Weil die Anzahl an Zeitsprüngen immens ist, fällt es schwer, dem Handlungsverlauf folgen zu können, weswegen das Gebotene oft informiert und eine Chronologie skizziert, aber nur gelegentlich involviert. In der Rolle des Protagonisten liefert der gebürtige Mazedonier Božidar Kocevski eine starke Leistung, allerdings mangelt es dem Rest des Ensembles an darstellerischem Fokus. Nachdem Katy Karrenbauer bereits über eine 8-jährige Erfahrung als Insassin im TV-Frauenknast verfügte, schlüpfte sie nun in die Rolle der Staatsanwältin und gibt ihr Bestes, um den wiederkehrenden Szenen im Gerichtssaal Würde zu verleihen. Seltsamer Weise positioniert sich der Film selbst allzu selten als deutliche Warnung vor Partydrogen oder anonymen Männerbekanntschaften und Praunheim hütet sich davor, die Tätermotive zu verurteilen oder ihnen in irgendeiner Form Absolution zu erteilen. Vor allem deswegen ist „Darkroom – Tödliche Tropfen“ zwar ein LGBT-Film mit ambitionierten Ansätzen, der jedoch die Hälfte seines Potentials ungenutzt liegen lässt und sich letztlich verzettelt.

D 2019 – 89 Minuten
Regie: Rosa von Praunheim
Genre: Kriminaldrama
Darsteller: Božidar Kocevski, Heiner Bomhard, Katy Karrenbauer, Sohel Altan Gol, Christian Wewerka, Konstantin Bez, Oliver Sechting, Julia Blankenburg, Bardo Böhlefeld, Bastian von Bömches

Kondom des Grauens

© Troma Entertainment

Man muss wohl dem Lockdown eine Teilschuld dafür geben, dass man inzwischen sogar offen für Produktionen ist, deren Titel eigentlich schon mit dem Zaunpfahl winkend verrät, dass es sich um zelluloidgewordene Lebenszeitverschwendung handelt, dennoch soll es ja durchaus schlechte Filme geben, denen man einen gewissen Entertainment-Faktor attestieren kann. „Kondom des Grauens“ zählt jedoch nicht dazu und ist in etwa so witzig wie eine Bindehautentzündung. Der comicbasierte Film von den Produzenten von „Der Bewegte Mann“ ist ein prädestiniertes Beispiel für unfreiwillige Komik und Planlosigkeit, zentriert dümmliche Charaktere, grenzdebile Wortwechsel und eine Darstellerriege, die wirkt, als hätte sie vor Drehbeginn entweder ein Betäubungs- oder aber Aufputschmittel erhalten. Nicht nur im Hinblick auf schwule Klischees erweitert das groteske Machwerk die Grenzen der Lächerlichkeit einige Meter weiter nach unten. Selbst wenn man als Betrachter der Präservative, die inmitten der New Yorker Szenegesellschaft ein Eigenleben entwickeln, sein Hirn komplett in den Offline-Modus versetzt, dominiert Fremdscham und Erlösungsgedanken. Weder als Kriminalfilm, Komödie oder aber Persiflage taugend, gilt der Anderthalbstünder nicht von ungefähr als eine der größten Schandtaten der deutschen Kinogeschichte. Mit Fassungslosigkeit muss man sich letztlich fragen, was insbesondere Iris Berben dazu bewogen hat, eine Rolle in diesem dilettantischen Schund anzunehmen.


D 1996 – 90 Minuten
Regie: Martin Walz
Genre: Horrorkomödie / Kriminalfilm
Darsteller: Udo Samel, Peter Lohmeyer, Iris Berben, Leonard Lansink, Marc Richter, Evelyn Künneke, Hella von Sinnen, Heribert Sasse, Meret Becker, Gerd Wameling, Otto Sander

Sommersturm

© X Verleih AG

Als ähnlich prägend für viele Teenager inmitten ihrer Selbstfindungsphase wie der bereits hinlänglich rezensierte „Brokeback Mountain“ erwies sich eine Produktion des Spätsommers 2004, die immerhin rund 300.000 Zuschauer in die Kinosäle locken konnte und sich inzwischen zu einer zeitlosen Genre-Konstante mit unbestreitbarem Kultfaktor entwickeln konnte. „Sommersturm“ erzählt die Geschichte des begeisterten Rudersportlers Tobi, der sich in seinen besten (heterosexuellen) Freund Achim verliebt und inmitten eines Zeltlagers nicht nur zum Angriff auf ihn ansetzt und die Freundschaft riskiert, sondern auch erste Erfahrungen mit „Ufergenossen“ sammelt. Dass der regieführende, wiederholt auf autobiographische Einschübe setzende Marco Kreuzpaintner, zum Drehzeitpunkt gerade einmal 26 Jahre alt war, lässt auch heute noch aufhorchen, denn äußerst selten gelingt einem so unerfahrenen Filmschaffenden auf Anhieb ein Werk, das in vielen Belangen perfekt ist und die Brisanz unerwiderter Liebe bittersüß illustriert. Gerade die Leichtfüßigkeit der einfühlsamen, geduldigen und von einer abwechslungsreichen Musikgestaltung profitierenden Inszenierung lässt die inneren Konflikte des Protagonisten besonders nachfühlbar werden, während die Dialoge oft von entwaffnendem Naturell sind und gelegentlich auch äußerst amüsant mit einer Vielzahl an Vorurteilen gegenüber Homosexuellen und „Ossis“ gespielt wird. Hinzu kommt eine sinnliche Sexszene, die nach Erscheinen für Zündstoff sorgte. Robert Stadlober lieferte mit 21 Jahren die vielleicht beeindruckendste Leistung seiner Karriere und wird im Handumdrehen zum Sympathieträger, während auch Hanno Koffler und Alexa Maria Surholt das stimmige Ensemble als spielfreudige Sidekicks bereichern konnten. Faszinierend ist auch die Darbietung der polnischen Landsfrau Alicja Bachleda-Curuś, die eine energetische Darbietung offeriert, obwohl sie interessanter Weise kaum ein Wort Deutsch verstand. In Summe ist „Sommersturm“ eine Tragikomödie, die man trotz eines Feelgood-Endings immer wieder sehen kann und das vielen beim eigenen Coming Out geholfen haben dürfte. So wünscht man sich Filme made in Germany wirklich häufiger.

D 2004 – 98 Minuten
Regie: Marco Kreuzpaintner
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Robert Stadlober, Kostja Ullmann, Alicja Bachleda-Curuś, Miriam Morgenstern, Marlon Kittel, Jürgen Tonkel, Hanno Koffler, Tristano Casanova, Alexa Maria Surholt, Joseph M’Barek
Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Artikel-Serien, Deutsche Filme, Ein-Absatz-Kritik, Filme, Kontroverse Filme, Queer Cinema, Reviews und getaggt als , , , , , , , . Fügen Sie den permalink zu Ihren Favoriten hinzu.