1918 in Texas: Pearl (Mia Goth) lebt gemeinsam mit ihren Eltern auf einer Farm, während ihr Mann Howard (Alistair Sewell) in den Ersten Weltkrieg gezogen ist. Die junge Frau tut sich schwer mit dieser Situation, leidet unter ihrer dominanten Mutter (Tandi Wright), während sie sich gleichzeitig um ihren kranken Vater (Matthew Sunderland) kümmern muss. Die Arbeit ist hart und ohne Perspektive, Pearl fühl sich zunehmend wie eine Gefangene. Einziger Lichtblick für sie sind die Filme, die sie im lokalen Kino sehen kann – und der attraktive Filmvorführer (David Corenswet), auf den sie ein Auge geworfen hat. Als sie von einem Casting für eine Tanztruppe erfährt, die im ganzen Land auftreten wird, sieht sie darin ihre Chance, endlich alles hinter sich zu lassen und ein eigenes Leben zu führen…
Dass erfolgreiche Filme fortgesetzt werden, ist natürlich nicht ungewöhnlich. Schließlich ist die Aussicht auf leicht verdientes Geld eine sehr verführerische. Ungewöhnlich ist jedoch, wenn eine solche Fortsetzung bereits in Arbeit ist, noch bevor der erste Film draußen ist – umso mehr, wenn es sich nicht um ein Franchise handelt. Ein Beispiel für eine solche Vorabfortsetzung ist Pearl. Genauer wird hier die Vorgeschichte zum Horrorfilm X erzählt, in dem eine Filmcrew auf einer abgelegenen Farm einen Porno drehen möchte und dabei einen blutigen Tod findet. Geplant war das Prequel nicht von Anfang an. Vielmehr überlegten Regisseur und Drehbuchautor Ti West sowie Hauptdarstellerin Mia Goth, wie Pearl, die im ersten Film eine alte Frau ist, früher gewesen sein mag. Daraus wurde am Ende ein eigener Film, der direkt im Anschluss gedreht wurde.
Trotz der zeitlichen Nähe im Hinblick auf die Produktion liegen inhaltlich Jahrzehnte zwischen den beiden Filmen. Abgesehen von Pearl und Howard, sowie dem Setting, gibt es keine Überschneidungen. Man muss auch weder den Einen noch den Anderen gesehen haben, um den jeweils anderen Film verstehen zu können. Die Geschichten sind jeweils unabhängig voneinander. Aber auch inszenatorisch liegen zwischen X und Pearl Welten. Obwohl beide Filme dem Horrorgenre entnommen sind, könnten sie unterschiedlicher kaum sein. Tatsächlich würde auf den ersten Blick niemand denken, dass die beiden Filme zusammenhängen. Während Ersterer ein schmutziger 70er-Jahre-Slasher ist, orientiert sich das Prequel am klassischen Technicolor-Hollywood. Bei einigen Szenen könnte man meinen, dass das hier ein Verwandter von Der Zauberer von Oz ist – und das nicht nur, weil eine Vogelscheuche eine größere Rolle spielt.
Das Knallbunte geht dabei mit dem Blick in Abgründe einher, wenn der Traum vom Glamour auf Unterdrückung und Perspektivlosigkeit trifft. Das macht die Protagonistin zu einer im Grunde sehr tragischen Figur, wenn sie eine Gefangene in ihrem eigenen Leben ist und jeder Versuch eines Ausbruchs schon im Keim erstickt wird. Tatsächlich geht Pearl über weite Strecken als Drama durch, auch weil der Filmemacher recht lange wartet, bis er mal zur Sache geht. Es dauert sogar so lange, dass manche im Publikum ungeduldig werden könnten. Zumindest ein solches, das die Qualität eines Films anhand des Body Counts bestimmt. Der ist notgedrungen recht gering, spielt die Geschichte doch im ländlichen Nirgendwo.
Das bedeutet aber nicht, dass Pearl langweilig wäre. Dafür sorgt schon Mia Goth, die nicht nur wieder die Hauptrolle übernommen hat, sondern auch am Drehbuch mitschrieb. Sie deckt die ganze Bandbreite ab, streift bei ihrem Spiel Komödie, Drama und Horror, ohne dass es willkürlich wirkt. Vielmehr passen diese Grenzwanderungen sehr gut zu einer Figur, die vieles auf einmal ist und die sich einer eindeutigen Kategorisierung entzieht. Sie ist Opfer und Täterin zugleich, eigensinnig und unterwürfig, will ein eigenes Leben führen und sucht sich dafür doch nur vorgefertigte Schablonen aus. Daraus hätte man auch einen „richtigen“ Coming-of-Age-Film machen können. Stattdessen folgen wir einer jungen Frau, deren starken Emotionen in einem bizarren Blutbad enden und die so sehr um einen Platz kämpft, bis nichts mehr übrig ist bis auf ein im Gesicht festgefrorenes Grinsen. Absolut preiswürdig!
Fazit: Pearl erzählt zwar prinzipiell die Vorgeschichte von X, ist dabei aber nur bedingt zu vergleichen. So gibt es hier Reminiszenzen an das Goldene Hollywood, welches mit einer blutigen Selbstfindung besudelt wird. Es dauert dabei eine Weile, bis es wirklich eskaliert, über weite Strecken ist das mehr Drama als Horror und das macht Pearl auch einfach so gut! Als Porträt einer gestörten und dabei tragischen Frau funktioniert er absolut hervorragend und ist für mich wohl das beste Horrordrama der letzten Jahre und Mia Goth spielt oscarwürdig!