
Mit Eraserhead drehte David Lynch nicht nur seinen ersten Spielfilm, sondern setzte direkt ein deutliches Ausrufezeichen hinter allen folgenden Filmen. Denn bereits sein erster Gehversuch als Regisseur und Drehbuchautor vereinte alles was ihn später berühmt und berüchtigt machen sollte: Der Tanz zwischen den Realitäten, Traumsequenzen, kaputte Figuren und singende Frauen. Da möchte man kaum glauben, dass Lynch mehrere Jahre für die Fertigstellung brauchte: Von 1972 bis 1976 und ausgestattet mit einem fast schon lächerlichen Budget von 10.000 US-Dollar. Aber das fertige Ergebnis konnte sich sehen lassen.
Dreh- und Angelpunkt ist natürlich Hauptdarsteller Jack Nance mit seiner Frisur, der uns schon direkt vom ikonischen Filmplakat entgegenblickt. Seine Figur Henry Spencer erinnert dabei stellenweise sehr an die des Winston Smith aus George Orwells 1984, was die tägliche Monotonie und die innere Verzweiflung angeht. Daneben überzeugen aber auch in den kleineren Nebenrollen Charlotte Stewart als seine Freundin Mary, Allen Joseph und Jeanne Bates als ihre Eltern, sowie Laurel Near als singende Frau im Heizkörper und Prototyp für so manch folgende Frauenfigur im Universum des David Lynch.
Über die Story an sich möchte ich fast gar nicht so viel erzählen, sondern direkt über meine Einschätzung und meine Theorie sprechen was uns Lynch da in diesen 89 Minuten serviert hat. Denn das ist das tolle an den Filmen von Lynch: Jeder kann seine eigene Theorie aufstellen und doch wird sie wohl nie ganz daran heranreichen was sich Lynch beim schreiben und drehen gedacht und beabsichtigt hat. Die bekannteste Interpretation ist dabei die der sexuellen Angst bei Henry Spencer und das zurücksehnen in die Geborgenheit der Zeit im mütterlichen Bauch.
Ich verfolge mal einen realistischen Interpretationsansatz: Es ist die Geschichte über die Versagensangst eines alleinerziehenden Vaters. Das alptraumhafte verzehrte Ebenbild des Babys von Henry und Mary ist nicht mehr als eine Projektion der Angst vor dem versagen als Vater von Henry. Natürlich schreien Neugeborene Nächtelang durch und halten die frischen Eltern auf Trab, so dass man als Elternteil schon mal im festen Glauben ist ein Monster geboren zu haben. Bei Henry kommt noch erschwerend dazu, dass sich Mary recht schnell aus dem Staub macht und ihm die ganze Situation immer mehr über den Kopf zu wachsen droht. Denn zu den Schreiattacken in der Nacht entwickelt sein Kind auch noch eine Art Ausschlag, den Henry mit heißem Wasserdampf zu lindern versucht. Die Frau im Heizkörper verkörpert dabei das was Mary nicht war: Eine fürsorgliches Frau, bei der sich Henry geborgen fühlen kann. Dass sie dabei auf vom Himmel fallende Babyföten tritt und Henry seinen Kopf verliert der im Anschluss zu einem Radiergummi (Eraser) auf einem Bleistiftkopf verarbeitet wird, verdeutlicht weiter, dass Henry die Situation immer mehr entgleitet und im Endeffekt tötet er sein Kind um sich der Verantwortung für ein neues Lebewesen zu entziehen. Zum Schluss schließt sich dann der Kreis zu der Theorie mit der sexuellen Angst, denn Henry findet Erlösung bei der Frau im Heizkörper. In der Realität hat er sich wahrscheinlich umgebracht oder ist dem Wahnsinn verfallen, aber in seiner eigenen Welt hat er so etwas wie Erlösung gefunden. Die Erlösung vom Vatersein.
Wahrscheinlich hinkt meine Theorie für wahre Fans von David Lynch von vorne bis hinten, aber ich halte sie trotzdem für recht schlüssig. Das ändert auch nichts an der Genialität des Debütfilms von Lynch und seinem ersten Feuerstoß in Richtung der Filmwelt, der noch viel größer, brillanter und surrealistischer werden sollte.
USA – 1979 – 1 Std. 29 Min.
Regie: David Lynch
mit Jack Nance, Charlotte Stewart, Allen Joseph und Jeanne Bates
Genre: Fantasy, Drama, Horror