Wohl keine andere Produktionsfirma setzt seit ein paar Jahren so stark auf den Nostalgiefaktor wie die einen Jahresumsatz von 50 Milliarden US-$ generierende „Walt Disney Company“. Dies ist vor allem an einem Sammelsurium an neuerlichen Realadaptionen zu schulden, denn allein in 2019 sollen in Gestalt von „Dumbo“, „Aladdin“, „Der König Der Löwen“ und „Mulan“ sage und schreibe vier Zeichentrickklassiker erneut in den Lichtspielhäusern Einzug halten. Umso erfreulicher gestaltete es sich, dass Rob Marshall nun den Versuch unternahm, ein beliebtes Werk der Disney-Reihe nicht nur zu reproduzieren, sondern mit einem rekordverdächtigen Abstand von ganzen 54 Jahren zum dreizehnfach oscarnominierten Original fortzusetzen. Vier Golden-Globe-Nennungen entfielen auf das kunterbunte Sequel rund um das vom Himmel entsandte Kindermädchen Mary Poppins, das den Geist familiengerechter Unterhaltung der alten Schule nicht nur wiederbelebt, sondern dem Publikum dank seiner Schauwerte und der schauspielerischen Empathie insbesondere in der (Vor-)Weihnachtszeit ein bereites Lächeln ins Gesicht zu zaubern vermag.
„Mary Poppins‘ Rückkehr“ – angesiedelt in der Ära der Weltwirtschaftskrise – setzt rund zwei Dekaden nach den Ereignissen des ersten Teils an und orientiert sich wiederholt an den Motiven der Version von 1964, deutet ebendiese jedoch stets leicht um, statt sie lediglich zu kopieren. In vielen Belangen sowie in Bezug auf die markanten, visuellen Effekte, die gekonnt zwischen Realsequenzen und althergebrachten, animierten Einschüben pendelt, ist „Mary Poppins‘ Rückkehr“ erfreulicherweise mehrfach in der Zeit stehen geblieben und dürfte daher vermutlich eher Erwachsenen zu gefallen wissen als Kindern des 21. Jahrhunderts, die computeranimierte Filme allzu häufig als Nonplusultra empfinden. Nichtsdestotrotz offeriert vor allem die inszenatorische Sphäre aufgrund herausragender Kostüme, wohlgewählter Sets und einer grandiosen Kameraarbeit viele optische Leckerbissen. Sicherlich könnte man dem Genremix ankreiden, dass er nicht über ebenjene Dichte an mitreißenden Songs mit uneingeschränkter Ohrwurmqualität verfügt wie sein Vorgänger, dennoch sorgt insbesondere das perfekt gesungene Schlaflied „The Place Where The Lost Things Go“ für den mit Abstand emotionalsten Moment des Zweistünders. Als enormer Vorteil erweist sich außerdem die sich wie ein roter Faden durch den Handlungsaufbau ziehende, tiefgreifende Melancholie, welche vor allem auf universelle Themen wie finanzielle Schwierigkeiten und den nachwirkenden Verlust geliebter Menschen fußt. Ein gelegentlich auftretender Hang zur Überzuckertheit wird vor allem durch die grenzenlose Harmonie des hochkarätigen Ensembles wettgemacht. Erneut greift Rob Marshall nach „Into The Woods“ auf Meryl Streep und Emily Blunt zurück, die nunmehr sogar zum dritten Mal gemeinsam vor der Kamera standen. Während Erstgenannte diesmal jedoch lediglich die Funktion eines amüsanten Sidekicks einnimmt, erscheint die Leistung von Blunt als absolute, szenenstehelende Sensation. Sie verleiht der bereits von Oscargewinnerin Julie Andrews verkörperten Nanny mit augenscheinlicher Mühelosigkeit sowohl eine allumfassende Präsenz und schnippische Züge sowie Individualität als auch Charme und uneingeschränkte Liebenswürdigkeit und darf zurecht Hoffnungen auf einen Platz unter den „Besten Hauptdarstellerinnen“ des Jahres hegen. Neben ihr überzeugen vor allem Lin-Manuel Miranda in seinem Spielfilmdebüt, eine souverän agierende Julie Walters, Colin Firth in der Rolle des Bösewichts und die drei bezaubernden Kinderdarsteller, während Angela Lansbury und Dick van Dyke beweisen, noch mit über 90 Jahren Spielfreude an den Tag zu legen.
In Summe ist die Neuauflage somit mehr als eine profitorientierte Replik mit allzu kurzer Halbwertszeit, sondern ein vitales und plausibles Abenteuer aus eigenem Recht, welches nicht nur der literarischen Basis von Pamela Travers Tribut zollt sondern auch 130 vergnügliche, familiengerechte Minuten bereiten kann und im Hinblick auf die gesanglichen Qualitäten glänzt. Anzuraten ist allerdings eine Sichtung in englischer Sprache, da speziell die vor Wortwitz und Eloquenz gekennteichneten Dialoge und Musikbeiträge nicht optimal ins Deutsche übersetzt worden sind.