Der Geschmack von Rost und Knochen (OT: De rouille et d’os)

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Allein der grandiose Titel und seine unzähligen, verschiedenen Deutungsmöglichkeiten machten mich überdurchschnittlich neugierig auf den Film von Jacques Audiard, dem Regisseur von „Ein Prophet“. Hinzu kommt, dass ich französische Produktionen (und Marion Cotillard) grundsätzlich sehr, sehr gern mag. So gut wie jeder weiß, dass ich kleine Arthaus-Filme schon immer den populären und actionreichen Blockbustern vorgezogen habe. Anhand von „De rouille et d’os“ wurde mir nun erneut deutlich vor Augen geführt, warum dies so ist.

„Der Geschmack von Rost und Knochen“ erzählt die Geschichte des jungen, allein erziehenden Vaters Ali (Matthias Schoenaerts), welcher sich als Türsteher, Kleinkrimineller und Amateur-Boxer durch das Leben schlägt und seinem Sohn gefühlskalt begegnet. Er lernt die Killerwal-Trainerin Stéphanie (Marion Cotillard) während einer Schlägerei kennen, doch der Kontakt bleibt zunächst oberflächlich. Erst nach einigen Monaten meldet die junge Frau sich wieder, die nach einem Arbeitsunfall beide Beine verloren hat. Langsam beginnt sich eine Beziehung in unkonventioneller Art und Weise zwischen den beiden zu entwickeln.

Audiard gelingt es, die aus mehreren Gründen zutiefst tragische Handlung äußerst exakt und realitätsnah zu skizzieren. Die besondere Leistung seiner Arbeit besteht darin, dass er dennoch nie in die so oft unvermeidbare, völlige Sentimentalität abgleitet. Nur in einigen Szenen wird die Verbitterung, Einschränkung, Scham und Aggression, die eine Behinderung mit sich zieht, in ausgewogenem Maße eindrucksvoll geschildert und gerade das kommt der Wahrheit sehr nahe. Dass die Thematik einer körperlichen Behinderung in Verbindung mit Sexualität gebracht wird, finde ich wichtig, weil es über die bloße Eindimensionalität hinausgeht. In konkreter, fokussierter Weise und mithilfe von auf den Punkt gebrachten, tollen Dialogen werden gleich mehrere sozialgesellschaftliche Probleme nüchtern betrachtet, sodass der Zuschauer entscheiden darf, wie er sich dazu positionieren möchte. Neben der angemessenen Erzählart stechen vor allem die fokussierende Kameraführung innerhalb der schnellen Szenenwechsel und die metaphorisch wirkende Einsetzung des Elements Licht ins Auge. Die minimalistische Filmmusik von Alexandre Desplat passt zudem genau ins Bild und drängte eben nicht zu einer Melancholie.

Dafür sorgten nämlich wirklich zu 100 % die grandiosen und zutiefst authentischen Performances der beiden Hauptdarsteller. Die Chemie zwischen den beiden Schauspielern stimmte und man wurde Zeuge, wie zwei (aus verschiedenen Ursachen) unglückliche Individuen das Lieben lernen. Der Newcomer Schoenaerts spiegelt die langsame Persönlichkeitsveränderung des Protagonisten perfekt wieder. Sein Image des in den Tag hinein lebenden, groben Egoisten ist genau so glaubhaft wie das des Mannes, der sich Gefühle für eine Freundin und den Sohn letzten Endes eingestehen kann. Seine Leistung war überraschend gut, wenn auch nicht ganz so gut wie die von Oscargewinnerin Cotillard. Sie agierte größtenteils zwar ungewöhnlich zurückgenommen, doch dies war eben die an sie gestellte Aufgabe. Die Sequenzen, in denen sie ihrer Verzweiflung zeigt, sind in meinen Augen atemberaubend gut! Man kauft ihr die Rolle der Frau, die mit dem Leben hadert, in jeder Sekunde ab. Ich hätte mir jedoch etwas mehr Screentime gewünscht. Hinzu kommt eine ansprechende Darstellung von Corinne Masiero, welche die ebenfalls gestörte Beziehung zu ihrem Filmbruder Ali darlegt und den kleinen, aber feinen Cast abrundet.

Zu kritisieren ist nach meinem Empfinden lediglich der leider etwas zu abrupte Schluss. Die Auswirkungen der frischen Beziehung von Ali und Stéphanie hätten etwas ausführlicher behandelt werden können und sollen. Dem gegenüberstehend sind die Szenen der illegalen Kämpfe schlichtweg zu lang geraten. Ansonsten jedoch war ich überaus beeindruckt und empfinde die bisherigen Nominierungen für den Film und die Hauptdarstellerin ausnahmslos als gerechtfertigt – genau so wie es eine Oscarnominierung für Cotillard gewesen wäre!

Herausgekommen ist in jedem Fall eine sehenswerte, fein gezeichnete und ungekünstelte Charakterstudie mit einem treffenden Filmtitel, die einen berührt, ohne es krampfhaft darauf anzulegen. Im Zentrum dieser steht die Erkenntnis, dass die meisten Menschen erst etwas schätzen, wenn sie im Begriff sind, es zu verlieren. Wie wahr!

Frankreich, Belgien - 2012 - 120 Minuten Regie: Jacques Audiard mit Marion Cotillard, Matthias Schoenaerts und Corinne Masiero Genre: Drama
Frankreich, Belgien – 2012 – 120 Minuten
Regie: Jacques Audiard
mit Marion Cotillard, Matthias Schoenaerts und Corinne Masiero
Genre: Drama
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