Stoker – Die Unschuld endet (OT: Stoker)

Stoker 5

Das ist es also, Chan-wook Parks lange erwartetes US-Debut. Und was für eines!
Ich habe von ihm zuvor leider nur „I’m a Cyborg, But That’s OK“, „Lady Vengeance“ sowie „Oldboy“ gesehen. Fand ich ersteren erzählerisch doch etwas anstrengend, dafür inszenatorisch herausragend, so konnten mich „Oldboy“ und „Lady Vengeance“ auf der ganzen Linie überzeugen (den ersten Teil der „Rache“-Trilogie, „Sympathy for Mr. Vengeance“ und „Durst“ muss ich mir demnächst auch unbedingt noch geben). Mit „Stoker“ hat Park aber jetzt, soweit ich das bisher beurteilen kann, sein bestes Werk geschaffen!

Er zieht hier wirklich alle Register und man sieht dem Film jede Sekunde an, dass er aus der Hand eines wahren Meisters stammt.
„Stoker“ ist eine Mischung aus klassischem Familiendrama und ruhigem Psychothriller, der aber auch diverse Elemente eines Coming-of-age-Dramas aufgreift und dies alles zu einem perfekten Spannungsbogen verarbeitet. Das clevere Original-Drehbuch stammt übrigens aus der Feder von Wentworth Miller, dem ehemaligen „Prison Break“-Star. Für mich wieder ein Schauspieler der hinter der Kamera weitaus besser agiert als davor, Ben Affleck lässt grüßen.
Im Mittelpunkt der Handlung steht die junge India Stoker (Mia Wasikowska), deren Vater an ihrem 18. Geburtstag durch einen mysteriösen Autounfall ums Leben kommt. Bei der Trauerfeier lernt sie ihren bis dahin ihr unbekannten Onkel Charlie (Matthew Goode) kennen. Während sie still um ihren geliebten Vater trauert, nähern sich der charmante aber zwielichtige Charlie und ihre eher abweisende Mutter (Nicole Kidman) an. … mehr sei nicht verraten.

„Stoker“ überzeugt wirklich auf allen Ebenen. Man bekommt umwerfend schöne Bilder zu sehen, die Szenerie des alten Landsitzes z.B. wirkt im wahrsten Sinne des Wortes wie aus der Art geschlagen. Ich habe manchmal echt vergessen, dass er in der heutigen Zeit verankert ist, so herrlich viktorianisch wirkt das ganze Setting. Der zurückhaltende exzellent passende Score von Clint Mansell sorgt für weitere wohlige Momente. Dazu kommen tolle Kamerafahrten, Licht- und Farbstimmungen, sowie der für mich mit Abstand beste Schnitt den man in den letzten Jahren auf der Leinwand zu sehen bekommen hat!
Das große Highlight sind aber natürlich die grandiosen Schauspielleistungen. Ein echter Ensemble-Film bei dem alle Beteiligten auf Augenhöhe agieren. Goode gibt den charmanten Dandy, der ein dunkles Geheimnis in sich trägt mit solcher Verve, dass man ihm ständig an den Lippen hängt. Wasikowska, die ich seinerzeit bei „Alice im Wunderland“ noch nicht wirklich abkonnte, entwickelt sich mittlerweile auch immer mehr zu einer meiner Lieblinge. War sie bereits in „The Kids Are All Right“ und „Jane Eyre“ das schauspielerische Highlight, so überzeugt sie auch in „Stoker“ als verhuschte schräge Einzelgängerin, die erst nach der Ankunft Charlies langsam auftaut und im Laufe des Films einen atemberaubenden Charakterwandel vollzieht. Und natürlich Nicole Kidman als Evelyn, Indias leicht versnobbte Mutter, die nicht wirklich mit ihrer Trauer klar kommt und sich in Ablenkungen ergeht und auch keinen wirklichen Draht zu India findet. Zudem Dermot Mulroney und Jacki Weaver mit kleinen aber feinen Cameos.
Natürlich erfinden Park und Miller hier das Thriller-Genre nicht neu. Vieles davon hat man auch schon in anderen Filmen gesehen. Aber alles in allem ist „Stoker“ ein wirklich beeindruckendes Thriller-Drama das sehr unter die Haut geht. Hitchcock hätte mit Sicherheit seine Freude gehabt.
Übrigens vollkommen unverständlich warum man für diese Perle einen so frühen Starttermin gewählt hat, dürfte er damit in der kommenden Award-Season wie seinerzeit „Shutter Island“ keine Rolle spielen. „Stoker“ hätte auf jeden Fall Acting-Nominees für Wasikowska, Kidman (sowie ggf. Goode), Drehbuch, Schnitt, Kamera und Regie verdient!

Wertung40

USA/GB 2013 – 1 Std. 39 Min.
Regie: Park Chan-wook
mit: Mia Wasikowska, Matthew Goode, Nicole Kidman, Jacki Weaver, Dermot Mulroney et al.
Genre: Drama, Thriller

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