Die Jagd (OT: Jagten)

Die Jagd

Für den 40-jährigen Lucas, verkörpert durch den als Bond-Bösewicht populär gewordenen Mads Mikkelsen, ist die Beziehung zu seinem Sohn Marcus, nach der Trennung seiner Frau, das höchste Gut. Er findet als Kindergärtner einen neuen Job, der ihn erfüllt und auch bei den Kindern ist er sehr beliebt. Vor allem die kleine Klara, Tochter seines besten Freundes Theo (Thomas Bob Larsen), sucht stets seine Nähe. Als sich das Mädchen von Lucas nicht mehr beachtet fühlt, setzt sie eine verheerende Behauptung in die Welt, die sein ganzes Leben erschüttert und eine Hetzjagd des gesamten Dorfes auf ihn entfacht…

Auch wenn „Die Jagd“ ein Film über Kindesmissbrauch ist, liegt der Fokus eher auf dem Umgang mit dem Thema und die irrationale Hysterie die diese Art Verbrechen hervorrufen und Kontrolllosigkeit, die in primitiver Selbstjustiz Ausdruck findet. Gerechtigkeit als Beweggrund, Rache als Befriedigung und Minderung von Schuldgefühlen. Die Vielfältigkeit dieser Motive ist der große Reiz, die Regisseur Thomas Vinterberg (Vom Meisterwerk „Das Fest“) vortrefflich auszuschmücken weiß und das Werk zu etwas Besonderem macht. Leider gibt es auch einige kleine Kritikpunkte, die allerdings durch den hervorragenden zweiten Teil wieder wett gemacht werden. Da wäre vor allem die Erzieherin, die sich kaum Mühe macht die Unschuld von Lukas zu hinterfragen, selbiges gilt auch für die Dorfgemeinschaft und seine neue Freundin – alle wenden sich von ihm ab! Auch agiert mir Mikkelsens Figur größtenteils zu passiv, anstatt von Anfang an gezielt an seine Unschuld zu bekräftigen, wirkt es so als warte er ab, ob sich die Anschuldigungen von alleine wieder entkräftigen.

Dafür positiv hervorheben möchte ich an dieser Stelle das Verhältnis zwischen Lucas und Klara und das Profil, welches von der Kleinen geschaffen wird: Ihre Eltern streiten sich, ihr größerer Bruder kämpft mit den Tücken der Pubertät und sie gerät als jüngstes Familienmitglied ein wenig in Vergessenheit. Ihr werden sensible und verträumte Eigenschaften zugeschrieben, ebenso wie die Zwangsstörung nicht auf die Fugen von Plattenböden treten zu können – vermutlich ihre kindliche Art mit der heimischen Situation umzugehen.

Lucas nimmt sich ihrer an, verbringt viel Zeit mit ihr und wird für sie ein Beschützer und Freund, der sie versteht, ihr zuhört und um sie kümmert. Dankbarkeit zeigt sie, indem sie ihm ein Herz bastelt und ihn auf dem Mund küsst. Lucas klärt sofort die Situation, doch Klara fühlt sich zurückgewiesen, eingeschüchtert, ertappt und streitet alles ab. Pornografische Inhalte, die sie von ihrem größeren Bruder in seiner naiven Art zu sehen bekommt, verstört sie zusätzlich und führt später zu detaillierten Beschreibungen bezüglich des sexuellen Vorwürfe gegen Lucas.

Schauspielerisches Highlight ist neben dem großartigen in Cannes ausgezeichneten Mads Mikkelsen und Thomas Bo Larsen, der seit Vinterbergs „Das Fest“ von 1998 zu einer dänischen Schauspielgröße aufgestiegen ist, Neuentdeckungen Lasse Fogelstrom als Lukas Sohn Marcus an dem die Verzweiflung Ausdruck findet, die der Zuschauer für Lucas empfindet, er aber nicht auszudrücken weiß und Annika Wedderkopp, die durch Vinterbergs ausführliche Charakterzeichnung in seinem Drehbuch der kleinen Klara ein vielschichtiges und nachvollziehbares Profil gibt.

Der Zuschauer muss fassungslos mit Ansehen, wie die Lawine über Lucas hereinbricht und wird sich unweigerlich fragen, wie er wohl in so einer Situation reagieren – und welche Position er einnehmen würde. Dabei wird jede Sichtweise der involvierten Personen absolut nachvollziehbar geschildert. Von der Sicht des Metzgers, der die beiden oft Händchenhaltend gesehen hat, über Lucas Freund Theo, der sich schützend auf die Seite seiner Tochter stellt. Diesbezüglich besonders mutig, die Darstellung eines selbsternannten Schulpsychologen, der Klara mit seinen Fragen genau die Antworten entlockt, die er von Anfang an beabsichtigt zu hören und ist damit auch Dokument der Zeit, in der die Sensationslust der Leute befriedigt werden will, gehüllt in einem Vorhang aus Scheinheiligkeit und Unvermögen. Am Ende und das muss auch Protagonist Lucas erfahren, können Worte die einmal gesagt wurden nicht mehr zurückgenommen werden und hallen ewig nach.


Dänemark – 2012 – 1 Std. 55 Min.
Regie: Thomas Vinterberg
mit Mads Mikkelsen, Thomas Bo Larsen, Annika Wedderkopp, Lasse Fogelstrom
Genre: Drama

Oscarnominierung:

  • Bester ausändischer Film (Dänemark)

Europäischer Filmpreis:

  • Bestes Drehbuch (Thomas Vinterberg & Tobias Lindholm)

Europäischer Filmpreisnominierungen:

  • Bester Film
  • Beste Regie (Thomas Vinterberg)
  • Bester Darsteller (Mads Mikkelsen)
  • Bester Schnitt

Cannes:

  • Bester Darsteller (Mads Mikkelsen)
  • Sonderpreis der Jury

 

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Beste Auslandsfilme, Filme, Oscar Contender, Reviews. Fügen Sie den permalink zu Ihren Favoriten hinzu.