Um es gleich vorwegzunehmen; bei „Im Schmerz geboren“ handelt es sich um einen TV-Krimi aus der Reihe „Tatort„! Genauer gesagt um den neuesten Fall aus Wiesbaden mit dem Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) und seiner rechten Hand Magda Wächter (Barbara Philipp).
Und obwohl ich (gelinde gesagt) wahrlich nicht der größte Fan dieser Reihe bin, hat mich die Story im Programmheft doch sehr interessiert. Und meine kühnsten Erwartungen wurden letzten Endes sogar noch weit übertroffen!
Denn „Im Schmerz geboren“ ist der wohl untypischste Tatort-Krimi aller Zeiten und wird mit Sicherheit noch in Jahren mit Klassikern der Reihe wie „Reifezeugnis“, „Zahn um Zahn“ oder „Weil sie böse sind“ in einem Atemzug genannt werden. Apropos: das Regie- und Drehbuch-Duo Florian Schwarz und Michael Proehl hatten zuvor auch schon eben „Weil sie böse sind“ inszeniert.
„Im Schmerz geboren“ hat auf jeden Fall schon mal den größten Bodycount der gesamten Tatort-Geschichte zu bieten, selbst das vieldiskutierte Til Schweiger-Debut „Willkommen in Hamburg“ kam maximal auf ein Drittel davon. Doch im Gegensatz zu diesem missratenen Machwerk, das krampfhaft versuchte eine US-Thriller-Optik zu erzeugen (was deutlich misslang) ist der neue Murot über weite Strecken sogar sehr humorvoll und locker-leicht erzählt.
„Im Schmerz geboren“ ist wie ein Shakespearse’sches Drama inszeniert, mit einer Rahmenhandlung im Stile eines Theaterstücks, inkl. lyrischem Eröffnungsmonolog und mehrmaligem Durchbrechen der vierten Wand durch den Erzähler (Alexander Held), der auch gleichzeitig den zwielichtigen Gangster Alexander Bosco gibt. Hinzu kommen geniale Western-Reminiszenzen, insbesondere einer großartigen Vorbeugung vor „Spiel mir das Lied vom Tod“ direkt nach dem Prolog, sowie weitere augenzwinkernde Hollywood-Zitate. An diesem Fernsehfilm hätte wohl selbst ein Quentin Tarantino seine Freude.
Nach einem spektakulären Dreifachmord am Bahnhof wird Kommissar Murot zu dem Fall hinzugezogen (seinen Hirntumor ist er mittlerweile los). Auf dem Videoband der Überwachungskamera erkennt er mit Erstaunen seinen ehemaligen besten Freund Richard Harloff (Ulrich Matthes), mit dem er vor 30 Jahren die Schulbank bei der Polizeiausbildung gedrückt hat, doch dieser ist deutlich erkennbar nicht der Schütze.
Nach einer Drogenrazzia hatte Harloff eine nicht geringe Menge Marihuana mitgehen lassen, woraufhin er nach Bolivien geflüchtet ist und dort im Laufe der Jahre selbst Karriere in einem Drogenkartell gemacht hat. Dorthin hat er auch Mariella mitgenommen, mit der er zusammen mit Murot, wie in ihrem Lieblingsfilm „Jules et Jim“ von François Truffaut, eine ménage à trois hatte. Mariella ist dort jedoch schon zwei Jahre später bei der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes David gestorben. Während Murot versucht Richard auf die Schliche zu kommen, ist ihm dieser immer mindestens einen Schritt voraus, denn David (Golo Euler) arbeitet mittlerweile als Profikiller im Dienste seines Vaters und verschafft ihm daher stets ein Alibi. Derweil verfolgt Richard einen ganz bestimmten, schauderhaften Plan, in dem Murot eine nicht zu kleine Rolle zukommt. …
Das Drehbuch von Michael Proehl ist wirklich herausragend und absolut auf höchstem Kinoniveau. Der im wahrsten Sinne des Wortes theatralische Aufbau, die vielen (selbst)ironischen Hollywood-Anleihen und der verschmitzte, teils bitterböse Humor sind eine wahre Meisterleistung. Die Inszenierung von Florian Schwarz tut ihr übriges. So gibt es in einer Szene die wohl ästhetischste Erschießung seit langem zu bestaunen („ich will mit Dir zaubern“) und beim großen Showdown zu den Klängen des „Gefangenenchors“ aus Giuseppe Verdis „Nabucco“ hat man die gesamte Zeit Gänsehaut am ganzen Körper. Das Wiedersehen von Murot und Harloff im Park gehört ebenfalls zu den Highlights dieser TV-Perle.
Darstellerisch muss man besonders Ulrich Matthes hervorheben. Sein Richard ist gleichermaßen eiskalt wie sympathisch. Ein absolut irrer Charakter, den man so noch nicht im deutschen Fernsehen zu Gesicht bekommen hat.
Der Ausstrahlungstermin von „Im Schmerz geboren“ ist übrigens am 12. Oktober diesen Jahres in der ARD. Unbedingt anschauen, auch (oder gerade) als Normal-nicht-Tatort-Seher.
D – 2014 – 1 Std. 30 Min.
Regie: Florian Schwarz
mit Ulrich Tukur, Barbara Philipp, Ulrich Matthes, Alexander Held, Henriette Müller, Golo Euler, Shenja Lacher, Alexander Scheer & Anatole Taubman
Genre: Krimi, Thriller