Mehr als sporadisch wird der historischen Wissenschaft, aber auch der filmischen Rezeption über vergangene Ereignisse im Speziellen vorgehalten, dass diese ihr Hauptaugenmerk auf die „Geschichte großer Männer“, vorzugsweise bedeutende Politiker oder Könige, richten. In den vorangegangenen Episoden habe ich bereits versucht, diese These mit Werken, welche auch Menschen anderer sozialer Schichten beleuchten, zu widerlegen. Diesmal jedoch sollen besonders aufwendige Produktionen im Zentrum stehen, die in der Tat allesamt auch in die Kategorie der klassischen „Filmbiographie“ fallen, jedoch stellen die porträtierten Herrscher/innen unterschiedlicher Epochen eben nicht die angesprochenen „großen Männer“ dar. Des Weiteren beurteilt die Forschung jeden der drei Akteure verhältnismäßig konträr, was ohnehin einen interessanten Ansatz entbietet. Insbesondere deshalb steht oder fällt das betreffende Biopic über Georg VI. von Windsor, Kleopatra VII. sowie Marie Antoinette mit ebenjenen Personen, die in ihre Rollen schlüpften. Auf zur fünften Runde!
The King’s Speech – Die Rede Des Königs (OT: The King’s Speech)
Wie gut erinnere mich noch an die hitzigen Debatten, welche „The King’s Speech“ seinerzeit hervorgerufen hat… Wobei: Der Film an sich bot gar nicht primär die Diskussionsgrundlage, sondern viel mehr der Umstand, dass der Regie führende Tom Hooper am Ende des 27. Februars 2011 die Oscartrophäe strahlend in den Händen hielt – und nicht David Fincher. Bekanntlich gehöre ich bis zum heutigen Tag zur Fraktion, die sich über jeden der vier Preise, die der britische Historienfilm gewinnen konnte, gefreut haben, denn Hoopers Werk ist nicht zuletzt als ein fein gezeichnetes, psychologisches Gesamtkunstwerk vor geschichtlicher Kulisse anzusehen. Erneut hat man sich darin äußerst reflektiert einem britischen Monarchen angenommen, mit dem augenscheinlichen Unterschied, dass dieser nicht die hochmütigen Wesenszüge besaß, die man beispielsweise einem glorifizierten Regenten wie Heinrich VIII. zuschreibt. Und gerade das ist wohl das Besondere an dem Mann, der zunächst „lediglich“ als Herzog von York geboren wurde und das Empire plötzlich entgegen aller Ambitionen repräsentativ durch unheilvolle Jahre zu führen hatte.
Getragen von Seidlers akzentuiertem Drehbuch voller Wortwitz, zeittypischer Mentalität, stufenweiser Dramaturgie und linguistischer Intelligenz, welches genug Raum für Personenentwicklungen und kleine, wohldosierte Einblicke in das moderne Europa bietet, wird man Zeuge der Phase zwischen den beiden Weltkriegen, dennoch steht der Fokus konsequent auf den Versagensängsten von Prinz Albert. Das Dilemma des modernen Königtums durch die zunehmende Signifikanz von Öffentlichkeit und Medien wird ebenso präzise freigelegt wie die persönliche Vita sämtlicher Hauptcharaktere. Mir ist es nicht möglich, auch nur einen gravierenden, historischen Fehler zu benennen, was auch dafür spricht, dass sich die Verantwortlichen gleichermaßen mit Originalzitaten, Historikern und Zeitzeugen intensiv auseinandergesetzt haben. So ist es beispielsweise korrekt, dass das Sterben des ersten Windsor-Monarchs, „Berties“ herrischem, kettenrauchendem Vater, bewusst medikamentiv beschleunigt worden ist und auch die Premierministerwechsel wurden korrekt eingeflochten. Hooper ist versiert darin, Filme mit einer hohen Personenanzahl effektvoll zu inszenieren, was er nicht zuletzt mithilfe von „Les Misérables“ manifestierte.
Sein erster großer Wurf gehört zu der Filmart, die mehrmals gesehen werden sollte. Beim ersten Mal fand ich ihn wegen der Darsteller wunderbar, doch erst nach der zweiten Sichtung wurde die gestalterische wie dramaturgische Genialität und der Symbolismus in Gänze wahrnehmbar. Beispielsweise stehen die oftmals klaustrophobisch anmutenden Orte als Metapher für Georges erdrückende Empfindung, die dem Zuschauer dadurch erst in Gänze bewusst wird. Vor allem wegen eines kontinuierlichen, aber angebrachten Humors und der normabweichenden, klassenübergreifenden Beziehung zu seinem Therapeuten ist „The King’s Speech“ ein unkonventionelles Historiendrama. Die abschließende Sequenz, in der George seine Rede zum Kriegseintritt hält, ist aus meiner Sicht eine der berührendsten Filmszenen der letzten Dekade, nicht aber, weil sie intendiert emotional auf einen einwirkt, indem seine Sprechfähigkeit sich gebessert hat. Vielmehr wird einem durch die Botschaft auf eindrucksvolle Weise bewusst, welche Tragweite das im September 1939 begonnene, grausamste Kapitel der Geschichte für die breite Bevölkerung besessen hat. Dass die Szene mit den Klängen von Beethovens 7. Symphonie unterlegt worden ist, tut ihr übriges, um einem Tränen in die Augen zu treiben und harmoniert mit dem expressiven Kompositionen des Meisters Desplat. Überhaupt harmonieren Szenenbild, Kameraperspektive und Schnitt großartig miteinander und auch mit den Kostümen wurde es – wie so oft – nicht aus Haschereigründen übertrieben. (Eine witzige Anekdote stellt das Faktum dar, dass die logopädischen Therapieräume auch schon als Set eines Schwulenpornos gedient haben.)
Auch darstellerisch ist das Drama ein wahres Fest, denn es fungiert als Beweis für die Vielzahl an extravagant guten britischen Darstellern! Dass ich Colin Firths Performance in „A Single Man“ noch als eine Nuance stärker empfand, ändert nichts an seiner absolut authentischen, äußerst facettenreichen Brillanz als Monarch. Leistungsbezogen hätte Firth den Oscar aus meiner Sicht sogar gern zwei Mal in Folge erhalten dürfen. Er ist mit seinem herausfordernden Charakter verwachsen, ohne zu überspannen. Dem Vorwurf, er habe letztlich gewonnen, weil er eben einen König darstellte, widerspreche ich hiermit ausdrücklich, da dies seiner greifbar emotionalen Leistung, der man bis zum Schluss begeistert folgt, nicht gerecht werden würde. Darüber hinaus hätte ich auch als selbsternannter Bonham-Carter-Fan nicht erwartet, dass diese die Rolle der Frau, die als Queen-Mum ihren Mann fünfzig Jahre überlebte, so realitätsnah und unterhaltsam meistern würde, denn sie hat in der Tat Hervorragendes aus ihrer kurzen Screentime herausgeholt. Und zu Geoffrey Rushs fantastischer und smarter Darbietung bedarf es keiner Worte, außer, dass ich ihm den zweiten Goldjungen von Herzen gegönnt hätte. Einzig und allein die Leistung von Guy Pearce als Eduard VIII., der aus Liebe zu Wallis Simpson auf den Thron verzichtete, hat mir etwas missfallen, denn seine Darstellung wirkt doch reichlich unbeholfen, doch Michael Gambon, Jennifer Ehle und Timothy Spall setzten Akzente, die dies wieder ausglichen.
„The King’s Speech“ ist demzufolge weitaus mehr als eine reich ausgestattete, anmutige Geschichtsstunde über den Weg zum Thron eines sprachbehinderten Mannes, der nicht in das klassische Königsraster passte. Es ist ein inspirierendes und herzergreifendes Porträt darüber, welchem Druck die Dynasten unseres Zeitalters ausgesetzt sind. Selbst Queen Elizabeth, die Tochter des Protagonisten, adelte den zwölffach oscarnominierten Film mit dem Prädikat „bewegend“. Abschließend möchte ich noch einmal auf die Anfangsthese zurückkommen: Sowohl „The Social Network“ als auch „The King’s Speech“ – ohnehin schwer miteinander vergleichbar – haben zu Recht eine breite Fangemeinde, auch wenn ich mir den Seitenhieb, dass ich Letzteren eindeutig als den Besseren erachte, nicht zu verkneifen gedenke. 🙂
Cleopatra (1963)
Beginnen wir die Analyse des inflationsbereinigt kostspieligsten Werks aller Zeiten mit einer persönlichen Anekdote… Vor Jahren fragte ein Professor, mit welcher historischen Persönlichkeit wir gern einen Tag lang tauschen würden. Für meine impulsartige Antwort erntete ich Gelächter, doch ich stehe nach wie vor zu ihr. Zweifelsohne wäre dies nämlich Kleopatra „Philopator“ (69 – 30) aus der ptolemäischen Dynastie, die letzte und berühmteste von nur fünf geschichtlich belegten Herrscherinnen über die antike Weltmacht Ägypten. Für die Forschung und mich ist diese nicht nur von hohem Interesse, weil es ihr gelang, zwei der mächtigsten Feldherren Roms in ihr Schlafgemach zu locken, sondern auch wegen ihres selbstbewussten, scharfsinnigen, taktilen und hochpolitischen Wirkens. Nicht umsonst sagten Zeitgenossen bezüglich ihrer (Sonder-)Stellung: „Wäre sie nicht eine Frau, würde man sie für einen Philosophen halten.“ An die störrische Aufgabe, ihre beeindruckende Vita filmisch zu porträtieren, traute man sich ab 1961 unter schwersten Bedingungen in nie dagewesener Dimension. Allein auf dem Regiestuhl nahmen nacheinander drei Herren Platz und die Produktionskosten stiegen rasch auf das Zwanzigfache des ursprünglich Veranschlagten an. Nachdem ich mit „Alexander“ und „Gladiator“ bereits Werke, die im klassischen Altertum spielen, arg kritisiert habe, soll „Cleopatra“ als Rehabilitation fungieren, denn es existieren durchaus gelungene, wenngleich mehrere Dekaden ältere Epochenbeispiele.
In fehlerfreier, demnach akribisch recherchierter Weise wird der globalgeschichtlich spannende Zeitraum zwischen 48 und 30 v. Chr. detailreich illuminiert, sodass auf die erstrebte Alleinherrschaft Kleopatras mithilfe des Sturzes ihres eigenen Bruders, den Kampf um die kontinentale Hegemonie als auch auf den schlussendlichen Anschluss des Reiches am Nil an das Römische Imperium ausführlich eingegangen wird. Kleopatra erscheint dabei nie als separat Agierende, sondern stets im Zusammenhang mit Gegenspielern wie Verbündeten, was einerseits Spannung aufbaut, ihr Wesen aber auch nachfühlbarer erscheinen lässt. Das Potential der hinlänglich überlieferten Ära wurde hervorragend genutzt und die genreübliche, in diesem Fall unpassend-religiöse Symbolik zum Glück außen vor gelassen. Stattdessen finden wir durchgängig reflektierte, ausgereifte Personenzeichnungen und die Erhellung zweier konträrer Sozietäten vor. Man argumentierte seinerzeit, es gäbe keinen Sympathieträger, doch ihnen entgegengerichtet muss man erwidern: Gab es unter den zeitgenössischen Machthabern solche? Fundierte Fakten wie Kleopatras enorme Belesenheit, ihr Zorn über die Zerstörung der alexandrinischen Bibliothek, die Existenz von Caesars Sohn sowie der als Affront aufgefasste Aufenthalt der vom Senat als „ägyptische Hure“ verteufelten Regentin in Rom wurden mit mythischen Naturellen (Stichwort: Eselsmilch) ausgewogen unterstützt. Unter den mehr als zwanzig Produktionen über ihre Person ist dies diejenige, welche aus historischer Perspektive am meisten befriedigen dürfte.
Während die erste Hälfte das Paradebeispiel eines tollen Sandalenfilms bildet, fungiert die zweite dagegen als Melodram innerhalb eines progressiven Settings, das die menschliche Seite der Pharaonin und ihren Niedergang quellengetreu dokumentierte. Kleopatras gigantischer Einzug in Rom, welcher bis Attenboroughs „Gandhi“ die statistenreichste Szene bleiben sollte, ist neben dem epischen Schluss nur einer der erhabenen Gänsehaut-Momente! Dem Publikum von heute mögen einige Dialoge vielleicht etwas arrangiert anmuten, doch auch die mithilfe der Linguistik erzielte Wirkung passt ins Gesamtbild, da Kleopatras Dasein sich auf nichts stärker stützte als auf Selbstinszenierung. Dem zollt auch die unschlagbare, stilistische Sphäre in all ihrer ästhetischen Köstlichkeit den entsprechenden Tribut! Derart gigantonomische, man möchte sagen „größenwahnsinnige“ Ausstattungselemente findet man selbst innerhalb dieser Filmsparte verhältnismäßig selten. Die inhaltliche Dramatik wurde stets mit einem filigranen Netz aus imposant nachgebildeten, extrem echt aussehenden Bauwerken verstärkt. Von den Repliken der Schlachtschiffe, der goldenen Barke oder dem Forum Romanum über die auch in der Realität extravagant-freizügigen Kostümierungen bis hin zu Details wie dem betörenden Lidschatten Kleopatras, einer modischen Vorreiterin, stimmt einfach alles. Die exorbitante Seeschlacht bei Actium, welche das Ende der Ptolemäer besiegelte, beeindruckt vor allem durch die Spezialeffekte und die Kameraführung. Überdies gleicht es einem Jammer, dass der vierzehnfach oscarnominierte Komponist Alex North niemals einen regulären Preis erringen konnte. Seine vielfältige, zur Epoche passende und Grammy-nominierte Arbeit in „Cleopatra“ ist grandios und bereits wegen der bombastischen Ouvertüre, die sich variierend durch den Film zog, hätte er berücksichtigt werden müssen! Das einzig wertungsmindernde Problem bezieht sich auf die zeitliche Ebene: Wie „Vom Winde Verweht“ umfasst auch „Cleopatra“ 240 Minuten, jedoch gibt es einen spürbaren Unterschied. In Letzterem gibt es doch einige vermeidbare Längen, welche vor allem mit der überspitzt amourösen Darstellung zwischen der Titelfigur zu Antonius innerhalb der ungekürzten Fassung in Verbindung stehen. Weniger wäre hier mehr gewesen. Diesbezüglich empfand ich es als störend, dass plötzlich anders klingende Synchronstimmen auftauchten.
Ich kann nachvollziehen, warum Elizabeth Taylor fast daran zerbrochen ist, von Seiten der Academy und der Presse für ihre herausfordernde Rolle ignoriert beziehungsweise verrissen worden zu sein. Denn sie gibt, trotz der Tatsache, dass sich der Dreh wegen hoher Gagenforderungen, ihres oft desolaten Zustandes und der beginnenden Affäre mit Richard Burton extrem in die Länge zog, echt alles, zumal sie ohnehin der optischen und charakterlichen Idealbesetzung entsprach und ihr Erbe mit Leben füllte, ohne dabei karikaturesk zu erscheinen. (Nicht einmal der von mir vergötterten Vivien Leigh ist das achtzehn Jahre zuvor gelungen!) Von der manipulativ-emporragenden Darstellung der Isis-Reinkarnation, wird man schnell in den Bann gezogen, doch auch in emotionalen Momenten behielt sie ihre Authentizität. Burton, der erst kurzfristig für Stephen Boyd eingesprungen war, liefert hier die darstellerisch wertvollste, facettenreichste Männerperformance ab. Hingegen brillierte Rex Harrison in Szenen, in denen er in Caesar’scher Manier universale Überlegenheit demonstrierte, bisweilen wirkte er aber eine Nuance zu komödiantisch, was erklärbar erscheint, da er eigentlich nicht aus dem Dramenfach stammt. Das Ensemble bietet, selbst für Genreverächter eine achtbare Gemeinschaftsleistung, aus der auch Roddy McDowell als späterer Kaiser hervorsticht.
Trotz minimaler Schwächen ist „Cleopatra“ ohne den mindesten Zweifel ein sehenswerter und unterbewerteter Meilenstein der Filmgeschichte, der „Ben Hur“ in nichts nachsteht. Hollywood hat ein weiteres Mal gezeigt, wozu es fähig sein kann, wenn Menschen mit Herzblut an Bord sind. Mankiewicz’ Werk bleibt zeitlos, eindringlich, plausibel, in vielen Belangen unerreicht, einen Hauch überladen, doch es wird der Protagonistin vollständig gerecht und sollte von jedem zumindest einmal gesehen werden. Allen Interessierten empfehle ich die gekürzte Fassung des Klassikers, welcher bei neun Nominierungen vier technische Oscars erringen konnte. Man möge mir verzeihen, dass nicht nur die ungeschnittene Version etwas überlang geworden ist, sondern auch meine Einschätzung dazu. 🙂
Marie Antoinette (2006)
Die Welt eines Historienfilmliebhabers könnte, sofern es nur Spartenvertreter wie „The King’s Speech“ und „Cleopatra“ gäbe, in der Tat erfüllt sein. Allerdings meckern insbesondere Historiker bekanntlich auch überdurchschnittlich viel und gern. Dafür bietet das vor acht Jahren unter der Obhut von Sofia Coppola entstandene Biopic über die 1755 zur Welt gekommene, jüngste Erzherzogin von Österreich eine mehr als willkommene Steilvorlage. Die heutige Antoinette-Rezeption reicht von der Charakterisierung als ignorante Despotin, welche ihren Mann negativ beeinflusste und über die Nöte des Volks starr hinwegsah, indem sie ihnen angesichts der Brotknappheit riet, doch lieber Kuchen zu essen, bis hin zur standfesten Märtyrerin, die in ihrem goldenen Käfig heranreifte und den Revolutionierenden unverschuldet zum Opfer fiel. Eine filmische Positionierung war demnach gewissermaßen unabdinglich, dennoch wird das betreffende Drama keinem der beiden Extreme wirklich gerecht und verstrickt sich in vielen eitlen Nichtigkeiten. Wie eine künstliche Rose ist „Marie Antoinette“ äußerlich nett anzusehen, doch es fehlt der Duft, die Substanz, die Vitalität…
Beginnen wir aber mit dem Positiven: Die grundlegenden Abfolgen sind weitestgehend korrekt und umschließen ihre Verheiratung im Alter von vierzehn Jahren über die Thronbesteigung bis hin zum Beginn der Revolution, durch welche sie von ihrer Residenz vertrieben wurde. So entspricht es den Realitäten, dass Antoinette fortwährend Antipathien gegen Madame Dubarry, die Mätresse ihres Schwiegervaters, hegte und aber einen gesteigerten Wert auf die höfische Festkultur und Architektur legte. Doch nun beginnen die zahlreichen Fehler. Trotz der Tatsache, dass man viel über ihre Psyche aus Korrespondenzen erfährt, finden wir hierin kaum Verweise darauf, während die Liaison mit Graf von Fersen dagegen absolut unbelegt ist und völlig konstruiert wirkt. Aus dramaturgischer Perspektive wartet man darauf, dass außer dem modern anmutenden, von übertriebener Vergnügungssucht geprägten Tagesablauf, welcher den Unmut der Untertanen schürte, „noch mehr“ geschieht. Obschon ebendies sicherlich einen Mosaikstein ihres Wesens darstellte, wird der Eindruck vermittelt, sie habe nichts anderes getan, als Geld mit vollen Händen für Kleider und edle Speisen hinauszuwerfen. Nicht einmal der Sonnenkönig tat dies! Dass die Staatsverschuldung allein durch sie entstanden wäre, muss als purer Unsinn und Schwarzweißmalerei angesehen werden, da der Bankrott durch die Vorgänger und deren Kriegstreiben sowie den Merkantilismus verursacht worden ist. Ihre etwaige persönliche Reifung aufgrund des schweren Standes als Ausländerin unter den Franzosen wurde maximal angedeutet und lässt einen als Zuschauer kalt. Für die psychologische Skizze, auf die man hier Anspruch erhabt, wäre es konsequenter gewesen, die Beleuchtung mit ihrem Tod enden zu lassen und, nach der farbenfrohen Party nicht da aufzuhören, wo es ernst wird, denn dies kommt einer abmildernden Verzerrung gleich. Gegenwartsbezüge sind bisweilen schön und gut, aber nicht um jeden Preis! Schließlich erscheint die Königsgemahlin eher wie eine frühneuzeitliche Britney Spears, die exzentrisch auftrat, um – das entspricht lustigerweise wieder den Fakten – ihr hohes Maß an Unsicherheit zu verschleiern. Dass das junge Regentenpaar politisch-diplomatisch aktiv war und nicht aufgrund von Festgelagen, sondern wegen ihrer lokalen Abschottung wenig von der schrittweise entstandenen Bürgerdynamik mitbekam, wird somit verschwiegen. Fehlerhaft ist außerdem die Suggestion, das Schloss „Petit Trianon“, befände sich fernab des französischen Hofes, obwohl es sich in Wahrheit um ein Nebengebäude von Versailles handelte. Wegen der endlosen Aneinanderreihung von Festen und den oftmals hölzernen Dialogen mit nur spärlichen, substanziellen Lichtblicken, entwickelt sich das Porträt rasch zu einer aktionsarmen, langatmigen Posse.
Zweifellos haben die Modedesigner hier, das möchte ich keinesfalls in Abrede stellen, Erstaunliches geleistet und die blendenden, zumeist realistischen Rokoko-Outfits und Perücken mit besonders viel Liebe zum Detail gefertigt. Dies allein rechtfertigt aber keinen Zweistünder. Zwar wurde an Originalschauplätzen gedreht, doch aus dieser seltenen, vielversprechenden Gelegenheit wurde seitens der Szenenbildner überraschend wenig gemacht. Die einzigartige Residenz von Versailles wurde in Bonbonpapier gepackt und verklärt, indem alle Blicke ausschließlich auf die Kostüme gezerrt werden. Die Farbenprächtigkeit erschlägt einen bisweilen und lässt die inhaltliche Blässe nur noch augenscheinlicher werden. Zudem war die Titelfigur bei ihrer Arreststellung bekanntermaßen annähernd 35 Jahre alt, doch dies wurde von den Maskenbildnern scheinbar vergessen, da man optisch keinerlei Alterung erkennt. Dass Antoinette ein Mal sogar Turnschuhe trägt, überrascht dann auch nicht weiter. Obwohl die klassischen Kompositionen hörenswert sind, empfand ich die Einsetzung Songs aktueller New-Wave-Bands als vollkommen unpassend. Ein klassisch französisches Feeling kommt aus all diesen Gründen jedenfalls nur in äußersten Ansätzen herüber.
Hauptdarstellerin Kirsten Dunst mag ihre vielschichtigen Kleider vortrefflich ausfüllen, jedoch hat sie nicht Präsenz genug, um dies auch im Falle ihrer Rolle zu schaffen und den Film zwei Stunden lang zu tragen. Im direkten Vergleich zu den Damen, die ebenfalls Antoinette darstellten (Norma Shearer oder Jane Seymour), geht sie gänzlich unter und nervte mich mit ihrem künstlichen Grinsen zeitweise sogar. Zum Glück zeigte Dunst in „Melancholia“ eindrucksvoll, dass sie überzeugend agieren kann, hier jedoch wirkt sie fortwährend verkrampft und am realen Vorbild vorbei. Jason Schwartzman hingegen ist als letzter Bourbonen-König vor der Französischen Revolution eine einzige Lachnummer, dem man nicht eine einzige Aktion abkauft. Sicherlich mag Ludwig XVI. eine sensible, altersbedingt überforderte Natur besessen haben, aber er war auf keinen Fall so ein unbedarfter Schwächling wie der von ihm evozierte Charakter. Und auch die Gastauftritte von Marianne Faithfull, Molly Shannon und Steve Coogan wirken deplatziert und arg komödiantisch. Allenfalls Rip Torn hat sich in die Rolle Ludwigs XV. gut eingefunden.
Letzten Endes ist Sofia Coppolas Werk weniger eine Geschichtsstunde oder ein Kostümdrama als ein verkrampfter Versuch, die Vita Antoinettes einen Touch des 21. Jahrhunderts zu verleihen, und wohl deswegen anmaßend, extrem subjektiv, unvereinbar, blutleer und schemenhaft. Letzten Endes wurde „Marie Antoinette“ von der Academy für die opulenten Kostüme bedacht, also genau in der einzigen gerechtfertigten Kategorie. Auf sämtlichen anderen Ebenen wäre angesichts des folgenschweren Kontexts einfach so viel mehr möglich gewesen. Coppola mag zu Recht eine der wenigen Frauen sein, die eine Regienominierung erhalten haben, von historischen Dramen sollte sie jedoch tunlichst die Finger lassen oder sich zumindest länger als ein paar Atemzüge damit auseinandersetzen. Folglich liefert die Adaption außer einigen unterhaltsamen Momenten, weder darstellerisch wertvolle oder gar nachhaltige Elemente noch setzt sie nützliche Akzente innerhalb der hochkonjunkturellen Bourbonen-Forschung. Das erklärt wohl, warum die DVD eine der wenigen ist, die ich rasch weiterverschenkt habe…