Selbstredend könnte ich mich wenigstens dieses Mal kurz fassen, indem ich der absolut auf den Punkt gebrachten Rezension unseres Kollegen Dennis in sämtlichen Punkten beipflichten würde, doch das Schreiben soll ja bekanntlich therapeutische Wirkung haben und dazu beitragen, Gesehenes zu verarbeiten. Von „Whiplash“ hatte ich mir im Vorhinein nicht mehr versprochen, als eine angemessene Rechtfertigung dafür zu erhalten, dass J.K. Simmons seit Ewigkeiten als Oscargewinner in spe gehandelt wurde, doch letztlich beeindruckte nicht nur er, sondern Chazelles unkonventionelles Werk in seiner Gesamtheit. Derart aufgewühlt fühlte ich mich jedenfalls zuletzt nach der allerersten Sichtung von „Black Swan“, der bekanntlich zu meinen Lieblingsfilmen zählt und darüber hinaus inhaltliche Parallelen aufweist.
Beinahe fühle ich mich sowohl neidisch als auch beschämt, dass Regisseur Damien Chazelle mit seinen nicht einmal dreißig Lebensjahren nur unwesentlich älter ist als ich selbst und dann gleich mit seinem Erstlingswerk eine solche Leistung hervorgebracht hat. Neben der Thematik vermag es vor allem seine rationale Regieführung, den Zuschauer nicht nur zu unterhalten, sondern in mannigfacher Hinsicht herauszufordern. Insbesondere die Aktions- und Dialogarmut führt zu einer rasch anschwellenden, beklemmenden Atmosphäre, welche die Angst der jungen Musiker greifbar macht. Der schonungslos und angsteinflößend dialogisierte Drill des Lehrers lässt den Mikrokosmos der Übungsräume des Jazzorchesters zu einem Kriegsschauplatz mutieren, der darüber hinaus durch den stringent nahen Kamerafokus und die stakkatoartige Schnittarbeit perfekt zur Geltung gebracht wurde und ohne eine zusätzliche musikalische Untermalung auskommt. Zugute zu halten ist dem Film mit idealer Länge des Weiteren die Konsequenz von Drehbuch und Inszenierung, die zwar überraschende und nervenaufreibende Wendungen inmitten von Atempausen impliziert, gleichwohl aber nie ihren klimaxartigen und tiefenpsychologisch verdichteten Charakter verliert. Als besonders gelungen muss im Besonderen die metaphorische Relevanz von Aspekten wie dem Perfektionsstreben und Versagensängsten im Kontext von Bildungsstätten angesehen werden, welche mithilfe des Stilmittels der Hyperbel provokant, doch gerade deswegen nicht minder nachwirkend ausgeformt worden ist.
Getragen wird die düstere Studie von Höchstleistungen der beiden, voneinander abhängigen Antagonisten. Der von mir bereits für sein Debüt in „Rabbit Hole“ hoch gelobte Miles Teller gibt eine grandiose und nachfühlbare Vorstellung, von der man die Augen einfach nicht abwenden kann – so sehr man sich auch darum bemühen mag, denn man kauft ihm jede Art von Emotion ab. J.K. Simmons, den ich schon seit zehn Jahren stets als Institution für jede einzelne Produktion erachte, liefert dagegen in der Tat die mit Abstand intensivste Performance des gesamten Jahres ab. Rasch umschwenkende Stimmungen sowie erniedrigende Worte, Blicke und Gesten, die auf einen wie Messerstiche wirken, bestimmen sein aggressives Spiel, das auch sehr leicht hätte übertrieben wirken können, es aber nie tut. Unschlagbar wird er primär durch seine grandiose Präsenz und die Durchdringung seines schwierigen Charakters und weniger dadurch, dass er das F-Wort gefühlte 1000 Mal verwendete. Bis dato habe ich immer Peter Ustinovs Auftritt in „Quo Vadis?“ als meine favorisierte männliche Nebendarstellung angegeben, doch er muss sich diesen Platz wohl künftig mit Simmons teilen, denn einschneidender kann man wohl kaum spielen. Auch die meisten der übrigen Darsteller vermochten es, die Gefühle im Ausnahmezustand sichtbar werden zu lassen.
Genau wie Terence Fletcher seine Schülerschaft physisch und seelisch unter Druck setzt, tut es auch Chazelle mit dem Publikum – und genau das muss als Seltenheit angesehen werden. Wenngleich mir zur Titulierung als uneingeschränktes Meisterstück etwas fehlte, das ich nicht genau in Worte fassen kann, erachte ich „Whiplash“ – selten gab es einen besser passenden Filmtitel – als einen speziellen, verstörenden, elektrisierenden und in seiner Machart mit wenig anderen Werken vergleichbares Saisonhighlight, das sich seine fünf Oscarnominierungen redlich verdient hat. Wäre das Psychoduell nicht derart „normabweichend“, wären sicher noch weitere Nennungen hinzu gekommen, nichtsdestotrotz kann man über die Courage und den Weitblick der Academy ausnahmsweise erfreut sein… Bravo!