Schon in der hellenistischen Antike wurde der Sexualität in all ihren Facetten ein bemerkenswert hoher Stellenwert beigemessen, denn weder Polygamie stellte ein Tabu dar, noch die sogenannte Knabenliebe, noch die Verwirklichung des aus dem Altgriechischen stammendenden Begriffs „Orgie“. Auf dieses offene Zeitalter folgten bekanntlich deutlich konservativere, von kirchlichen Dogmen geprägte Jahrhunderte und auf der großen Leinwand erlebte der intellektuelle Erotikfilm, in dem der Liebesakt sowie alle damit zusammenhängenden Aspekte für das Publikum unmittelbar visualisiert worden ist, erst ab der Mitte der 1960er eine erste zarte Blüte. Gerade Zensurversuche trugen häufig dazu bei, dass diese Filme noch begehrter und erfolgreicher wurden. Angekommen im 3. Jahrtausend verlagerte sich die Prämisse der Filmsparte insofern, als dass es heutzutage immer mehr darum geht, bewusst zu provozieren und die Grenzen zu erweitern und überschreiten, um das Publikum überhaupt noch beeindrucken zu können. Bekanntermaßen ist es häufig die Darstellung sexueller Spielarten fernab aller Konventionen, die zwar abstößt und öffentliche Kontroversen in Gang setzt, aber gleichermaßen ein hohes Maß an Faszination impliziert und darüber hinaus vielfach hohe Einnahmen zu erzielen imstande ist. Freilich geben die wenigsten es offen zu, aber Sex ist aus meiner Sicht doch ein nicht unerheblicher, inhaltlicher und zeitloser Köder innerhalb des Filmgeschäfts.
Vielleicht werden nun einige Leser die Brauen heben, dass gerade der jüngste aus unserer illustren Oscar-Gruppe einen Artikel über erotische Streifen der letzten 50 Jahre schreibt, wozu mich im Besonderen ein kürzlich erschienener Film minderer Qualität inspiriert hat, dennoch traue ich mir inzwischen so viel Weitblick zu, mit schlüpfrigen, obszönen, stimulierenden, voyeuristischen, jedoch letzten Endes zutiefst menschlichen Sujets objektiv umzugehen. Die meisten Erotikfilme werden oft besonders breitgefächert und auffallend personenspezifisch bewertet, was speziell an der individuellen Hemmschwelle liegen dürfte. Wenngleich einige der zwanzig von mir ausgewählten (mehr oder weniger bekannten) Produktionen, von denen die meisten aus dem Thriller- und Dramenbereich stammen, darüber hinaus offenlegen, wie nah die Grenze zwischen erotischer Filmkunst und Pornografie miteinander korreliert, erhielten letztlich nur zwei Filme eine FSK-Freigabe ab 18 Jahren.
Aus meiner Sicht muss ein gutes, sexuell angehauchtes Gattungsbeispiel vor allem Atmosphäre, Anspruch, Leidenschaft, schauspielerische Chemie und Lebensrelevanz miteinander verbinden und ebendies ist in der Tat einer höheren Anzahl von Filmen gelungen als man zunächst vermuten würde. Während gelungene Genrevertreter wie „Quills“, „Gefährliche Liebschaften“, „Sleeping Beauty“ und „Jung & Schön“ bereits hinlänglich rezensiert wurden, werden Produktionen wie „Baise-Moi“ und „Total Romance“ selbstredend genauso unberücksichtigt bleiben wie Softpornos, die auf irgendeiner entlegenen Alm angesiedelt sind oder zeitweise in Dauerschleife im Nachtprogramm einiger Privatsender liefen… 🙂
Basic Instinct
Von meinem geschätzten Kollegen Dennis kürzlich als „schlecht gealtert“ sowie „unfreiwillig komisch“ betitelt, möchte ich zuallererst einen Versuch unternehmen, den zweifach oscarnominierten Erotikthriller mit konsequenter und schnörkelloser Dramaturgie etwas zu rehabilitieren. Durch seine Doppelbödigkeit hebt er sich von allen Trash-Thrillern des Jahrzehnts ab und gerade die Intention, dass Sex bisweilen auch als Waffe in einem perfiden Spiel einsetzbar ist, gefällt mir noch immer fast genauso in demselben Maße wie die darstellerische Chemie zwischen Michael Douglas und der meisterhaft agierenden Sharon Stone als Femme Fatale der Extraklasse namens Catherine Tramell. Neben gerechtfertigten Oscarnominierungen für die (gemessen an Genremaßstäben) überragende Musik und den Schnitt hätte ich mir die entsprechende Anerkennung für Sharons Stones „wunderbar beherrschte und perfekt durchstilisierte Charakterstudie“ gewünscht, denn besser war sie aus meiner Sicht bis zum heutigen Tage nie, was nicht nur an der mittlerweile Kultstatus genießenden Verhörszene liegt. Freilich wirkt die dargebotene Weltanschauung aus heutiger Sicht etwas reaktionär und nicht alle Mitglieder des Ensembles überzeugen auf ähnlichem Niveau wie das Hauptdarstellergespann, dennoch stellt Verhoevens Werk einen reißerischen, spannenden, sexuell aufgeladenen und folglich ausgewogenen Genre-Mix dar, der auch nach mehrfacher Sichtung fesselt und nicht eine Minute zu lang geraten ist. Die Fortsetzung von 2006 sollte man jedoch in der Tat tunlichst meiden, denn diese ist in der Tat so plump geraten, dass ich keine Zeit zur Analyse aufbringen will!
Belle De Jour – Schöne Des Tages (OT: Belle De Jour)
Eine besonders aphrodisierende, auf einem Roman von 1928 basierende, unter Cineasten inzwischen Klassikerstatus genießende Produktion aus unserem westlichen Nachbarland entstand vor fast einem halben Jahrhundert und löste heftige Diskussionen aus. Ein Grund dafür war die bewusst in Form verruchter, schwer zwischen Realität und Fiktion zu unterscheidender Tagträume arrangierte Visualisierung tabuisierter Fetische, welche die schöne Protagonistin Séverine ihrem Ehemann jedoch nicht zu offenbaren imstande ist. Buñuel hinterließ uns eine schonungslose und aufwühlende Parabel über den erregenden, wenn auch demütigenden Ausbruch aus der bürgerlichen Gesellschaft mit all ihren konventionellen Zwängen. Das Fehlen einer musikalischen Untermalung tut der intensiven, atmosphärischen Dichte keinen Abbruch und besonders die Kreationen von Yves Saint Laurent tragen dazu bei, auch das Auge zu erfreuen. Getragen wird die spannungsreiche, hochsymbolische Geschichte über die tagsüber käufliche Liebe nahezu im Alleingang von einer grandiosen, lasziven wie sensiblen Performance von Catherine Deneuve, die immerhin für den BAFTA nominiert wurde, dort jedoch gegen Katharine Hepburn das Nachsehen hatte. Obschon mir für die Titulierung als ultimatives Meisterwerk ein Quäntchen fehlte, muss das Werk dennoch als frühester und couragierter Triumph des erotischen Kinos angesehen werden, das für viele Nachfolger die Weichen stellte und das, sofern die man des Französischen halbwegs mächtig ist, unbedingt in Originalsynchonisation angesehen werden sollte. Aufgrund der surrealistischen Züge dürfte „Belle de Jour“ letzten Endes vieles sein, aber sicherlich kein Film, der allen gefallen möchte.
Blau Ist Eine Warme Farbe (OT: La Vie D’Adèle)
Wie ich bereits vor Längerem herausgestellt habe, ist der in unserem Forum verhältnismäßig hochgeschätzte, französische Film mit fantastischem Titel auch aus meiner Sicht dank seiner Hauptdarstellerin grundsätzlich sehenswert, aber letztlich einfach zu redundant, langatmig und selbstbezweckend provokativ, um als großartig befunden zu werden. Auch den Academy-Mitgliedern war Kechiches kontrovers diskutiertes Werk aus dem letzten Jahr augenscheinlich mehr als eine Spur zu heiß.
Body Of Evidence
Kürzlich hatte ich das ausgesprochene Glück, mir ein Ticket für die inzwischen zehnte Konzerttournee der wohl kontroversesten Musikkünstlerin unserer Zeit sichern zu können, die sich seit Jahrzehnten immer wieder neu erfindet, dabei jedoch weniger durch Stimme als mithilfe betörender Bühnenshows für viele – auch für mich – als Ikone gilt. Dem Erfolg als Sängerin steht der Status als eine der mit Abstand bescheidensten Schauspielerinnen gegenüber, obwohl sie in „Dick Tracy“ und „Eine Klasse Für Sich“ annehmbar agierte, bevor sie in „Evita“ sogar unerwartet Großartiges leistete. Leider ist ihre darstellerische Leistung als aufreizende Rebecca in „Body Of Evidence“ jedoch ähnlich mies wie der Streifen in seiner Gesamtheit, der als billigproduzierter Abklatsch von „Basic Instinct“ angesehen werden muss. Edel versuchte unverkennbar, in dessen Fahrwasser mitzuschwimmen und scheitert dabei aus unzähligen Gründen kläglich. Madonnas Körper dürfte der Männerwelt zwar ähnlich gut gefallen wie der von Stone, ihre unglaubwürdige Performance sorgt aber im Zusammenspiel mit einem orientierungslos wirkenden Willem Dafoe sowie den nahezu durchgängig grauenhaften Dialogen dafür, dass die Szenerie deutlich weniger betört als belustigt. Hinzu gesellt sich zudem das Fehlen einer konkreten Aussageabsicht und – abgesehen von der Kerzenwachs-Szene – eines Spannungsbogens auf Kosten einer vollkommen durchschaubaren, klischeebeladenen, mäßig unterhaltenden Handlungsführung. Die fast schon gnädige, punktuelle Bewertung resultiert in erster Linie daraus, dass Archer, Langella und Moore in einer ihrer ersten Rollen ihr Möglichstes gegeben haben, um dem grenzenlos bescheuerten Drehbuch irgendetwas entgegenzusetzen… Liebe Madonna, konzentrier dich bitte auf das, was du kannst!
Coming Out
Diesem, von angenehm zurückhaltender, sichtbarer Wollust durchzogenen Film merkt man überdeutlich an, dass er in einer Phase des gesellschaftlichen Umbruchs geschaffen wurde. Die DEFA verhielt sich im Zuge des kollabierenden Systems der DDR zunehmend mutiger und selbstbestimmter sowie verarbeitete eine bis dato durch den Einfluss der SED tabuisierte Thematik. Ohne jedwede voyeuristischen Tendenzen wird das Publikum anhand des Lehrers Philipp Zeuge von dem teilweise langwierigen, inneren und zutiefst verunsichernden Kampf auf dem Weg vom erotischen Interesse gegenüber dem eigenen Geschlecht bis hin zur selbstbezogenen Akzeptanz und den damit verbundenen Konsequenzen im öffentlichen und familiären Umfeld. Insbesondere ebendieser Fokus wurde bis zum Schluss nicht aus den Augen verloren und die inhaltliche Brisanz durch eine behutsame Inszenierung mit zurückgenommenen Klängen, lebensnahen Dialogen und ruhigen Kamerabewegungen verstärkt. Darüber hinaus zeichnen sich die Darsteller, allen voran Protagonist Matthias Freihof, durch ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen aus, das eine intime Atmosphäre generiert. Wenngleich die Herangehensweise aus heutiger Perspektive in mehreren Belangen nicht gänzlich frei von Klischees und das Ende doch eine Spur zu abrupt arrangiert worden ist, muss Carows Film jedoch als ein nicht ganz unwichtiger Beitrag für die filmische Identität von homosexueller Liebe und als Plädoyer gegen staatliche Reglementierung angesehen werden, welches erfreulicherweise nicht aus Sensationslust inszeniert wurde.
Der Letzte Tango In Paris (OT: Ultimo Tango A Parigi)
Kommen wir zu einem weiteren, umstrittenen und nicht gerade leicht verdaulichen Werk mit äußerst symbolhafter Wirkung, das die damalige Zuschauerschaft in zwei Lager spaltete. Ich für meinen Teil zähle mich zur Fraktion derer, die Bertoluccis Skandalfilm als überdurchschnittliches Erlebnis befinden. Speziell die Kontrastierung von Geborgenheit, Autonomiestreben, sexueller Hingabe und zwischenmenschlicher Abhängigkeit wurde effektvoll aufgedröselt. Die untergehende Sonne tauchte den visuell komplexen Drehort nicht nur in ein orangegesättigtes Licht, sondern steht als Metapher für die Lebensneige von Paul, der sich nach dem Suizid seiner Frau auf eine Affäre mit der blutjungen, unbekannten Jeanne einlässt. An dem Punkt, an dem die Maske der Anonymität endlich fällt und nicht mehr nur die Körper entblößt werden, erreicht die Inszenierung ihren verwüstenden, evokativen Höhepunkt. Der Umstand, dass die Liaison sich zunehmend in Perversion wandelt, überschritt jedoch temporär meine persönliche Geschmacksgrenze. Dennoch ist man in erster Linie fortwährend gebannt von dem Hauptdarsteller, denn Brandos Darbietung gehört für mich zu den besten Performances in seiner an Höhepunkten nicht gerade armen Karriere, denn viele Szenen wurden bemerkenswerter Weise improvisierend vollzogen. Ich bin überzeugt, dass der dritte Oscar ihm gehört hätte, wenn er nicht eine Saison zuvor für einen derartigen Eklat gesorgt hätte. Schneider zeigte ebenfalls weitestgehend intensive Momente, verschenkte in der Interaktion bisweilen allerdings Potential. Wenngleich mir das heute nicht mehr in selben Maße anstoßende Werk vor ein paar Jahren besser gefallen hat, macht es dem im Titel genannten Gesellschaftstanz alle Ehre, denn es ist sowohl feurig, aggressiv als auch ruckartig und zerpflückt die Ambivalenz rein körperlicher Beziehungen, übertreibt es jedoch vereinzelt mit seiner gestreckten Haltung.
Der Liebhaber (OT: L’Amant)
Basierend auf dem 1984 verfassten autobiographischen Roman von Marguerite Duras wird in der Filmadaption die Geschichte einer verbotenen Liaison zwischen einer französischen Schülerin und einem chinesischen Geschäftsmann in Französisch-Indochina der 20er erzählt. Die Autorin war mit der Leinwandfassung leider äußerst unzufrieden, weil sich Annaud fokussiert auf einen, und zwar den amourösen Handlungsstrang der Vorlage beschränkte, was aus meiner Sicht jedoch gerade deshalb als legitim zu erachten ist, weil dies die wertvollsten Phrasen sind und des Weiteren der soziale Kontext nicht aus den Augen verloren wurde. Die wohldosiert eingesetzten Liebesszenen, vielleicht die bestbelichteten der Filmgeschichte, wirken auf den Zuschauer unglaublich reell und leidenschaftlich, sodass man sich bereits zwanzig Jahre vor „Blau Ist Eine Warme Farbe“ einen öffentlichen Diskurs darüber führte, ob der Akt der beiden Hauptdarsteller tatsächlich vollzogen worden ist, was von March allerdings beharrlich dementiert wurde. Des Weiteren sind die zeittypischen, aufwendigen Kostüme und Kulissen sowie die erotisierende Farbsymbolik hervorragend gelungen. Was jedoch den größten Pluspunkt darstellt, ist die oscarnominierte Kameraarbeit, welche das exotische Flair des traditionsreichen Lebens im seinerzeitigen Vietnam perfekt einfängt und mit ätherischen Qualitäten ausstattet. In ihrem Debüt bietet Jane March zusammen mit vielen Nebendarstellern eine sensible, überaus identifikationsreiche Leistung, nur Tony Leung Ka-Fai agierte mir bisweilen ein wenig zu behäbig. Unter der Regie des Genies Jean-Jacques Annaud ist nichtdestotrotz ohne Zweifel ein starker Beitrag des neueren, asiatischen Kinos entstanden, den ich in Summe für deutlich zu wenig gewürdigt halte.
Eine Verhängnisvolle Affäre (OT: Fatal Attraction)
Adrian Lynes sechsfach für einen Academy Award vorgeschlagenes Werk gilt heute mit Fug und Recht nicht nur als „Mutter aller Erotikthriller“, sondern auch als ein genreübergreifendes Meisterstück der 1980er. Mit vierzehn Jahren habe ich diesen Film (heimlich) zum ersten Mal gesehen und hatte im Anschluss schlaflose Nächte… Zu Beginn denkt man, dass der zufällig ins Rollen geratene, elektrisierend gefilmte Ehebruch den verwerflichsten Faktor bildet – obschon die Macher augenscheinlich nicht beabsichtigt haben, Untreue als Sünde anzuprangern, doch dieser Fakt ändert sich mithilfe des messerscharfen, wendungsreichen Drehbuchs binnen kürzester Zeit. „Eine Verhängnisvolle Affäre“ differenziert sich nach dem Auftakt nämlich zu einem stilsicheren, konsequenten Thriller mit dröhnender und variabler Musik, schnellen Schnittfolgen sowie toller Kameraführung aus und hält inmitten von kurzen Entspannungsphasen mehrfach knallharte Momente bereit, exemplarisch sei die Kaninchenszene genannt. Gerade in den Momenten, in denen man als Zuschauer denkt, man sähe nicht mehr nur bloßes Schauspiel vor sich, spricht das für darstellerische Perfektion. Glenn Close wird aus Obsession und Eifersucht zur unberechenbaren, sich verselbstständigenden Furie und stellt dies beängstigend authentisch dar, weswegen die Rolle nicht nur auf Liste der besten Bösewichte rangiert, sondern aus meiner Sicht als zweitbeste Performance anzusehen ist, die mit dem Goldjungen ausgezeichnet hätte werden müssen! Doch auch Michael Douglas und Anne Archer vermögen, ihr mit stark verkörperten Darbietungen Paroli zu bieten. Das ursprüngliche Ende hat man glücklicherweise als Reaktion auf das enttäuschte Publikum bei Testvorführungen gegen das altbekannte, exzessive, psychotische Duell ausgetauscht, denn gerade dieses lässt „Eine Verhängnisvolle Affäre“ zu einem durchgängig aufwühlenden Erlebnis avancieren, bei dem ich bedaure, dass es bei der Oscarverleihung gänzlich leer ausgegangen ist. Darüber hinaus bin ich mir gewiss, dass sich die Zahl der außerehelichen Affären nach Veröffentlichung zunächst einmal schlagartig reduziert haben dürfte.
Elementarteilchen
Oskar Roehler nahm sich vor einem Jahrzehnt der filmischen Umsetzung von Michel Houellebecqs skandalträchtigen, gleichnamigen Roman an, in dem sowohl brisante wissenschaftliche, gesellschaftskritische als auch sexualevolutionäre Thesen aufgestellt werden, und lockte damit eine Million Zuschauer in die hiesigen Lichtspielhäuser. Nicht zu Unrecht, wie ich finde. Im Zentrum stehen zwei Söhne einer Hippie-Mutter, deren Leben sich in entgegengesetzte Richtungen entwickelt haben, denn während der eine als enthaltsamer Forscher sein Dasein fristet, gerät der andere aufgrund vieler Enttäuschungen zunehmend in einen Sud aus psychischer Labilität, Grenzüberschreitungen und sexueller Orgien in Nudistencamps und Swingerclubs. Die allererste Sichtung im Kino war besonders schwer zu verkraften, da hier eine dramaturgische Schonungslosigkeit an den Tag gelegt wird, die man in deutschen Produktionen selten vorfindet. Nicht nur durch die ausforschende Kameraführung, der stetig zwischen Zeitebenen und Halluzinationen pendelnde, eigenwillige Erzählstil sowie scharfe Dialoge halten das Interesse wach, sondern letztlich auch die späte, unerwartet bittersüß-ambivalente Entdeckung der Liebe der Brüder. Der wendungsreiche Schlusspart ist es, welcher trotz der anvisierten Sterilität der Bilder die Nüchternheit zu durchbrechen und infolgedessen besonders zu berühren vermag. Garniert wird die provokante, manchmal allerdings etwas zu gewollt philosophisch-intellektuelle Inszenierung durch ein in der Gesamtheit einträgliches, nationales All-Star-Ensemble, denn neben Moritz Bleibtreu, Christian Ulmen und Martina Gedeck brillieren vor allem Nina Hoss und Corinna Harfouch, die erneut beweisen, dass sie auch international bestehen könnten. Lediglich Franka Potente blieb zu blass und ließ Glaubwürdigkeit vermissen. „Elementarteilchen“ muss als substantielles Drama bezeichnet werden, doch ist andererseits lange nicht so gut wie ein weiterer, noch zu analysierender Film aus unserem Heimatland.
Eyes Wide Shut
Basierend auf der bereits vor 90 Jahren erschienenen, fantastisch geschriebenen „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler hielt sich Stanley Kubrick im Zuge seiner letzten Regietätigkeit auffallend eng an die Kernhandlung der Vorlage, verlagerte das Geschehen jedoch in die New Yorker Society unserer Zeit, um Identifikationsmöglichkeiten zur ungewöhnlichen Ehe von Alice und Bill zu schaffen. Zur filmischen Rezeption möchte ich gar nicht allzu viele Worte verlieren, da man diesen erotisierenden Film wenigstens einmal gesehen haben muss, ohne vorab zu viel darüber zu wissen. Nach einem gemächlichen Start kommt es zur beidseitigen Äußerung von sexuellen Wünschen und in Form einer labyrinthartigen Inszenierung fällt es immer schwerer, zwischen Realität und Imagination zu differenzieren, was den essentiellen Anreiz bildet. Neben dem gelungenen Einsatz von technischen Mitteln und pikanten Wortwechseln, besticht vor allem die von krassen, stilistischen Gegensätzen bestimmte musikalische Untermalung. Die zentrale, ausschweifende Maskenball-Sequenz vereint einerseits eine tolle Kamerafahrt sowie berückende Kostüme und verströmt obendrein sowohl liturgische, mystische als auch verführerische Qualitäten. Als Wertungssenkend sehe ich insbesondere den Umstand, dass „Eyes Wide Shut“ annähernd eine halbe Stunde zu lang geraten ist und die aufgebaute Spannung nicht durchgängig gehalten werden kann. Tom Cruise gefiel mir in darstellerischer Hinsicht selten besser und Nicole Kidman spielte die Rolle der Alice dermaßen prägnant, dass ich keinen der nachfolgenden Filme mit ihr verpasst habe. Der große Stanley Kubrick verabschiedete sich durch diese langwierig produzierte Arbeit mit einem beeindruckenden, wenn auch extrem speziellen, sinnbildlichen Paukenschlag, der mit einem besonders bizarren Schlusssatz endet und doch auffallend objektiv auf das zielt, was sich der Homo Sapiens zumeist eben nicht traut, in der Realität auszuleben.
Fifty Shades Of Grey
Ich weiß offen gestanden nicht, was genau mich geritten hat, mir ebenjenen Film anzusehen, der bei ausnahmslos allen Kritikern durchgefallen ist. In unserer von Erotik gesättigten Welt streben nicht nur viele Menschen nach immer extremeren Sexualpraktiken, sondern auch das sensationshungrige Publikum, was an sich nicht einmal verwerflich wäre, wenn „Fifty Shades Of Grey“ seinen Hype halbwegs rechtfertigen würde. Doch leider wurde der grundsätzlich nicht gänzlich uninteressanten Thematik eine vollkommen dümmlich-naive Inszenierung entgegengestellt. Die Geschichte über eine junge Frau, die sich von dem SM-begeisterten Milliardär betören lässt, bedient nahezu jedes Klischee eines misslungenen Erotikfilms und enthält eine Akkumulation aus Dialogen, die häufig seelischer Grausamkeit verdächtig nahekommen. Anas Knechtschaft lässt einen kalt und man empfindet angesichts des Abgleitens in eine infantile Verliebtheit tatsächlich bisweilen Schmerzen – und nein, verehrte Fans der härteren Gangart, das meine ich nicht in passionierter Weise. Der sicherlich nett anzusehende Jamie Dornan bleibt leichenblass und liefert viele unfreiwillig lustige Momente, da er es einfach nicht eine Sekunde lang schafft, glaubhaft als sadistischer Master zu agieren (sondern eher als krampfige Pussy) und dürfte die „Goldene Himbeere“ jetzt schon für sich gepachtet haben. Einzig und allein Dakota Johnson versucht zumindest, das Beste aus ihrer flapsigen Rolle herauszufiltern und auch die musikalische Zusammenstellung ist streckenweise durchaus gelungen, sicherlich aber zu schade für diesen überlangen, unnötigen und zur Pseudo-Kunst aufgeblasenen Schund. Entgegen der angestrebten Filmintention tut der Kassenerfolg somit wirklich alles – außer zu fesseln. Die Chance auf die Sichtung der etwaigen Fortsetzungen – die Regisseurin hat bereits das Handtuch geworfen – oder die Lektüre der Bücher ist damit endgültig auf den Nullpunkt gesunken.
Hamam – Das Türkische Bad (OT: Il Bagno Turco)
Filme mit homosexuellem Inhalt werden vor allem von Personen, die ebenfalls gleichgeschlechtlich lieben besonders kritisch beäugt, weshalb ich mir von „Hamam“, einer italienisch-türkischen Koproduktion, zunächst einmal gar nicht allzu viel erwartet hatte. Umso erfreuter war ich jedoch über das Ergebnis. Insbesondere dann, wenn Sexualität vor dem Hintergrund traditionell-religiöser Sozietäten erläutert wird, ist die Kontroversität beziehungsweise der Grad der Entrüstung häufig besonders hoch und genau darin liegt vielleicht der Reiz des Betrachteten begründet. Aufgrund der poetischen Aufmachung inmitten der fast schon zu flüchtig gezeigten imposanten Metropole Istanbul wird einem erlaubt, zusätzlich beflügelt durch überaus reizvolle Klänge und prägnante Dialoge, gemeinsam mit dem verheirateten Italiener Francesco, der sich in einem geerbten Badehaus in Mehmet verliebt, in die ästhetisch-orientalische Welt einzutauchen. Vereinzelt fehlt es trotz der optisch verströmten Sinnlichkeit in letzter Instanz an erzählerischem Biss, nicht nur, weil die im Dampfbad ihren Anfang nehmende, nicht lange unentdeckt bleibende Affäre der beiden Männer hätte diesmal in der Tat für die Augen des Publikums ausgebaut werden können, sodass ich mir beinahe mehr gewünscht hätte als „nur“ eine sinnliche Kusssequenz präsentiert zu bekommen. Im Gegenzug schöpft Özpetek in seinem mutigen Regiedebüt intime Charakteristika aus beiden Kulturkreisen und auch das kleine Ensemble offeriert eine kraftvolle Gemeinschaftsleistung, der man sich nicht entziehen kann. In jedem Fall stellt dieser, nicht direkt auf Erotik, sondern auf Melodramatik und Emotionen ausgerichtete Film gerade deswegen ein couragiertes Porträt über Selbstverwicklung und ihre Folgen dar, weil sie alle insgeheim lebendenden Homosexuellen, auch fernab der islamischen Zivilisation, ansprechen und bestärken dürfte.
Hautnah (OT: Closer)
Im Alter von gerade einmal 13 Jahren durfte ich mir diesen Film erstmals im Kino zu Gemüte führen, doch leider führte die Anhäufung an vulgären Schlagabtauschen dazu, dass der Besuch auf Drängen meines entrüsteten Vaters vorzeitig abgebrochen werden musste. Dies hielt mich jedoch nicht davon, mir „Hautnah“ ein halbes Jahr später, auf DVD zuzulegen, denn schon damals empfand ich ihn als überragendes, zutiefst echtes Charakterdrama der allerbesten Sorte, das mich einfach nicht loslassen wollte und mittlerweile zu meinen Genrelieblingen gehört. Nach einem gemächlichen, fast schon romantischen Start erweitert sich der Fokus von zwei Paaren auf eine erotisierende Vierecksgeschichte, in der sich neben einem Partnertausch auch Motive wie Erniedrigung, Eifersucht, Gefühlskälte, Verletzbarkeit, Abhängigkeit, Kontrollausübung, Schuldgefühle und unbändige Sehnsucht schrittweise in effektiver Manier entspinnen können, während eine der Personen bis zum Schluss geheimnisumwoben erscheint. Trotz der anfänglich klar verteilten Rollentypen bleibt es dem Zuschauer überlassen, wer nun Opfer oder Täter innerhalb des lasziven, theaterbasierten Stückes ist, das überdies mit dem fantastischen Song „The Blowers Daughter“ im Vor- und Abspann aufwartet. Ellipsen und verdichtete Zeitsprünge werden genauso als tragende Stilmittel eingesetzt wie stellenweise vor Frustration und sexueller wie schwarzhumoriger Drastik sprühende Wortwechsel und einen gleichermaßen beeindruckt als auch hilflos zurücklassen. Nicht zuletzt ist Nichols vorletztes Werk jedoch ein regelrechtes Fest für alle Liebhaber intensiver Schauspieldarbietungen. Während Law und Roberts ihr Können souverän minutiös abrufen konnten, sind es jedoch Portman und Owen, die einem mit ihrer Rafinesse beinahe den Atem rauben. Zweifelsohne dürfte „Hautnah“ polarisieren, doch für mich fungiert es letztlich als weiterer Beweis dafür, dass es für ein grandioses Drama nicht viel mehr bedarf als ein harmonierendes Ensemble, dem sich alles andere unterordnet. Mehr als zwei, von Seiten der Academy zugesprochene Nominierungen für die äußerst nah an der Perfektion anzusiedelnde, aufwühlende und verbalerotische Psycho-Studie wären in jedem Fall wünschenswert und angemessen gewesen. Wenn es nach mir gegangen wäre, dürfte Clive Owen sich heute jedenfalls Oscarpreisträger nennen.
Im Reich Der Sinne (OT: Ai No Korīda)
Dieser Film schockierte die Welt vor fast vier Dekaden und wurde von der Staatsanwaltschaft nach der Vorführung auf der Berlinale aufgrund seiner detaillierten Darstellung von Gewalt und rituellem Geschlechtsverkehr, das als Kontrast zu den zeitüblichen Romantik-Filmen fungieren sollte, kurzerhand beschlagnahmt. Umso erstaunlicher mutet es an, dass die grundsätzlich interessante, fernöstliche Story über die bizarre Beziehung der Geisha Abe mit Ishida auf tatsächlichen Ereignissen beruht. Viele Kritiker beschrieben ihn als Highlight des Jahrzehnts, doch dem kann ich mich trotz unverkennbarer Vorzüge nur im Ansatz anschließen. Zugegebenermaßen ist die Zeichnung eines durch erotischen Rausch erreichten Realitätsverlusts, der tödlich endet, von Ōshima unbeschönigend und couragiert angegangen worden und auch Ausstattung und inszenatorische Stilmittel können beeindrucken. Leider fehlt es im Gegenzug völlig an präganten Dialogen und einer nachvollziehbaren Synthese von Lust und den kulturellen Rahmenbedingungen, denn obwohl man die Augen von den fesselnden Liebesszenen kaum abwenden kann, reihen sich diese stetig und ohne konkrete Handlung aneinander, weswegen die Beweggründe der Charaktere im Gegenzug in Gänze verborgen bleiben. Hätte man der Provokanz mehr Tiefe verliehen, wäre der aus Zensurgründen von Frankreich koproduzierte Film seinem Ruf absolut gerecht geworden, so kommt er aus meiner Sicht letzten Endes nicht über eine mutige, bildgewaltige und verhältnismäßig überzeugend gespielte, sich jedoch nur partiell von Softpornos abhebende Pseudo-Kunst hinaus.
Intimacy
2001 gewann ein freizügiger Streifen zur Überraschung vieler den „Goldenen Bären“ im Rahmen der Berlinale, welcher augenscheinliche Parallelen zu „Der Letzte Tango In Paris“ offenbart, denn auch hierin geben sich zwei Menschen – Jay & Claire – der unkomplizierten Lust hin, ohne sich überhaupt näher zu kennen. Ebendieses verwandte Motiv wird jedoch insofern erweitert, da die Liaison zunehmend Gefühle zutage fördert und die männliche Figur überdies einen Nebenbuhler besitzt. Die überaus sensible Filmgestaltung im Kontrast zur rau gezeichneten britischen Hauptstadt kommt trotz erregender Sequenzen ohne Voyeurismus aus und zeichnet sich durch realitätsnahe Dialoge und den besonders effektiven Einsatz von Handkameras aus, welche es dem Betrachter erlaubt, den verletzbaren und vom Leben enttäuschten Figuren besonders nah zu kommen. Zwar fiel der Erzählfluss insgesamt betrachtet leider etwas zu zäh und redundant aus, im Gegenzug punktet Chéreau wiederum mit einer tief durchdrungenen, involvierenden Personencharakterisierung beider Parteien. Neben überzeugenden Leistungen von Mark Rylance und Kerry Fox in den Rollen der voneinander angezogenen Protagonisten gefiel mir auch der authentische agierende Timothy Spall ein weiteres Mal ausgesprochen gut. Trotz einiger unbestreitbarer Schwächen porträtiert das Werk allerdings vor allem die eventuell unvermeidbare Eigendynamik verdrängter Sehsüchte eindrucksvoll und stellt somit ein gelungenes Beispiel für erotisches Kino des 21. Jahrhunderts dar.
Nackt
„Der Sinn der Liebe ist, sich gegenseitig sichtbar zu machen.“ Dies ist einer der zentralen, wertvollen, von mir oft zitierten Sätze dieses Films, der einen besonderen Platz in meinem Filmherzen einnimmt und in dem es – schnell zusammengefasst – um ein Abendessen von drei befreundeten, grundverschiedenen Paaren geht, die per Zufall eine schlüpfrige Wette eingehen, die jede Art von Beziehungskonflikten auf den Tisch bringt. Zwar sei hinzugefügt, dass dieses, den meisten wohl leider unbekannte Werk unter den ausgewählten das braveste bildet und trotz seines Titels keinerlei Geschlechtsakte explizit visualisiert, dennoch sprüht die Geschichte vor Verbalerotik und man kann die intentionierte Botschaft erst nach dem Aufbau einer persönlichen, sexuellen Identität in Gänze nachvollziehen. Mit einem feinen psychologischen Gespür lässt Dörrie einen an den teils äußerst lasziven Eigenarten einer Partnerschaft und in der Zerlegung existenzieller Aspekte wie Neid, Eifersucht, Überlegenheit, Sex unter Freunden, Entfremdung und dem Streben nach Lebenszielen teilhaben, weswegen man sich rasch in mindestens einem der Charaktere wiederfinden kann. Ein geringes Manko stellt die leider etwas belanglos geratene Musik dar, doch dies gleicht speziell die fantastische Darstellerriege wieder aus. Während der sagenhaft attraktive Benno Fürmann eine seiner besten Darbietungen zeigt und auch Heike Makatsch und Jürgen Vogel einen durchgängig bei Laune halten, ist es jedoch Nina Hoss, die mich mit ihrer facettenreichen Präsenz schlichtweg umgehauen hat. Summa summarum ist im Falle von „Nackt“ ein wunderbares, ironisch angehauchtes, modernes Kammerspiel entstanden, welches nahezu im Alleingang durch seine sechs Akteure und eine grandiose Dialogisierung überzeugt und das zweifelsohne mehr als eine Sichtung erfordert. Von vielen verkannt, hebt es sich überdeutlich vom deutschen Einheitsbrei ab, unterhält bestens, wirft überdies individuelle Fragen auf und den heterosexuellen Herren sei verraten: Ja, man sieht auch Brüste… Sogar vier davon. 🙂
Nymph()maniac – Volume 1 & 2 (OT: Nymphomaniac)
Vorab möchte ich eines konstatieren: Ich mochte „Dogville“ und „Melancholia“ recht gern, und prinzipiell auch die Anfangsphase des ersten Teils von „Nymphomaniac“. Das unter der Regie des Dänen Lars von Trier realisierte Gemeinschaftsprojekt von fünf Ländern schlug schon vor seiner Veröffentlichung vielversprechend hohe Wellen, hat mich jedoch nur in äußersten Ansätzen überzeugt. Unterteilt in acht Kapitel liefert der kreative Provokateur sicherlich eine verruchte, unbeschönigende, schwer verdaubare, individuelle Chronologie voll von Demütigung und bewusst angestrebten Grenzerfahrungen, doch die Inszenierung verliert sich ab der Filmmitte zusehends in unsubstantiellen, sich endlos wiederholenden Episoden. Das Niveau des knapp überdurchschnittlichen ersten Teils wurde in der Fortsetzung nicht annähernd gehalten und ab der Mitte des Films hatte ich zunehmend weniger Interesse daran, Charlotte Gainsbourgs sowie Stacy Martins bemühtem, aber keinesfalls herausragendem Spiel zuzusehen und ihren vergangenheitsorientierten Seelenstriptease weiter zu verfolgen, Skarsgård wiederum gefiel mir in seinem passiven Rollentypus gut. Zu meiner Verwunderung langweilen einfach weite Teile des Zweiteilers, den ich mir direkt nacheinander zu Gemüte führte, während andere wiederum den zuvor angesprochenen Voyeurismus im Sinne einer „Ich will euch um jeden Preis schockieren!“-Manier geradezu herausfordern. Die Atmosphäre mag deswegen unbestreitbar auch einige poetische, symbolistische und bildgewaltige Augenblicke bereithalten sowie gewollt kühl und spannungsarm gehalten worden sein, doch gerade dann hätte es im Besonderen einer lebhafteren, profunderen Dialogisierung bedurft. Aus all diesen Gründen muss ich mich schlussendlich dem Zitat eines Spiegel-Redakteurs anschließen, der urteilte: „In dieser Story, die angeblich von Geilheit und Glücksstreben berichtet, herrscht die Dramaturgie des Leierkastens.“ (Zwar habe ich den Film in seiner Gänze bewertet, würde jedoch knappe 6/10 für den ersten Teil vergeben und nur noch 3/10 für die zweite Hälfte.)
Shame
Wenn sexuelles Verlangen nicht mehr durch Neugier, Freude oder Lust geprägt ist, sondern sich bis zur obsessiven und lebenstbestimmenden Sucht steigert, gleicht dies unter psychologischen Betrachtungsaspekten häufig charakterlicher Selbstzerstörung. Anhand der Hauptfigur Brandon, einem gutaussehenden Mittdreißiger, erlebt das Publikum als stiller Beobachter eine subtil gestaltete Exkursion in die (im wahrsten Sinne des Wortes) nackte und schmerzvolle Verzweiflung einer auf emotionaler Ebene komplett verkümmerten Existenz, die länger als gewöhnlich nachzuwirken vermag. Neben einer unerwartet guten Darstellung von Carey Mulligan und der alles bestimmenden, kaum überbietbaren Leistung von Michael Fassbender besticht McQueens zweites Werk mit dem passenden Titel „Shame“ vor allem mithilfe seiner Schonungslosigkeit, was die wiederkehrenden, exzessiven Sexszenen anbelangt, konsequenter Dialogarmut, kühler Farbgebung sowie einer hervorragenden, zermürbenden Kameraarbeit. Zwar kann das Drama über die Auswirkungen der Übersextheit unserer Gesellschaft in der Summe teilweise als etwas zu langatmig erachtet werden und auch die Einführung von ein bis zwei zusätzlichen Personen hätte der Handlungsentwicklung keinesfalls geschadet, dennoch wurde hierin erfreulicherweise nicht des bloßen, exhibitionistischen Selbstzweckes wegen provoziert, sondern aufgrund des stringenten Interesses an psychischen Abgründen. Leider liegt der Verdacht äußerst nahe, dass der bezüglich des Durchschnittsalters reiferen Academy dieser Streifen erneut deutlich zu anrüchig gewesen ist, denn anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, wieso Fassbender für seine kompromisslose One-Man-Show unberücksichtigt geblieben ist.
Showgirls
Im Gegensatz zum ein Jahr später veröffentlichten, ebenfalls unter vielen Gesichtspunkten grausamen „Striptease“ mit Demi Moore in der unvorteilhaft gespielten Hauptrolle, der allerdings wenigstens partiell zu unterhalten vermag, nehmen die Beteiligten die Sache in „Showgirls“ krampfhaft ernst und genau deshalb geht die zwanzig Jahre alte Produktion unter. Verhoeven hat sich mit diesem billigen Streifen garantiert keinen Gefallen getan, denn dieser wirkte auf mich in etwa so reizvoll wie eine Kaltwachsenthaarung. Nicht nur die debilen, sinn- und seelenlosen Dialoge mit hohem Fremdschäm-Faktor sowie billig aussehende Sets und dilettantische eingefügten Musicalelemente schmerzen, sondern auch die im Prinzip nicht vorhandene Erzähllogik, die dafür sorgt, dass sich die zwei Stunden anfühlten, als wären es zwanzig gewesen. Zur Verschleierung dessen sieht man – wie könnte es anders sein – eine Menge an nackter Haut und Momente, die unbedingt erschüttern wollen, einen aber komplett kalt lassen. Parallel zu allen Beteiligten lieferten Berkley, Gershon und der eigentlich von mir aufgrund von Auftritten in Comedy-Serien wie „Sex And The City“ geschätzte MacLachlan „Darstellungen“, die absolut jeder Beschreibung spotten. Und jenen Kritikern, die einen satirischen Blick auf das amerikanische Showgeschäft erkannt haben wollen, sei gesagt: Aus jeder filmischen Katastrophe kann man etwas herauslesen, sofern man denn krampfhaft will. Auch gegen die mehrfach geäußerte Prämisse, dass „Showgirls“ so schlecht sei, dass er schon wieder als gut befunden werden müsste, verwehre ich mich vehement. Schließlich habe ich wirklich selten solchen, trashigen Schrott sehen müssen, der sich ausnahmslos jede der sieben, „gewonnen Himbeeren“ redlich verdient hat.
Untreu (OT: Unfaithful)
Mehr als anderthalb Dekaden nach dem aus meiner Sicht komplett misslungenen „9 ½ Wochen“ und dem grandiosen „Eine Verhängnisvolle Affäre“ hat Adrian Lyne wieder einen sehenswerten Film über den Reiz des Verbotenen geschaffen. Das Remake wurde, obschon darin das Rad natürlich keinesfalls neu erfunden wurde, besonders elegant fotografiert und mit angenehmer Pianomusik untermalt und setzt dramaturgisch auf Gegensätze, denn die erste Hälfte fällt in die Kategorie des klassischen Dramas mit stilsicheren Erotikszenen, um im darauffolgenden Akt zunehmend gekonnte, thrillerartige Elemente zu entfalten. Realitätsnahe Themen wie Eifersucht oder das Gefühl, sexuell etwas verpasst zu haben und deswegen trotz eines liebenden Partners schlagartig Lust auf die personifizierte Jugend zu entwickeln, werden intensiv und für den Zuschauer nachvollziehbar rezipiert, ohne dabei übertriebene Absolution zu erteilen. In einem starken Frauenjahr wurde Diane Lane völlig zu Recht für den Oscar nominiert, denn sie verkörpert die Hauptrolle der Connie Summer absolut authentisch und gleichermaßen verführerisch, obwohl gerade sie diejenige ist, die der Anziehungskraft des smarten Martinez erliegt, während auch Gere in der Rolle des gehörnten Ehemannes absolut zu überzeugen weiß. Unglücklicherweise ist es jedoch die relativ belangarme Schlussphase, die einen letztlich etwas enttäuscht zurücklässt.