Brooklyn – Eine Liebe Zwischen Zwei Welten (OT: Brooklyn)

1

John Crowley schuf mit „Boy A“ bereits vor Jahren ein überaus unkonventionelles, packendes, jedoch viel zu wenig beachtetes Kriminaldrama, dieses Mal wagte er sich an eines meiner favorisierten Genres. Nicht nur wegen der ansprechenden Besetzung habe ich mich auf die Veröffentlichung dieser Romanadaption gefreut, sondern vor allem deswegen, weil die filmische Rezeption der 1950er bereits neben „The Hours“ und „Zeiten des Aufruhrs“ mehrere Sensationen hervorgebracht hat. Die im Deutschen mit einem passenden Zusatztitel ausgestattete Koproduktion „Brooklyn“ darf seit heute auch in den nationalen Lichtspielhäusern bewundert werden und fungiert als Reminiszenz an Klassiker der Goldenen Hollywood-Ära, denn trotz seiner Schlichtheit erfreut er sowohl Herz, Intellekt als auch das Auge in ausgewogenem Maße.

2

Mit ruhiger Hand und reellem Fingerspitzengefühl inszenierte Crowley, getragen von einem substantiellen Drehbuch, in erster Instanz einen aufrichtigen, reichhaltigen und aufgrund eines gesteigerten psychologischen Interesses überaus dichten Film ohne jedwede Effekthascherei, der gänzlich auf die individuelle Entwicklung der irischen Protagonistin Eilis zugeschnitten ist, die in den frühen 1950ern nach New York emigriert, dort in einem der bekannten Boarding-Häuser für junge Damen lebt und nach einer Romanze vor gleich mehreren schwierigen Entscheidungen steht. Neben den Akzenten prallen auch die andersgearteten Lebensweisen von Europäern und Amerikanern aufeinander, doch trotz einiger diesbezüglicher Bonmots gerät der Fokus nicht von der betont amourösen, andererseits nie emotional aufdringliche Intention ab. Während sämtliche, überaus zeittypische Ausstaffierungen und Kostüme überzeugen, ohne zu sehr in den Vordergrund zu treten, erscheint ferner die auf Mimik und Blicke ausgerichtete Kameraperspektive, die wohlüberlegte Auswahl der einzelnen Sets sowie speziell die aufwendige Tätigkeit der oft unerwähnt bleibenden Haarstylisten zu loben, einzig und allein von der reduzierten, und zu wenig prägnanten, musikalischen Untermalung hatte ich mir vorab mehr versprochen. Dieses kleine Manko lässt jedoch vor allem das Fräulein mit dem nahezu unaussprechlichen Vornamen rasch in Vergessenheit geraten, denn Saoirse Ronan lässt den Zuschauer an einer facettenreichen, intimen Performance teilhaben, die ihre ebenfalls für den Oscar vorgeschlagene Jugenddarstellung in „Abbitte“ sogar in den Schatten stellt und hat sich ihre zweite Nominierung mit enormem Herzblut und authentischer Sensibilität redlich verdient. Des Weiteren beeindruckt auch die darstellerische Chemie zwischen ihr und dem verhältnismäßig unbekannten Emory Cohen, der seine Sache ebenfalls derart fokussiert und einfühlsam macht, dass man sich über die Ignoranz aller Kritikervereinigungen wundern muss. Wenngleich man Julie Walters in der zwischen Resolutheit und Humor pendelnden Rolle der Hausherrin vielleicht gerade einmal zehn Minuten zu Gesicht bekommt, sorgt sie für die wertvollsten sowie zugleich unterhaltsamsten Momente und reißt Szenen und Sympathien gleichermaßen an sich. Zudem liefern auch Jim Broadbent und der aktuell gefühlt in jedem dritten Kinofilm auftauchende Domhnall Gleeson absolut souveräne Leistungen und runden ein in der Gesamtheit harmonisierendes Ensemble ab.

3

Infolgedessen ist „Brooklyn“ zu meinem Bedauern die nominierte Produktion in der Hauptkategorie „Bester Film“ mit den wenigsten Nennungen, was gerade deswegen als schade zu erachten ist, weil sowohl der fantastischen optischen Sphäre und der spielfreudigen Julie Walters die entsprechende Würdigung vorenthalten blieb. Das besonnene Werk mag seines Stils wegen sicherlich nicht jeden Geschmack treffen und besitzt daher gewissermaßen Parallelen zum erst gestern gesehenen, wenn auch völlig anders gearteten „The Revenant“. Nichtdestotrotz dürfte das angenehm symbolistische und berührende Historienporträt über Gewissenskonflikte, die Sehnsucht nach der neuen Welt und die zweischneidige Verwirklichung des „amerikanischen Traums“ nicht nur Spartenanhänger überzeugen, sondern darf als der vielleicht romantischste Film des Jahres angesehen werden.

UK / CA / IE - 112 Minuten Regie: John Crowley  Genre: Historiendrama / Romanze Darsteller: Saoirse Ronan, Emory Cohen, Domhnall Gleeson, Jim Broadbent, Julie Walters, Bríd Brennan, Jane Brennan, Fiona Glascott, Jessica Paré, Eileen O'Higgins, Michael Zegen
UK / CA / IE – 112 Minuten
Regie: John Crowley
Genre: Historiendrama / Romanze
Darsteller: Saoirse Ronan, Emory Cohen, Domhnall Gleeson, Jim Broadbent, Julie Walters, Bríd Brennan, Jane Brennan, Fiona Glascott, Jessica Paré, Eileen O’Higgins, Michael Zegen
Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Filme, Oscar Contender, Reviews. Fügen Sie den permalink zu Ihren Favoriten hinzu.