Im direkten Gegensatz zum von mir heiß ersehnten US-Biopic „Jackie“ musste man nicht allzu lange suchen, um ein Kino in der Umgebung zu finden, dass das für insgesamt sechs Oscarstatuetten vorgeschlagene Action-Drama „Hacksaw Ridge“ im jeweiligen Abendprogramm offerierte. Gerade weil das Werk in einschlägigen Foren allerehrenwerte Beurteilungen generieren konnte, entstand meinerseits eine verhältnismäßig hohe Erwartungshaltung, obwohl ich mich selbst mitnichten für einen glühenden Liebhaber des Genres halte. Dass patriotische und heroische Kriegsepen in den Vereinigten Staaten zumeist deutlich mehr Anklang finden als auf unserem Heimatkontinent dürfte genauso wenig ein Geheimnis darstellen wie die allgemeine Polarisationsfähigkeit ebensolcher Produktionen. Mel Gibsons erste Regierarbeit seit exakt einem Jahrzehnt bildet glücklicherweise nicht nur in ideologischer Hinsicht das krasse Gegenstück zum völlig misslungenen, propagandasüchtigen „American Sniper“ und ist deutlich ambivalenter inszeniert worden, doch dies allein lässt „Hacksaw Ridge“ leider noch lange nicht zu einem Meisterstück avancieren. Nichtsdestotrotz ist ihm und seinem Team aber zugute zu halten, dass er sich an ein bereits vor 15 Jahren in der Urplanung befindliches, obendrein schwieriges Sujet gewagt hat und dabei vor allem in Einzelsequenzen zu soveräner Form auflaufen kann…
Bereits im Rahmen der letztjährigen Filmfestspiele von Cannes außer Konkurrenz angelaufen, hat Mel Gibson nach Jahren eklatanter privater Eskapaden in Form einer Lebensabschnittschronik des kriegsdienstverweigernden, tiefreligiösen Sanitäters Desmond Doss (1919 – 2006), der mehr als siebzig seiner verwundeten Kameraden rettete, ohne dabei zu einer Waffe zu greifen, sicherlich weitaus mehr richtig als falsch gemacht. Speziell in visuell-akustischen Belangen bietet der „nur“ 40 Millionen US-$ teure Film eine nahezu konsequente Dynamik sowie eine ganze Palette an Widersprüchen. Erfreulicherweise wurde es vermieden, sich in häufig gesehenen Zeitsprüngen zu verstricken, indem die jeweilige Vorgeschichte der Beteiligten und die Beleuchtung des Kriegsschauplatzes separiert in zwei Hälften betrachtet wurden. Dadurch lässt die erste Episode Raum für unerwartet romantische und sogar humorvolle Augenblicke, allerdings auch für psychologisch-religiöse Denkmuster, die abseits der Verinnerlichung der alttestamentarischen Gebote nicht immer völlig plausibel anmuten. Aufgrund des beabsichtigten, überaus abrupten Ortswechsels vom friedvollen Virginia an die direkte Front wird jedoch ein Alptraum optisch greifbar. Die Bebilderung der verlustreichen Kampfhandlungen auf dem als „Todesinsel“ bekannt gewordenen Archipel Okinawa, welche als größte Seeschlacht der Menschheitsgeschichte gilt, geriet kompromisslos, brutal und handwerklich dröhnend und ist definitiv nichts für zartbesaitete Zuschauer. Dadurch, dass Gibson sich diesbezüglich an der manischen Blutrünstigkeit der Gemetzel aus seinen Vorgängerwerken „Braveheart“ und „Apocalypto“ orientiert, geht er für meinen Geschmack allerdings ein bisschen zu sehr auf „Nummer sicher“ und forciert den Aspekt der Gewalttätigkeit in übertriebenem Maß, dass die ursprüngliche Intention, Pazifismus und Glaubenstreue zu Tugenden zu erheben, verwischt wird. Dass die Handlung in diesen Momenten gelegentlich in pathetische Sphären abdriftet, ist innerhalb der Sparte vermutlich sogar zu einem gewissen Prozentsatz unvermeidbar und stellt somit keinen Kritikpunkt als solchen dar. Zum Held der lichten und dunklen Momente avanciert Andrew Garfield, welcher dem realen Vorbild nicht nur optisch nahe kommt, sondern zeigt auch eine facettenreiche, kraftraubende und feinnervige Leistung, die wohl nur die wenigsten von ihm erwartet hätten. Ganz besonders wertvoll war abgesehen von einem wieder einmal hölzern agierenden Vince Vaughn auch ein Großteil der Nebendarstellerriege rund um Hugo Weaving in der Rolle des vom Ersten Weltkrieg traumatisierten Vaters sowie den beiden Damen Teresa Palmer und Rachel Griffiths.
Von allen fünf bisher gesehenen Anwärtern in der Kategorie „Bester Film“ gestaltet sich die punktuelle Bewertung in Bezug auf „Hacksaw Ridge“, der seit Donnerstag offiziell in den deutschen Kinos läuft, aus den genannten Gründen mit Abstand am schwierigsten. Trotz unverkennbarer Klischees und Paradoxien wirkt der fast zweieinhalb Stunden füllende Film jedoch insbesondere deswegen nach, weil dem Publikum vor Augen geführt wird, dass man selbst in unmenschlichsten Zeiten individuelle Barmherzigkeit vorzufinden vermag. Im Gegensatz zur Academy hätte ich statt der als befriedigend zu klassifizierenden Regiearbeit und dem Film als Ganzes neben den beiden Tonkategorien, dem Schnitt und der Nominierung für den hervorragenden Hauptdarsteller eine Berücksichtigung des erschreckend realistisch geratenen Make-Ups für gebührend erachtet.