Film des Monats: Jackie – Die First Lady

Es ist schon gewissermaßen als Ungewöhnlichkeit zu erachten, dass es nach dem Ableben von Jacqueline Lee Bouvier Kennedy Onassis (1929 – 1994) mehr als zwei Dekaden dauern sollte, bis man sich zur Realisierung eines Kinoprojekts entschied, das sie selbst und nicht den 35. US-Präsidenten ins Zentrum des Interesses rückte. Für die Hauptrolle bewarb sich neben Rachel Weisz eine ganze Reihe an Darstellerinnen, doch letztlich erhielt Oscarpreisträgerin Natalie Portman den Zuschlag. Bei der Weltpremiere von „Jackie“ im Rahmen des Venezianischen Filmfestivals erntete die erste englischsprachige Leinwandproduktion des Südamerikaners Pablo Larraín nicht nur ein hohes Maß an Anerkennung, sondern auch minutenlange, stehende Ovationen. Seit dieser Woche darf man sich auch hierzulande davon überzeugen, dass sich ebendieser Kritikertenor nicht als Übertreibung erweist, denn die Verfilmung bietet nicht nur eine schauspielerisch alles überragende One-Woman-Show und visuelle Hochgenüsse, sondern stellt in Summe ein eigenwilliges Porträt fernab aller Konventionen dar, das einen entmythologisierenden Blick auf die wohl populärste Ehefrau eines Staatsoberhauptes wirft, ohne sich dabei vom Geschmack der breiten Masse beeinflussen zu lassen…

Die amerikanisch-chilenisch-französische Koproduktion bildet alles andere als eine Filmbiographie im klassischen Sinne, stattdessen beschreitet sie einen völlig neuartigen, überraschenden Weg des historischen Genres und forciert bezüglich der Inszenierungsart wiederkehrend Elemente im Stil eines sich langsam steigernden Psychothrillers. Obwohl Darren Aronofsky nur als einer von mehreren Produzenten in Erscheinung trat, merkt man dem ideal langen Resultat dennoch dessen unverkennbare Einflüsse in nahezu jeder Minute an. Als Glücksgriff erweist es sich dabei, dass Larraín die unter der Präsidentschaft Kennedys vollzogene Wandlung des Weißen Hauses zu einem glamourösen Ort lediglich anschneidet, die kurze Phase zwischen dem berüchtigten Attentat in Dallas am 22. November 1963 und der drei Tage später stattfindenden Beisetzung aber besonders eindringliche Widmung erfährt. Mit Ausnahme weniger Rückblenden in die Zeit vor der Ermordung wird somit gezielt die sprichwörtliche „Stunde Null“ im Trauma der USA aus den Augen der nun Verwitweten Jacqueline zerlegt und das bekannte Interview mit Theodore White als retrospektiver Ausgangspunkt gewählt. Befördert von einem raffinierten, komplexen Drehbuch und einer Dialogisierung, welche einen kennzeichnenden Sog entfaltet, wird ihre Angst, gemeinsam mit dem Andenken an ihren Gatten in die Bedeutungslosigkeit abzudriften, nachfühlbar. Während die vortreffliche, der Hauptfigur unmittelbar folgende (Hand-)Kameraführung erneut Parallelen zu „Black Swan“ offenbart, brillieren auch die detailreichen Arbeiten des Kostümdesigners sowie der Make-Up-Artisten und ein Szenenbild, dessen aufwendige Repliken kaum besser hätten geraten können. Des Weiteren spiegeln die oftmals irritierenden, dissonanten Streicherarrangements von Mica Levi den Geist von Anspannung und Verzweiflung effektvoll wider, sodass die erstmalige Oscarnominierung einer Frau für die „Beste Filmmusik“ seit fast zwanzig Jahren äußerst gerechtfertigt erscheint. Zur Leistung von Natalie Portman erübrigen sich im Grunde genommen nähergehende Beschreibungen. Man muss sie schlichtweg gesehen haben! Mit akribischer Akkuratesse, Würde und Vielseitigkeit verkörpert sie die First Lady virtuos und verleiht ihr zutiefst ambivalente Züge, die von arrogant-kühler Exzentrik über familiäre Standfestigkeit bis hin zur einsamen Resignation reichen. Insbesondere ihr affektierter Duktus innerhalb der Eröffnungssequenz sollte daher nicht als karikaturesk erachtet werden, sondern vielmehr als realitätsnahe Widerspiegelung einer tiefgreifenden Unsicherheit verstanden werden. Abseits ihres gelebten Schauspiels liefern Peter Sarsgaard und Greta Gerwig veritable Performances, zudem wurde dem am 25.01.2017 verstorbenen John Hurt in der Rolle des Priesters die Gelegenheit gegeben, sich mit einer besonnenen Darbietung von der Leinwand zu verabschieden.

Was anhand von „Jackie“ bleibt, ist ein moralische Fragen aufwerfendes Biopic, das Konzentration abverlangt und die Gemüter von Filmfans spalten dürfte, mich selbst jedoch vollends erreicht hat. Für den Mut, eine historische Aufarbeitung in Verbindung mit scheinbar gegensätzlichen Gattungen zu einer überzeugenden Einheit zu kreuzen, verdienen sämtliche Beteiligte ein unfassbar großes Lob. Wenngleich der Film lediglich eine Momentaufnahme in der Vita Kennedys darstellt, wird er dem Leben der meistrezipierten und Ikonenstatus genießenden Präsidentengattin vollständig gerecht und sorgt obendrein mehrfach für Schockstarre. Wieder einmal könnte der fehlende Mut der Academy ursächlich dafür gewesen sein, dass das Werk unter dem Strich nur in drei Oscarkategorien berücksichtigt wurde, ansonsten allerdings gleich in mehreren Sparten einer angemessenen Würdigung regelrecht beraubt worden ist.

USA / CL / F 2016 – 100 Minuten
Regie: Pablo Larraín
Genre: Historiendrama
Darsteller: Natalie Portman, Peter Sarsgaard, Greta Gerwig, Billy Crudup, John Hurt, John Carroll Lynch, Beth Grant, Richard E. Grant, Max Casella, Caspar Phillipson
Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Best Original Score, Film des Monats, Filme, Historienfilme, Oscar, Reviews, Was läuft im Kino. Fügen Sie den permalink zu Ihren Favoriten hinzu.