In Form von „Die Schwester Der Königin“ sowie „Mandela: Der Lange Weg Zur Freiheit“ gelang es dem britischen Landsmann Justin Chadwick bereits, zwei respektable Produktionen vor geschichtsträchtiger Kulisse zu inszenieren, die sich ein höheres Maß an medialer Beachtung redlich verdient hätten. Mit seiner nunmehr vierten Regieführung bleibt er dem Genre weiterhin treu, beschäftigt sich allerdings erfreulicherweise mit einem Abschnitt europäischer (Regional-)Historie, der auf der Leinwand zur Verwunderung bis dato weitestgehend ignoriert worden ist. Angesichts dessen und des überaus namhaften Ensembles durfte – oder besser gesagt musste – man sich besonders lange auf den als potentiellen Oscarkandidaten gehandelten und bereits Anfang des Jahres 2016 abgedrehten Film namens „Tulpenfieber“ freuen, dessen Veröffentlichung aus unerfindlichen Gründen mehrfach verschoben wurde. Entgegen des weitläufigen Tenors sorgte die Inaugenscheinnahme der opulenten Verfilmung des gleichnamigen Romans für einen Kinoabend, an dem das Gefühl der Zufriedenheit eindeutig überwogen hat, denn die handwerkliche Aufmachung und darstellerische Sphäre wussten nahezu uneingeschränkt zu überzeugen.
Neben den Iberischen Königreichen erlangten auch die Vereinigten Niederlande aufgrund ihrer kolonialistischen Expansionspolitik in der Frühen Neuzeit schrittweise den Status einer See- und Wirtschaftsmacht. Der buchstäblich „florierende“ Warenaustausch der Holländer basierte auf dem Handel mit Rohstoffen und Gewürzen, hing jedoch ebenfalls maßgeblich mit dem Erwerb eines Monopols an Tulpenzwiebeln zusammen, die in den 1630ern zu Luxusgütern und Spekulationsobjekten mit dem Gegenwert ganzer Existenzen avancierten und schließlich den ersten Börsencrash der Geschichte auslösten. Die bebilderte Epoche der „Tulpenmanie“ wurde in ihren Grundzügen erstaunlich korrekt und mit sicherem Gespür für den gesellschaftlichen Kontext skizziert sowie analog zur literarischen Vorlage mit einer Romanze zwischen der verheirateten Kaufmannsgemahlin Sophie und dem Maler Jan van Loos ummantelt. Ebendieser Erzählstrang bildet unglücklicherweise an mehreren Stellen den Schwachpunkt der Inszenierung, denn die Liebesgeschichte geriet reichlich abrupt und auch nicht völlig frei von jedweder Unglaubwürdigkeit, während auch die Bevölkerung Amsterdams als solche einen Hauch übersexualisiert anmutet, andererseits entschädigt dafür speziell die sinnliche Wirkung der erotisch kolorierten Szenen. Ansonsten offeriert das zugleich komödiantisch und wirtschaftskriminelle Elemente entfaltende Drehbuch jedoch zweifelsohne auch Lichtblicke, denen man wiederum den Urheber eindeutig anmerkt, weil nicht nur wegen desselben porträtierten Zeitraums Parallelen zu „Shakespeare In Love“ zutage treten. Ähnliches gilt für die optische Ausstaffierung, welche sich, getragen von einer stimmigen Kameraarbeit, auf vergleichbar hohem Niveau wie das letztgenannte Werk bewegt. Bezüglich der erstklassigen Kostümierungen und aufwendigen, detailorientierten Szenenbilder bleiben im Hinblick auf ein Wiederaufleben der Ära nahezu keine Wünsche offen, was gerade deswegen als bemerkenswert zu erachten ist, weil „Tulpenfieber“ gar nicht in den Grachten der holländischen Hauptstadt gedreht wurde, sondern in Südengland. Musikalisch setzt Danny Elfman ein erstes Ausrufezeichen der Saison, denn die elegischen Klänge umschmeicheln das Ohr und zeichnen sich durch Feingefühl für Timing und Emotion aus.
Ferner erfreut einen auch die Spielfreude der renommierten, fast ausschließlich britischen Darstellerriege. Mit scheinbarer Mühelosigkeit dürfte die pointierte und insbesondere in den emotionalen Momenten ausgezeichnete, gekonnt zurückhaltende Darstellung von Alicia Vikander all jene, die ihr im Zuge des Oscargewinns bei allererster Nominierung ein Dasein als „Eintagsfliege“ prophezeiten, das Gegenteil beweisen. Des Weiteren brillierte die trotz ihres inzwischen fortgeschrittenen Alters von 82 Jahren aktuell für einen Film nach dem anderen vor der Kamera befindliche Judi Dench ein weiteres Mal mit einem raffinierten Auftritt in der Rolle der Äbtissin, welcher das Gelübde der Armut nicht ganz so heilig ist wie man meinen sollte. Während dem souverän agierenden Christoph Waltz endlich einmal erlaubt wurde, eine Figur jenseits des uneingeschränkten Bösewichts zu verkörpern und auch Holliday Grainger und Jack O’Connell sehenswerte Performances bieten, erweist sich Dane DeHaan als partielle Fehlbesetzung, da seine Überzeugungskraft szenenweise erheblich divergiert.
In Summe und mit möglichst kritischem Auge betrachtet, mag „Tulpenfieber“ aufgrund kleiner, wenngleich nicht gravierend ausfallender Mängel möglicherweise keinen allumfassenden Triumph des historisch-romantischen Kinos darstellen, nichtsdestotrotz punktet er als stilsicheres, atmosphärisch dichtes, unaufdringliches, lehrreiches und obendrein unterhaltsames Sittengemälde. Aus diesem Grunde kann ich die negativen und an Objektivität mangelnden Kritikenspiegel so mancher Filmforen beim besten Willen nicht ernst nehmen. Einmal mehr mutet es als bedauernswert an, dass Historiendramen mittlerweile allem Anschein nach zur Gattung der „Nischenfilme“ gezählt werden müssen und man sich am späten Samstagnachmittag unversehens mutterseelenallein im Kinosaal befindet.