Die offizielle, deutsche Entsendung für die Kategorie „Bester Fremdsprachiger Film“ erlebte seine Uraufführung bereits unter Beifallsbekundungen in Cannes und heimste den „Prix d’interprétation féminine“, was gerade hierzulande aufhorchen ließ, da es sich dabei um die deutschstämmige Diane Kruger handelte. Ungewöhnlich spät startete „Aus Dem Nichts“ schließlich am vergangenen Donnerstag auch offiziell in den meisten Kinos der Bundesrepublik. In Gestalt von „Gegen Die Wand“ und „Auf Der Anderen Seite“ kreierte der Deutsch-Türke Fatih Akin bereits zwei im multikulturellen Milieu spielende Werke, welche geradezu exzellente Kritikermeinungen generieren konnten, doch die Sichtung seiner inzwischen neunten Regieführung erscheint gerade dann als spannendes Unterfangen, wenn man bezüglich beiden Genannten über keinerlei Kenntnis verfügt. Akin selbst beschrieb sein dem eigenen Stil treubleibendes Werk als einen „Clash zwischen staatlicher Justiz und individuellem Gerechtigkeitsgefühl“ und trifft damit die in vielen Belangen unangenehme Quintessenz, die trotz reduzierter Actionszenen sowohl dröhnende Spannung als auch psychologische Dichte im Hinblick auf einen Bombenanschlag und seine einschneidenden Konsequenzen entfaltet und den Zuschauer unruhig zurücklässt…
Lose an die unermesslichen Gräueltaten der Terrorzelle NSU angelehnt, spielt sich „Aus Dem Nichts“ größtenteils in anonymen, exemplarischen, anfangs betont schemenhaft und schwankend fotografierten Schauplätzen ab, die lediglich mithilfe expliziter Erwähnung als Hamburg und Griechenland identifiziert werden und konzentriert sich ganz und gar auf den Leidensweg von Katja, die nach dem Mord an ihrem Ehemann und dem gemeinsamen, erst fünfjährigen Sohn zuerst in Ohnmacht verfällt und dann alles daran setzt, zumindest individuelle Gerechtigkeit zu erkämpfen. Aufgrund der dialogischen und inszenatorischen Konzentration auf die seelischen Qualen der Protagonistin konnte ein nur schwer mitanzusehendes Porträt über den urplötzlichen Verlust des Liebsten, Trauerbewältigung sowie Rachegefühle und Selbstjustiz entstehen, dessen Hauptfigur Parallelen zur von Jodie Foster in „Die Fremde In Dir“ verkörperten Person ersichtlich werden lässt. Für den Erzählfluss interessant und gleichermaßen signifikant gestaltet es sich, dass jedes der drei separierten Kapitel sich durch eine eigene Art der Gestaltung auszeichnet. Nüchtern, fast schon im dokumentarischen Stil darf das Publikum ein schmerzvolles Drama mit Thrillerelementen observieren, das speziell im Mittelteil bewusst als zurückhaltende, um Fassung ringende Ruhephase vor dem Sturm agiert und darüber hinaus legitime Kritik an der nationalen Rechtsprechung übt. Dies erscheint gerade dann nicht verwunderlich, wenn man sich vor Augen führt, dass sich der NSU-Prozess trotz erdrückender Beweise bereits seit unfassbaren dreieinhalb Jahren ohne größere Fortschritte hinzieht und häufig die Motive der Täter stärker hinterfragt werden als jene der Opfer. Zweifelsohne mag das Arrangement des Schlussteils aus rein moralischer Perspektive diskutabel sein, dennoch erteilt ebendieses Motiv des Fehderechts nicht in einseitiger Form Absolution, sondern zeigt den Weg auf, den verlorener Lebensmut verursachen kann. Aus diesem Grunde verzeiht man Akin vermutlich auch, dass das Skript gelegentlich in die Machart vereinzelter „Tatort“-Filme entlangschlittert. Dass Diane Kruger erstmals in ihrem Heimatland vor der Kamera stand, erwies sich für das Endresultat als kaum zu ermessender Glücksfall, denn selten zuvor war ein anderes Werk made in Germany so sehr und in nachwirkender Form auf die Bedürfnisse und Emotionen des Hauptcharakters zugeschnitten. Aufgrund ihrer glaubhaften, tief empfundenen und in ausnahmslos jeder Szene nuancierten, fesselnden Performance erklärt sich konsequenter Weise, warum sie seinerzeit an der Französischen Riviera den Darstellerpreis entgegennehmen durfte. Zudem überzeugte auch der bisher fast ausschließlich in Serien und Komödienproduktionen zu verortende Denis Moschitto in der Rolle des mitfühlenden Rechtsanwalts auf ganzer Linie. Speziell das Gerichtsduell zwischen ihm und der Verteidigung der Angeklagten, verkörpert vom österreichischen Landsmann Johannes Krisch, sorgt für einen schauspielerisch ebenso veritablen Moment wie die erstklassige Nebendarstellung des zurecht weitläufig geschätzten Ulrich Tukur.
„Aus Dem Nichts“ mag seine Möglichkeiten speziell hinsichtlich des Drehbuchs eventuell nicht vollumfänglich ausgeschöpft haben, dennoch stellt er einen absolut würdigen Landesvertreter dar, welcher anhand des Martyriums der beeindruckenden Diane Kruger Reflexion und einen Moment des individuellen Innenhaltens erlaubt. Nicht nur wegen des hohen Maßes an gesellschaftlichen, auf filmischer Ebene bisher verhältnismäßig stiefmütterlich behandelten Aktualitätsbezügen muten die Chancen auf eine Nominierung, ungeachtet der Kenntnis der Konkurrenz, als hoch an und es wirkt obendrein erfreulich, dass das deutsche Oscar-Komitee, sich erstmals seit 17 (!) Jahren für einen Kandidaten aus der Thrillersparte entschieden hat.