Joe Goldberg (Penn Badgley) verliert sich am liebsten in der Welt der Bücher. Als Manager eines Buchladens ist es zum Teil natürlich seine tägliche Arbeit und Aufgabe. Darüber hinaus lassen ihn gewisse Menschen, die seinen Laden besuchen, auch nach Feierabend nicht mehr los – so zum Bespiel die junge Nachwuchsautorin Guinevere Beck (Elizabeth Lail), die ihre Werke im Internet veröffentlicht.
Fortan entwickelt er geradezu eine Obsession und verfolgt jeden ihrer Schritt – online und offline. Problematisch ist bloß, dass dieses Verhalten sein echtes Leben maßgeblich beeinträchtigt, bis Joe feststellen muss, dass er sich selbst von den Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung völlig distanziert hat. Und nun ist er bereit, jeden schlechten Einfluss auf Becks Leben zu beseitigen…
Owee owee, wie kann man so ein Potential und guten Start nur so in die Mittelmäßigkeit versinken lassen? Warum muss man eine Geschichte zwanghaft auf 10 Folgen, sprich 450 Minuten, ausweiten? Das Serienformat bietet die Möglichkeit tief in Charaktere einzutauchen und dies geschieht in den ersten zwei und letzten zwei Folgen der ersten Staffel durchaus. Dazwischen liegen aber leider stundenlanges pseudopsychologisches Gelaber und schwach geschriebene Figuren, die sich in Beck´s Freunde manifestieren und deren Charakterzeichnung zugunsten der Dramaturgie mehrfach über den Jordan geworfen werden. Wieso tun Drehbuchschreiber so etwas? Hat denn keiner aus dem Game of Thrones-Staffelfinalfiasko gelernt?
Weiteres Problem sind die zahlreichen Wendungen und Regieentscheidungen, die so vorhersehbar und teilweise dilletantisch geschrieben sind, dass es schmerzt. Schockmomente sind am Besten wenn sie unvorhersehbar sind, aber dennoch zu den agierenden Personen passen. Höhepunkt ist hier die vorletzte Folge in der Beck unvermeidliche Entdeckungen macht, dies aber jeglicher Logik entspricht. Auch nach mehrmaliger Wiederholung leuchtet nicht ein, wieso Beck urplötzlich und ohne Umschweife auf Joes Geheimes Versteck stößt – ohne groß spoilern zu wollen.
Es gibt aber auch Lichtblicke, wie die Freundschaft mit dem Nachbarsjungen Paco oder Rückblicke in die Vergangenheit zu seiner Exfreundin Candice und dem Verhältnis zu seinem Vater, die das Profil des Psychopaten Joe andere Facetten gibt. Ohnehin kann man Hauptdarsteller Penn Badgley keinen Vorwurf machen, denn dieser versteht es seinen Charakter mehr Tiefe zu geben, als es das Drehbuch erlaubt. Auch Beck als Joes Angebetete hat durchaus Potential, wie man es vor allem in der letzten Folge zu Gesicht bekommt. Ohnehin ist die Abschlussfolge „Blaubarts Schloss“ die mit Abstand stärkste Folge des Zehnteilers, der viel Geduld bis dahin abverlangt und wenn es eines gibt welches generell im Showgeschäft tödlich ist, ist es Langeweile und damit meine ich kein behutsames Einführen der Charaktere, denn sowas zahlt sich in der Regel immer aus.
Hätte „You – Du wirst mich lieben“ doch nur die Brillanz und dichte des Piloten und der Finalfolge, dann hätte die Serie durchaus das Potential zum Klassiker gehabt. So wird man fürs zum Teil quälende Durchhalten am Ende doch noch mit einem guten Abschluss belohnt und mit einem soliden Cliffhanger, der eine Fortsetzung zulässt, bei der Stange gehalten. Gerüchten zufolge, soll die zweite Staffel die Erste überragen. Schauen wir mal, denn produktionstechnisch ist auch diese Netflix-Serie wie alle anderen auf hohem Niveau anzusiedeln: Kamera, Schnitt, die Tonarbeit – alles passt! Bleibt zu hoffen, dass man sich bei der zweiten Staffel auf die Stärken besinnt und an den Schwächen gearbeitet hat!
Folgen-/Wertungsübersicht:
- Pilot (Pilot) – 8,0/10
- Der letzte nette Typ in New York (The last nice guy in New York in New York) – 7,5/10
- Vielleicht (Maybe) – 7,0/10
- Der Captain (The Captain) – 6,0/10
- Den Feind vernichten (Living with the Enemy) – 5,0/10
- Amour Fou (Amour Fou) – 6,0/10
- Komplettschaft (Everythingship) – 5,0/10
- Ich gehöre Dir, Babe (You got me, babe) – 5,5/10
- Candace (Candace) – 6,5/10
- Blaubarts Schloss (Bluebeard´s Castle) – 8,0/10*
Gesamt: 6,5/10
Nach der eher – milde gesagt – durchwachsenden Erststaffel, hätte ich mich ehrlich gesagt nicht zu einer weiteren Staffel durchgerungen, wären da nicht die durchweg guten Empfehlungen von Bekannten oder Rezensionen bei imdb und Moviepilot gewesen.
Der titelgebende „Neuanfang“ des Staffelstarts ließ dabei schon einmal hoffen und tatsächlich, nach einem in die Handlung eingebundenem Rückblick auf die Ereignisse der ersten zehn Episoden, wurden mit Candace und Love gleich zwei weibliche Charaktere eingeführt, die sich von dem klischeebeladenem Blondchen Guinevere Beck immens unterscheiden und interessante komplexere Persönlichkeiten darstellen.
Anders als die erste Staffel hat die zweite an und für sich auch nicht wirklich etwas Relevantes über unsere Gesellschaft zu sagen oder über zwischenmenschliche Beziehungen – die kleinen Versuchen, Joe durch eine tragische Vorgeschichte mehr Tiefe zu verleihen, sind dafür zu dünn, geben aber Joes Psyche mehr Profil.
„You – Du wirst mich lieben“ hat durchaus etwas von einer schwarzen Komödie. Was in einem Moment noch selbstironisch überzogen wird, kann im nächsten schon schockieren. Wer die erste Staffel mochte, wird trotz einiger Änderungen von der Zweiten begeistert sein. Prinzipiell könnte man aber auch direkt bei den neuen zehn Folgen einsteigen, da diese zwar auf der Vorgeschichte aufbauen, jedoch kaum Vorkenntnisse voraussetzen.
Fazit: Joe versucht ein guter Mensch zu werden – und macht damit alles nur noch schlimmer. Die gesellschaftlich relevanten Aspekte des Auftakts sind leider Vergangenheit. Dafür ist die Serie in sich stimmiger und macht durch die vielen Wendungen und ständigen Eskalationen Spaß, was auch den interessanteren Figuren drumherum zu verdanken ist.
Staffel 2
Folgen-/Wertungsübersicht:
- Ein Neuanfang (A Fresh Start) – 8,0/10
- Nur die Spitze (Just the Tip) – 7,5/10
- Wofür gibt es Freunde? (What are Friends for?) – 7,0/10
- Hendersons dunkle Seite (The Good, the bad, and the Hendy) – 7,5/10
- Schönes Wochenende, Joe! (Have a good Wellkend, Joe) – 7,0/10
- Lebwohl, meine Bunny (Farewell, my Bunny) – 7,0/10
- Ex-istenzielle Krise (Ex-istential Crisis) – 7,0/10
- Angst und Schrecken in Beverly Hills (Fear and Loathing in Beverly Hills) – 7,5/10
- Privatdetektiv Joe (P.I. Joe) – 8,0/10
- Tatsächlich… Liebe (Love, actually) 8,0/10
Gesamt: 7,4/10