Die bereits ein Weilchen zurückliegenden Filmfestspiele von Cannes erweisen sich einmal mehr als treffsicheres Orakel, was anspruchsvolle Produktionen anbelangt. Schließlich konnten sage und schreibe neun der seinerzeit an der Côte d’Azur uraufgeführten Werke letztlich Oscarnominierungen ergattern. Als Gewinner der Palm d‘Or ging „Parasite“ hervor, der hierzulande überwiegend in Arthaus-Kinos Einzug hielt. In der fernöstlichen Heimat dagegen sprengte der den Originaltitel tragende „Gisaengchung“ sämtliche Besucherrekorde und darf nicht von ungefähr zur Abteilung der unbequemsten Veröffentlichungen der Saison gezählt werden, die in vielen Belangen massiv aufwühlt und nicht weit von einem vollends durchdachten, postmodernen Meisterwerk zu verorten ist. Nicht nur selbsterklärten Cineasten sei dringend angeraten, sich die Inaugenscheinnahme keinesfalls entgehen zu lassen, ohne vorab zu viele Details in Erfahrung gebracht zu haben, denn gerade dann entfaltet das Gebotene seinen vollen Genuss, sofern man bereit ist, es zuzulassen.
Bong Joon-ho serviert in Gestalt von „Parasite“ seine persönliche „Lucky Number Seven“ und wird den Vorschusslorbeeren der Kritiker gerecht. Nur äußerst selten erlebt man eine Produktion, die hinsichtlich der Klassifikation locker in fünf Sparten fällt und dabei jede davon mit Biss, Perfidie sowie Cleverness zu bedienen weiß. Die Geschichte um eine unter darbenden Umständen lebende Familie Kim, die sich durch Zufall in der High Society einnisten kann, funktioniert sowohl als rabenschwarze Komödie, Sozialstudie als auch als geduldig arrangierter Thriller. Angesichts des Plots fragt man sich wiederholt, woher Bong Joon-ho die Geistesblitze entnommen hat, die Dialoge stets elegant zwischen Doppelbödigkeit, Humor und Messerschärfe pendeln zu lassen. Konstruiert als hervorragend geschnittener Zweiakter, wechselt die Atmosphäre mehrfach, speziell in der Filmmitte jedoch mit bemerkenswerter Abruptheit und verlangt vom Publikum ab, sich schlagartig umgewöhnen zu müssen. Bekanntlich ist die beste Kunst ja ebenjene, die herausfordert und insbesondere das Finale entfaltet psychotisch-fesselnde Charakteristika, mit denen nicht einmal Hellseher rechnen konnten. Was anfangs wie ein modernes Märchen voller Sarkasmus und Augenzwinkern beginnt, steigert sich zum arglistigen, erbarmungslosen Spiel. Nicht nur das Skript ist durchzogen von stetigen Kontrasten, sondern analog dazu auch die perfekt ineinandergreifende Kameraarbeit, Lichtgestaltung sowie Ausstattungselemente, denen einen bemerkenswerte Wirkungsästhetik innewohnt. Auch die Darstellerriege fügt sich in dieses Gesamtbild ein und besticht durch extreme Geschlossenheit und macht die etwas zu lang geratene Filmdauer wett. Dass sich die Akteure nahezu ebenbürtig sind und schwer zwischen Haupt- und Nebendarstellung zu unterscheiden ist, dürfte wohl als Hauptursache zu identifizieren sein, dass keine Schauspielleistung für den Oscar nominiert worden ist. Schauspielerisches Highlight bildet aus meiner Sicht jedoch die gnadenlos naive, snobistische Mutter, die von Cho Yeo-jeong exzellent verkörpert wird, nichtsdestotrotz wäre die Einführung eines Preises für das „Beste Ensemble“ einmal mehr wünschenswert. Schlussendlich ist auch die Synchronisation im Gegensatz zu vielen anderen asiatischen Filmen perfekt gelungen.
Nicht weniger als 30 Mal hatte sich Südkorea zuvor für eine Nominierung als „Bester Fremdsprachiger Film“ beworben, nun klappte es umso erfolgreicher, denn der Kritikerliebling „Parasite“ erhielt nicht nur diese, sondern in Summe ein halbes Dutzend an Nominierungen in wichtigen Kategorien. Im Allgemeinen überrascht die Academy in diesem Jahr wie seit Langem nicht mehr, denn mit „Joker“, „Once Upon A Time … In Hollywood“ und „Parasite“ wurden gleich drei Werke in den Königskategorien nominiert, die ein regelrecht psychotisches Ende bereithalten. Dass Letztgenannter das Dreizehnfache seines Budgets einspielte, geschah durchaus nicht von ungefähr, denn die Satire behält über 130 Minuten ihre verführerische Dichte und stellt eine beeindruckende und mutige Parabel über die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich dar.