Die Oscars werden heute Nacht vergeben – höchste Zeit einen tieferen Blick auf alle nominierten Filme in der Königskategorie zu werden und ich muss eines anerkennen: What a Year for movies!
Der Academy ist ein wirklich sehr starkes Line-up gelungen, indem es keinen Totalausfall gibt für mich! Im Anschluss zu meiner Liste fordere Euch hiermit einmal mehr auf Euer Ranking im Kommentarfeld zu posten…
09 ONCE UPON A TIME… IN HOLLYWOOD
Das Schlusslicht der „Best Picture“-Nominierten ist erstaunlicherweise Quentin Tarantinos Hollywood-Saga, der sich hier für meinen Geschmack mit seinem Zitatekino etwas zu arg abfeiert und hätte gerne mehr Wert auf das Narrative legen und einen größeren Fokus auf die Einbettung von Charles Manson sollen, denn dieser Aufhänger dürfte die Meisten ins Kino gelockt haben. Das wird auch der Hauptgrund sein, warum er bei den Filmfans eher im unteren Drittel seiner Filmography rangiert und erst im letzten Drittel mit dem Auftauchen Mansons funktioniert.
Darstellerisch kann man indes nicht klagen, vor allem Brad Pitt spielt DiCaprio an die Wand und zeigt hier nach „Moneyball“ vermutlich seine beste Leistung und wird nicht ganz unbegründet den Oscar als „Bester Nebendarsteller“ mit nach Hause nehmen dürfen! Alle Preise jenseits von Pitt und der famosen Ausstattung wäre meines Erachtens zuviel des Guten. Vor allem ein Drehbuchgewinn gegenüber des doppelbödigen „Parasite“.
Adam Driver und Scarlett Johansson spielen, in ihren für den Oscar nominierten Darstellungen, ein New Yorker Ehepaar, welches sich scheiden lässt: Sie zieht mit dem Sohn nach Los Angeles, er behaart lange darauf, in New York zu bleiben. Noah Baumbachs für Netflix inszeniert eine unsentimentale Chronik der Ereignisse, der seine Stärke aus den realistischen Dialogen zieht und ein grandios aufspielendes Ensemble beinhaltet, der bis in die kleinsten Nebenrollen reicht. Auch die nominierte Filmmusik von Randy Newman kann sich hören lassen.
Warum allerdings Laura Dern für ihre eindimensionale, wenn auch coole Anwältin so viele Filmpreise erhalten hat, entzieht sich meinem Verständnis und liegt wohl eher daran, dass sie als „überfällig“ betrachtet wird. Dies soll dem Filmgenuss aber keinen Abbruch tun, denn in seinen besten Momenten kann er mit dem Scheidungsklassiker „Kramer gegen Kramer“ mithalten! Wer auf großes Schauspielkino und geschliffene Dialoge steht, dem sei „Marriage Story“ empfohlen – Driver und Johansson waren nie besser!
07 LE MANS 66: GEGEN JEDE CHANCE
James Mangold erzählt davon, wie Henry Ford II gemeinsam mit Lee Iacocca und dem Ingenieur und einstigem Rennfahrer Carrolp Shelby den Ford GT40 kreiert. Ein Auto, das – so die Hoffnung – Ferrari beim Rennen in Le Mans 1966 schlagen soll. Das was bis dahin noch keinem amerikanischen Modell gelungen ist. Nun soll der britische Rennfahrer Ken Miles das bisher Unmögliche möglich machen.
Le Mans ist ein etwas altmodischer, aber (für mich) rundum gelungener Unterhaltungsfilm, der mit spektakulären Rennszenen und mit Christian Bale, Matt Damon, Caitriona Balfe, Noah Jupe und Tracy Letts durch ein großartiges Schauspielensemble aufwartet. Christian Bale ist nur knapp einer weiteren Oscarnominierung entgangen, welches dem sehr starken Männerjahr geschuldet ist, aber immerhin 4 Oscarnominierungen einheimsen konnte, auch wenn er am Ende wohl eine Nullrunde oder nur beim „Schnitt“ oder „Toneffekten“ Chancen hat.
Martin Scorseses Alterswerk erzählt in dem 3,5 stündigen Epos die Geschichte des Mafia-Profikillers Frank Sheeran, der mittlerweile im Altersheim wohnt. Da kein großes Studio ein über dreistündigen Mafiafilm ohne massive Vorgaben produzieren wollten, sprang Netflix ein und ließ Scorsese freie Hand. Herausgekommen ist ein Werk fataler Männerfreundschaften, der durch die verschachtelte Erzählweise , die Aufmerksamkeit des Zuschauers fordert, sich aber durchaus in die Reihe großartiger Werke, wie „Good Fellas“, „Departed“ und „Casino“ einreiht und endlich Robert DeNiro, Al Pacino, Joe Pesci und Harvey Keitel in einem Scorsese-Film vereint.
Das Mammutwerk geht für satte 10 Oscars ins Rennen, wird aber wohl leider das Pech haben sich heute Nacht wie schon zuvor „Gangs of New York“ in allen 10 Kategorien geschlagen geben zu müssen, welches das Projekt aber nicht schmälern soll. Das Timing war lediglich unglücklich und die Konkurrenz zu stark.
Diese Platzierung dürfte Euch genauso Überraschen wie mich! Die Begründung liegt in der Natur der Sache: Eine Hitler-Satire, die bei einem falschen Ton grandios gescheitert wäre und an denen schon so viele Projekte mit ähnlichem Topic gescheitert sind! Der neuseeländische Regisseur Taika Waititi veralbert nicht einfach die Nazi-Ideologie, er meistert zudem die schwierige Aufgabe, den Hitlerjungen als sympathischen Anti-Helden zu inszenieren, ohne die unterschwellige Bedrohung durch die Ideologie außen vor zu lassen.
Dabei bietet die Handlung mit dem zehnjährigen Hitlerjungen Johannes, der sich den Führer als Freund für alle Lebenslagen imaginiert, während sich seine Mutter im Widerstand befindet und eine junge Jüdin Zuhause versteckt, so viele potentielle Stolpersteine, die Waititi meisterhaft zu umschiffen weiß! Der Cast um Roman Griffin Davis, Scarlett Johansson, Sam Rockwell, Thomasin McKenzie und Rebel Wilson leistet Großes und weiß nicht nur glänzend zu unterhalten, sondern ein Kugelhagel an treffsicheren Gags, als auch die Tiefe in ihren Figuren auszuloten. Am Ende bleibt ein zutiefst menschliches Plädoyer für Nächstenliebe, welches noch Lange nachwirkt und mehr Aufmerksamkeit verdient! Großartig! Die Daumen sind für heute Nacht gedrückt!
Zwei junge britische Soldaten sollen 1917 an der Westfront einen Befehl an die vorderste Frontlinie bringen. Ein Angriff gegen die Deutschen darf auf keinen Fall stattfinden, die betroffene Bataillone würden in eine Falle laufen. Darunter wäre auch der Bruder des einen Soldaten.
Regisseur Sam Mendes hat sich von der Geschichte seines Großvaters inspirieren lassen und vermittelt den Eindruck in einer einzigen Einstellung gedreht worden zu sein. Diese Wirkung entsteht durch geschickte Choreografie und Montage und wird sowohl Kameramann Roger Deakins, als auch Sam Mendes ihre zweiten Oscars bescheren. Aber auch in 6 weiteren Kategorien ist das Werk favorisiert.
In der Tat folgt der Film den beiden Protagonisten auf Schritt und Tritt, durch Schützengräben, hinein in ausgebrannte Ruinen, beim Spurten im Bombenhagel. George MacKay liefert eine übermenschliche große Performance, die leider keine Berücksichtigung fand und ob Thomas Newman auch ein 15. Mal bei den Oscars leer ausgehen wird, ist leider mehr als Wahrscheinlich, auch wenn er hier einen meisterhaften Score abliefert. Trotz herausragendem Achievement aller Beteiligten bliebt die Frage, ob „1917“ dieselbe Aufmerksamkeit zuteil gekommen wäre, ohne diese Innovation des Erzählens – ich vermute nicht!
02 JOKER
Mit diesem überbordenden Erfolg dieses bitterbösen, verstörendem Drama hat wohl keiner gerechnet! Der sonst eher durch Komödien, wie The Hangover, bekannte Regisseur Todd Phillips lässt das sonst eher qietschbunter DC-Comicuniversum hinter sich und nähert sich der Figur des Soziopathen Arthur Flecks, der später zum Gegenspieler von Batman werden sollte, mit völlig neuem Ansatz an und erinnert an seine Inszenierung eher an Martin Scorseses „Taxi Driver“. Fleck ist wie Travis Bickle psychisch krank und sozial isoliert, gedemütigt.
Joaquin Phoenix schafft es komplett in die Figur einzutauschen und gilt nicht von ungefähr als sicherster Oscar heute Abend! Was er hier abliefert ist mit normaler Schauspielerei nicht mehr zu messen! Dazu reiht sich eine meisterhaft inszenierte Szene an die Andere und wird von einem fulminanten Score der Isländerin Hildur Guonadottir untermalt, der den zweiten Oscargewinn für den für Sage und Schreibe 11 Oscars nominierten Films, darstellen sollte. Bleibt zu hoffen, dass DC sich diesen Erfolg weiter verfolgt und diesem neuen Stil treu bleibt, dann hat Marvel nichts zu lachen! 😉
Beim Festival in Cannes gab es Die Goldene Palme, es folgten Tonnen an Kritikerpreise, sowie ein Golden Globe und zwei BAFTAS. Bong Joon Hos Film kann heute Nacht Geschichte schreiben, indem er nicht nur erstmals für Südkorea den Oscar als „Bester internationaler Film“, sondern auch beim „Besten Film“ triumphiert. Der Buzz ist da und es wird ein hauchdünnes und spannendes Rennen bis zuletzt bleiben!
Nun aber zur Geschichte: Bong Joon Ho beschreibt mit rabenschwarzen Humor das Leben der Tagelöhner-Familie Kim, die sich bei den reichen Parks mit allerlei fiesen Tricks einnistet. Das letzte Drittel wartet dann mit allerlei Überraschungen auf und einem bitterbösen Feuerwerk sich überbietender Volten.
Die sozial so konträren sozialen Welten werden in jeder Faser des brillanten Drehbuchs facettenreich ausgelotet und von einem Ensemble dargeboten, welches seines Gleichen sucht. Dieser von Kritikern und Publikum gleichermaßen geliebte Film ist der ganz große Wurf und der vermutlich beste Film der letzten 10 Jahre. A must see!!!
Wen es interessiert, hier findest Du mein „Best Picture“-Ranking 2019 und mein „Best Picture“-Ranking 2018.
Greta Gerwig hat sich Louisa May Alcotts Roman von 1868 angenommen, welches schon mehrfach erfolgreich verfilmt wurde und liefert die wohl beste Version der Emanzipationsgeschichte ab, in der Jo und ihre Schwestern hadern sich den gesellschaftlichen Erwartungen zu beugen. Gerwig setzt neue Akzente und schafft es die klassischen Motive auch für die Neuzeit zu transportieren.
„Little Women“ glänzt mit einem Ensemble, welches mit Veteranen u.a. aus Meryl Streep, Laura Dern, Chris Cooper besteht, aber vor allem durch die junge Darstellerriege punktet, aus denen Saoirse Ronan, Timothée Chalamet und Florence Pugh herausstechen. Auch die famose Filmmusik von Alexandre Desplat soll nicht unerwähnt bleiben und stellt eine von insgesamt sechs Nominierungen dar, aus denen zumindest Greta Gerwig für das adaptierte Drehbuch und die Kostüme heute Nacht siegreich sein könnten!