Elvis

Elvis mit Austin Butler
©Warner Bros.

Memphis, 1954: einer der ersten öffentlichen Auftritte eines 19-Jährigen. Ganz in Pink steht er auf der Bühne, zögert, scheint verunsichert. Doch dann legt er los und geht ab wie eine Rakete. Zappelt mit den Beinen, schwingt die Hüften. So viel Sex-Appeal hat die Damenwelt in den prüden 1950ern noch nicht gesehen. Erste Schreie von jungen Frauen lassen die Dämme einer rigiden Sexualmoral erzittern, dann spült eine Flutwelle alles hinweg, was das weiße Amerika bis dahin für heilig hielt – Unterwäsche fliegt auf die Bühne. Baz Luhrmann (Moulin Rouge, 2001) inszeniert das wie eine Orgie, in maßlosem Rausch und vermutlich hemmungsloser Übertreibung. Er darf das, weil die Erzählung zutiefst subjektiv ist. Im Publikum sitzt nämlich der Colonel, der Manager in spe und Erzähler des Films. Für ihn war das Konzert ein Erweckungserlebnis. Er kam her, weil er Elvis im Radio hörte und kaum glauben konnte, dass ein Weißer diese schwarze Mischung aus Blues, Gospel und Country singen konnte. Das allein wäre schon ein Clou gewesen, das den cleveren Geschäftsmann einen Menge Geld wittern ließ. Aber was er nun sah, übertraf seine kühnsten Erwartungen. Für ihn, den ehemaligen Jahrmarkts-Ausrufer, war Elvis die größte Jahrmarktsattraktion aller Zeiten….

So wie Elvis explodiert, explodiert auch der Film. Baz Luhrmann war schon immer bekannt für seinen opulenten Stil, für optisches Feuerwerk, große Oper und unsterbliche Gefühle. Die erste halbe Stunde beginnt wie ein Formel-1-Rennen. Man bangt schon um den Sprit, der vor dem ersten Boxenstopp verbrannt sein könnte. Aber dann schält sich aus dem Schnittgewitter eine erzählökonomisch clevere Strategie heraus. In einem Wirbel aus Rückblenden und Parallelmontagen fächern sich Elvis’ zentrale Kindheits- und Jugenderlebnisse um den zitierten Auftritt herum auf. So lässt sich der normale Biopic-Ballast einer möglichst vollständigen Nacherzählung mit leichter Hand abwerfen. Das schafft Ruhemomente, die dann tatsächlich – man hatte die Hoffnung schon aufgegeben – in eine vernünftige Balance münden: zwischen Highspeed auf der Bühne und entspanntem Cruisen durch die privaten Höhen und Tiefen.

©Warner Bros.

Wie sich der Colonel auf sein subjektives Bauchgefühl verlässt, so auch der Regisseur. In seinem aufwühlenden Überwältigungskino haben Ansprüche auf Objektivität und Ausgewogenheit wenig Platz. Baz Luhrmann zeigt uns einen Elvis, wie er ihn sieht. Einen Rebellen, der für Martin Luther King und Bobby Kennedy schwärmt, für den die Afroamerikaner die wahren Kings zeitgenössischer Musik sind, und der immer wieder die Fesseln sprengt, die der Colonel und das Establishment ihm anlegen wollen. Dass sich der echte Elvis um ein Treffen mit Richard Nixon bemühte (und es bekam), bleibt außen vor. Höchstens gestreift werden der exzessive Drogen- und Tablettenkonsum, der maßlose Lebensstil und die enormen Gewichtsprobleme. Darsteller Austin Butler, der Elvis bis in die kleinsten Bewegungen perfekt kopiert, darf bis zum Schluss schlank und rank bleiben. So erzählt der Film die Geschichte einer Kunstfigur: eines jener Superhelden, deren Comics der Sänger in seiner Kindheit so geliebt hat.

Damit reiht sich Elvis ein in Musikerbiografien wie Bohemian Rhapsody (2018) über Freddie Mercury und Rocketman (2019) über Elton John. Sie feiern ihre Helden, lassen sie neu auferstehen und machen Lust, die alten Songs wieder zu hören. Mit seiner Aneignung der schwarzen Musik ebnete Elvis Presley den Weg für viele andere: Von den Rolling Stones, den Beatles, Bob Dylan und viele mehr. Da darf man sich vielleicht nicht wundern, dass eine Filmbiografie über Elvis noch bombastischer daherkommt als alles bisher Gesehene. Wer allerdings ein musikalisches Biopic im Stile von Walk the Line oder Ray erwartet, der ist bei Baz Luhrmann fehl am Platze. Bund, laut, Schrill, viel Make-up und jede Menge What the fuck seh ich denn da gerade? Das findet man entweder genial oder way too much. Zu welcher Gruppe gehört ihr?

Elvis mit Austin Butler
©Warner Bros.

Fazit: Kann man viel Neues über Elvis Presley erzählen? Wohl kaum. Für den australischen Regisseur Baz Luhrmann ist der Mann fürs Finanzielle Colonel Tom Parker der richtige Aufhänger. Ob man dem „echten“ Sänger mit der Schmalzlocke dadurch näher kommt, ist eine andere Frage. Das Tom Hanks seine wohl schwächste Leistung seiner Karriere abliefert macht es dem Zuschauer nicht gerade leicht eine emotionale Verbindung bei dem Schnittgewitter zu Elvis aufzubauen. Dankenswerter Weise ändert sich nach einer knappen Stunde die Tonart und der Film gewinnt an Ruhe und Tiefe. Produktionstechnisch und Darstellerisch ist dem Film nichts vorzuwerfen. Austin Butler spielt sich die Seele aus dem Lieb und obwohl er optisch kaum dem Original gleicht, schafft er es den Spirit des King einzufangen. Nicht ohne Grund zählt er nach dem Golden Globe Gewinn als heißer Oscarkandidat. Schade, dass so ein durchwachsenes Werk herausgekommen ist. Da sind einige Regieentscheidungen nicht ganz aufgegangen. Aber ganz so grottig, wie viele ihn machen ist er dann auch nicht. Das der Film bunt, schrill und eher opulent sein wird, war doch irgendwie erwartbar – eben ein typischer Luhrmann.

USA 2022 – 159 Minuten
Regie: Baz Luhrmann
Genre: Biografie / Drama / Musikfilm
Darsteller: Austin Butler, Tom Hanks, Olivia DeJonge, Helen Thomson, Richard Roxburgh,Kelvin Harrison Jr., Kodi Smith-McPhee, David Wenham, Luke Bracey, Yola, Xavier Samuel, Natasha Bassett, Adam Dunn, Shonka Dukureh, Alton Mason, uva.
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