House Of Gucci
Ridley Scott war im vergangenen Jahr trotz pandemiebedingter Barrieren besonders fleißig, denn wenige Wochen nach „The Last Duel“ erschien mit „House Of Gucci“ bereits sein nächstes Werk, das ich dankenswerter Weise in einer Kino-Preview erleben durfte. Beworben mit dem plakativen Untertitel „Glamour. Sex. Mord.“ offenbart sich jedoch schnell, dass das Endprodukt in Summe weit darüber hinausgeht. Die wenigen verbliebenen Mitglieder der echten Gucci-Familie zeigten sich alles andere als begeistert über die Veröffentlichung, aber gerade das spricht prinzipiell für den Film, der augenscheinlich viel Wahres enthält, das bisher erfolgreich unter Verschluss gehalten worden ist. Wenngleich die strikt chronologisch aufgebaute Genremischung etwas zu lang anmutet, verschmelzen vor allem Jeremy Irons, Al Pacino und Salma Hayek vollends mit ihren exzentrischen, geltungssüchtigen Charakteren. Aufgrund einer facetten- und entwicklungsreichen, starken Performance darf sich Stefani Germanotta alias Lady Gaga mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alsbald über ihre zweite Oscarnominierung als „Beste Hauptdarstellerin“ freuen, während Adam Driver leider wiederholt mit angezogener Handbremse agierte und der kaum wiederzukennende Jared Leto zwei oder drei Gänge hätte zurückschalten sollen. Gelegentliche Schwächen und Überinszenierungen sind zwar nicht von der Hand zu weisen, dennoch lässt das Gebotene vor allem für modeaffine Zuschauer im Hinblick auf Kostüme, Make-Up und das stylische Szenenbild keinerlei Wünsche offen, bietet einen hohen Unterhaltungsfaktor und transportiert ferner die Erkenntnis, dass Familiengefüge der „höheren“ Gesellschaft allzu oft eher Fluch als Segen darstellen.
The Power Of The Dog
Uraufgeführt im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig, meldete sich Jane Campion nach kreativer Phase endlich zurück, die als zweiter Frau vor annähernd 30 Jahren zur erst zweiten Frau avancierte, der in Gestalt des Meisterwerks „Das Piano“ eine Oscarnominierung für die „Beste Regie“ zuteilwurde. Schnell erschließt sich, warum Kritiker sich fast ausnahmelos begeistert zeigten, denn die Romanverfilmung „The Power Of The Dog“, welche erfreulicherweise gar nichts mit Hunden zu tun hat, möchte schlichtweg nicht der breite Masse gefallen und vermag lange im Gedächtnis zu bleiben, sofern man bereit ist, sich darauf einlassen zu wollen. Der Spätwestern über zwei grundverschiedene Brüder auf einer Farm inmitten der Ödnis von Montana in den 1920ern besticht dank intimer Aufnahmen und einer Dramaturgie voller immenser Geduld und mit kammerspielartigen Zügen. Häufig sprechen die vortrefflich gefilmten Bilder ganz für sich, während der größtenteils auf experimentierfreudigen Streicherklängen basierende Soundtrack einem wahrgewordenen, eigenwilligen Traum gleichkommt. Auch wenn eine Kürzung um eine Viertelstunde dem melancholischen Drama gut getan hätte, gleicht das erlesene, perfekt harmonierende Darstellerquintett diesen Umstand rasch aus. Nach „Melancholia“ und „Die Verführten“ liefert Kirsten Dunst ein weiteres Mal eine überragende, von glaubhafter Fragilität gekennzeichnete Darbietung, die hoffentlich die gebührende Anerkennung erhalten wird, während auch Benedict Cumberbatch in der Rolle des raubeinigen Sonderlings zu überzeugen weiß. Campions Leinwandadaption steht seit Kurzem allen Netflix-Abonnenten zur Verfügung. Es handelt sich um eine psychologisch dichte Sozialskizze voller Symbolismus, die sich jedoch nicht für eine Inaugenscheinnahme zwischen Tür und Angel eignet.
The Unforgivable
Seit gestern läuft nach vereinzelter Kinopremiere eine Literaturverfilmung auch auf Netflix, welche (man höre und staune) u.a. von Veronika Ferres koproduziert wurde, in der es um die entbehrungsreiche Resozialisierung einer Frau geht, die nach Tötung eines Polizisten wegen guter Führung nach rund 20 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird. Unter der Leitung von Nora Fingscheidt inszeniert, die bereits mit „Systemsprenger“ für internationale Beachtung sorgte, entstand ein vielfach auf Entschleunigung setzendes und von Rückblenden durchzogenes sowie von einer im Gedächtnis bleibenden Filmmusik der Legende Hans Zimmer getragenes Porträt mit enormer Gegenwartsrelevanz. Sandra Bullock, die man in dieser Art und Weise bis dato noch nicht sehen durfte, bietet eine magnetisierende, involvierende und tief empfundene Performance als Freigelassene, die gegen enorme Widerstände um ihre jüngere Schwester und die soziale Wiedereingliederung kämpft. Trotz einiger inhaltlicher Redundanzen und eines Nebendarstellerensembles mit schauspielerischen Reserven (mit Ausnahme von Viola Davis) ist „The Unforgivable“ dennoch ein gelungenes, nachdenklich stimmendes und handwerklich souveränes Justizdrama, das nicht zuletzt die mangelnde Bereitschaft der amerikanischen Bevölkerung zur Vergebung eindringlich porträtiert und einen wertvollen Opfer-Täter-Diskurs entfaltet.
Tick, Tick … Boom!
Das komödiantische, ebenfalls seit Kurzem auf Netflix abrufbare Musical stellt erst die zweite Regieführung von Lin-Manuel Miranda dar, der sich vor nicht allzu langer Zeit in „Mary Poppins Rückkehr“ noch an den Straßenlaternen entlanghangelte. Eine Sichtung vom heimischen Sofa erweist sich vor allem aufgrund eines überaus charmant und spielfreudig agierenden Andrew Garfield in der Hauptrolle des Komponisten Jonathan Larson, der im Alter von gerade einmal 35 verstarb und dessen gefeiertes Musical „Rent“ nach langer Bearbeitungszeit posthum erschien, als teilweise lohnenswert und auch der Zusammenprall von Bedrückung und Euphorie trägt gewinnbringende Züge. Dennoch lässt einen vor allem die Inszenierung an sich, aber auch teilweise bescheidene Darstellerleistungen, allen voran Vanessa Hudgens, mit gewisser Ernüchterung zurück. Gleiches trifft auf den kolportierten, übersteigerten Hang zum Pathos zu. Zugute halten kann man den Film, dass er auf dem Papier gegen Homophobie eintreten möchte, aber letztlich doch viele Klischees der 90er Jahre bereitwillig bestätigt und auch die konventionelle, überzuckerte Art ist auf Dauer selbst für passionierte Musicalfans mehr als einmal zu viel des Guten. Erschwerend hinzukommt, dass die Songs zwar durchaus gut arrangiert und aufwendig choreographiert worden sind, aber kaum einer wirklich dauerhaft im Ohr bleibt. Letztlich liefert „Tick, Tick…Boom!“, der viel von seinem Potential links liegen lässt, den Beweis, dass ein vortrefflich agierender Hauptdarsteller im Alleingang bedauerlicherweise noch Garantie für einen guten Film liefert.