Frau im Dunkeln (OT: The lost Daughter)

The Lost Daughter mit Olivia Colman
©Netflix

Eigentlich wollte Leda (Oscarpreisträgerin: Olivia Colman) nur ganz gemütlich Urlaub machen, den Alltag und alles andere hinter sich lassen. Eine kleine griechische Insel schien dafür wie gemacht, ein bisschen am Meer sitzen, Sonne und Strand genießen. Doch von Ruhe keine Spur. Vor allem die junge Mutter Nina (Dakota Johnson) und deren lautes Kind machen der britischen Professorin zu schaffen, immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen oder sie und die anderen Mitglieder der Großfamilie verursachen anderweitig Lärm. Und doch ist die Endvierzigerin fasziniert von der jungen Frau, sucht durchaus ihre Nähe, klaut sogar die Puppe des Mädchens, was zu jeder Menge Chaos führt. Dabei kehren ihre Gedanken immer wieder an die Zeit zurück, als Leda selbst Mutter geworden und mit dieser Rolle überfordert war…

Als Schauspielerin hat Maggie Gyllenhaal ohne Zweifel jede Menge erreicht. Sie spielt in dem Blockbuster The Dark Knight mit, wurde in zahlreichen Independent-Produktionen gefeiert und war für das Drama Crazy Heart für den Oscar als beste Nebendarstellerin nominiert. Für ihre Darstellung in der Thrillerserie The Honourable Woman erhielt sie einen Golden Globe als beste Hauptdarstellerin. Aber wie das so ist, wenn man im schauspielerischen Bereich so viel erreicht hat: Irgendwann lockt der Wechsel auf den Regiestuhl. Das muss nicht unbedingt gut ausgehen, so manches Regiedebüt missglückt kräftig, es bleibt bei einer einmaligen Angelegenheit. Bei Gyllenhaal stehen die Chancen aber nicht schlecht, dass da eine schöne Zweitkarriere herausspringt. Zumindest lässt ihr Netflix-Drama Frau im Dunkeln diese Hoffnung zu, bei der Premiere in Venedig gab es gleich mal einen Preis für das beste Drehbuch und bei den Golden Globes ist sie sogar für „Drehbuch“ und „Regie“ nominiert.

Frau im Dunkeln mit Jessie Buckley
©Netflix

Dabei ist die Adaption eines Romans von Elena Ferrante alles andere als ein Crowdpleaser. Zwar lässt der Beginn des Films auf eine Tragikomödie schließen rund um eine Frau, die sich in der Idylle selbst findet. Nur dass diese Idylle recht bald erste Risse bekommt. Schon früh zeigt Frau im Dunkeln, dass da einiges nicht ganz so toll ist, wie es einen die Reisekataloge glauben lassen wollen. Spätestens mit der lärmenden Familie ist das vorbei mit dem schönen Urlaub. Die Geschichte läuft jedoch nicht auf den zu erwartenden Kleinkrieg hinaus, wenn sich die Professorin von den anderen gestört fühlt. Dass sie in einer solchen Situation schon mal austeilen kann, das zeigt Gyllenhaal zwar an einer späteren Stelle, wenn Leda in einem Kino mit nervigen Jugendlichen aneinandergerät. Darum geht es in dem Drama aber nicht.

Stattdessen befasst sich Frau im Dunkeln mit einem anderen Thema, das nicht minder diskussionswürdig ist: die Mutterrolle. Die Szenen zwischen Nina und ihrer Tochter lassen einen bereits daran zweifeln, ob sie für diese Rolle gemacht ist. Doch das ist nur der Anlass, um Leda über ihre eigenen Handlungen und Fehler nachdenken zu lassen, die sie im Lauf der Zeit begannen hat. Dabei sind beide keine Rabenmütter im eigentlichen Sinn, denen man unter allen Umständen die Kinder wegnehmen müsste. Sie lieben ihre Kinder durchaus, wollen gut für sie sein, wollen für sie da sein. Sie bekommen es nur nicht hin, sind immer wieder überfordert, nicht zuletzt weil beide mit einem Nachwuchs zu kämpfen haben, der sehr fordernd auftritt. Tatsächlich sind die jeweiligen Töchter so laut und anstrengend, dass schon das bloße Zuschauern ermüdend ist.

Frau im Dunkeln mit Dakota Johnson
©Netflix

Dabei geht es Gyllenhaal weder um ein Verteidigen noch ein Anklagen der beiden Mütter. Vielmehr rüttelt sie an einem Tabuthema, das sich bis heute hartnäckig hält: Frauen, die die von der Gesellschaft an sie gestellten Erwartungen nicht erfüllen können oder wollen. Auch wenn sich in der Hinsicht natürlich einiges getan hat, noch immer werden Frauen gern darauf reduziert, Mütter zu sein und Kinder zu erziehen. Bei Leda ist es der Zwiespalt zwischen dem Wunsch einer Karriere und den Verpflichtungen, die der Nachwuchs mit sich bringt, der immer wieder für Reibungen sorgt. Frau im Dunkeln demonstriert, was dies bedeuten kann, wenn beides unvereinbar ist oder zumindest unvereinbar erscheint. Die Verantwortung wird einseitig der Mutter zugeschoben, die sich zu arrangieren hat und die damit oft allein gelassen wird. Das wird gerade durch die Flashbacks deutlich, die Leda als junge Frau zeigen.

Dennoch ist Frau im Dunkeln kein eindeutig feministischer Film, auch wenn die Männer nicht sonderlich viel zur Geschichte beitragen. Genauer ist das Psychodrama in vielerlei Hinsicht nicht eindeutig, sondern überlässt es dem Publikum, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Während beispielsweise manche Verhaltensweisen genau erklärt werden oder sich aus der Situation ergeben, ist die Spontanhandlung von Leda, die Puppe des Mädchens zu klauen, eine, die nicht sofort einleuchtet – nicht einmal ihr selbst. Der Film ist daher weniger konkrete Aussage, sondern eine Aufforderung, sich selbst mit dem Thema auseinanderzusetzen – das wird daher nicht jedem zusagen. Aber Frau im Dunkeln ist wegen Olivia Colman (The FatherThe Favourite – Intrigen und Irrsinn), ihrem jüngeren Ich Jessie Buckley (Wild Rose) und auch einer beeindruckend aufspielenden Dakota Johnson (Fifty Shades of Grey) durchaus sehenswert, da es ihnen gelingt, diese Ambivalenz auszuspielen. Man ist sich bis zum Schluss nicht sicher, was genau man von ihrer Figur halten soll, die in keine der Schubladen passt, in die man sie gern stecken würde.

USA 2021 – 121 Minuten
Regie: Maggie Gyllenhaal
Genre: Drama
Darsteller: Olivia Colman, Jessie Buckley, Dakota Johnson, Ed Harris, Peter Sarsgaard, Dagmar Dominczyk, Paul Mescal, Jack Farthing, Oliver Jackson-Cohen, Panos Koronis, Robyn Elwell, Ellie Mae Blake, uva.
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