Nachdem ich die scheinbar allseitige Liebe zu Hanekes vorangegangenem Film „Das Weiße Band“ nicht unbedingt geteilt habe, war ich besonders gespannt darauf, ob es mir nun bei „Liebe“ ähnlich gehen würde, schließlich gibt es in dieser Saison wohl keine Regiearbeit, die dermaßen viel Lob erhalten hat. Um es vorwegzunehmen: Ich kann mich den begeisterten Kritiken in nahezu vollem Umfang anschließen! Was für ein Film!!! Zwar gab es in unserem Kino (mal wieder) technische Probleme, sodass „nur“ die Originalversion mit deutschen Untertiteln geboten wurde, doch dies hat mich nicht gestört. Im Gegenteil! Man sah eben direkt das Original und keine dialogisch verfälschte Fassung.
Besonders interessant war für mich die Erkenntnis, dass ich den Kinosaal fast nie derart sprachlos verlassen habe. Zuletzt war dies bei „Black Swan“ und „Der Fremde Sohn“ der Fall. Und auch wenn sich diese Werke kaum miteinander vergleichen lassen, haben sie doch eins gemeinsam: Sie zeigen psychologisch genau gezeichnete Porträts einer bestimmten Person, die einem als Zuschauer an die Nieren gehen, der Unterschied ist, dass dies in äußerst ruhiger, beinahe beängstigender Atmosphäre geschieht, in der man damit konfrontiert wird, dass alle Menschen vielleicht irgendwann geistig und körperlich verfallen und dessen voller Qual gewahr werden!
Der Handlungsrahmen ist sehr begrenzt, sodass Haneke sich gewollt darauf konzentrierte, kleine und an sich für das tägliche Leben bedeutungsarme Augenblicke explizit auszuführen und dem Zuschauer somit vor Augen zu führen, was das Alltagsleben eines alternden Ehepaares ausmacht. In der kurzen Einführung entsteht der Eindruck, dass in der Beziehung der beiden Hauptdarsteller einfach alles stimmt und es war schön, dass die ersten Sequenzen von einem sehr feinen, geistreichen Humor durchzogen waren. Doch schon nach kurzer Zeit merkt man, dass diese oft angestrebte Bilderbuch-Ehe sich mit (wortwörtlich) mit einem Schlag ändern kann. Einen solch abrupten Kontrast erachte ich als große Filmkunst. Denn infolgedessen wird Georges durch die Erkrankung die Endlichkeit des Lebens direkt vor Augen geführt. Die Liebe bleibt bestehen, aber die Art des Umgangs ändert sich binnen kürzester Zeit grundlegend. Schonungslos, zutiefst ehrlich und in keinster Weise beschönigend hat man Anteil an dem nicht aufzuhaltenden Verfall von Anne. So etwas habe ich bisher sehr selten, um nicht zu sagen nie, in dieser Form gesehen, weil man sich berührt und gleichzeitig abgeschreckt fühlt, gerade im letzten Drittel des Zweistünders. Man sah eben auch die Verzweiflung, die eine lebenslange, jedoch endliche Liebe hervorruft und die Unfähigkeit, dem wichtigsten Menschen helfen zu können. Einzelne fokussierte Szenen wie etwa jene, in der Anne deutlich sagt, dass sie nicht mehr leben möchte oder ihre letztendliche Erlösung haben mir fast das Herz gebrochen und im Saal eine Totenstille bewirkt! Des Weiteren wurden zeittypische Probleme (wie etwa die mangelnde Zuwendung von Seiten der Pflegekräfte) und die zunehmende Verzweiflung von Angehörigen angemessen und unverklärt beleuchtet. Die Motive der Taube oder der würgenden Hand wurde ebenfalls eindrucksvoll verarbeitet und ließen zahlreiche Deutungsmöglichkeiten zu und auch der Abschluss, in der Georges halluziniert, bildete ein tieftrauriges, rundes Finale. Man traute sich kaum, darüber nachzudenken, wie man anstelle der Protagonisten gehandelt hätte und gerade das machte die Charakterstudie so schmerzlich.
Maßgeblich verantwortlich für diesen unverhohlenen Gesamteindruck des Filmes sind die Leistungen von Jean-Louis Trintignant und, noch etwas stärker, von Emmanuelle Riva, welche eine unglaubliche Vorstellung gab, die ihresgleichen sucht. Sie bewies eine enorme Authentizität, Subtilität und spielte in der Phase ihres Niedergangs ausschließlich durch Mimik, was nicht grandioser hätte geschehen können. Zudem bewies sie Mut, denn der Zuschauer sah nicht nur ihren nackten, alten Körper, sondern ihr Innerstes! Wenn die Academy ihre Darstellung nicht nominiert, muss man echt an ihr zweifeln. Doch auch ihr Ehemann agierte glaubhaft in der Rolle des aufopferungsvollen Mannes, der schließlich am Leid seiner Partnerin zerbricht. Auch eine Berücksichtigung seiner Arbeit wäre wünschenswert. Darüber hinaus gefiel mir auch Isabelle Huppert als Tochter äußerst gut, weil auch sie in jeder Sekunde glaubhaft auftrat. Die Besetzung weiterer Charaktere wäre wegen des Fokus auf die Protagonisten ohnehin nicht nötig gewesen…
Die einzige Kritik, die ich mir anmaße, bezieht sich auf die nahezu fehlende, musikalische Untermalung. Sicherlich brauchten die meisten Sequenzen aufgrund ihrer schauspielerischen Intensität keine Musik, doch vor allem in den letzten 20 Minuten hätte ich mir zumindest einige leise Töne gewünscht, welche die Stimmung noch schärfer hätten unterstreichen können… Außerdem ist der Film wegen seiner Gestaltung zwar mutig, doch natürlich etwas speziell. Zudem war die Laufzeit in meinen Augen etwas zu lang, doch dies machte das intensive Zusammenspiel des Paares beinahe wett.
Insgesamt wurde die menschliche Liebe so vielschichtig skizziert, wie sie auch im Leben der meisten Menschen ist. Sie spendet Geborgenheit, Nähe, Altruismus, eine sich im Alter zuspitzende Scham und Entfremdung sowie vor allem den Wunsch, nicht mehr ohne einander leben zu wollen beziehungsweise zu können. Dieses schmerzende, filmische Porträt lässt einen nachdenklich zurück und es ist vor allem eins: unangenehm, aber zutiefst echt!
Andere Meinungen zum Film:
Johannes von Die Academy
Heiko von Die Academy
Frankreich, Deutschland, Österreich – 2010 – 2 Std. 6 Min.
Regie: Michael Haneke
mit Jean-Louis Trintignant, Emmanuelle Riva und Isabelle Huppert
Genre: Drama