Um alle evtl. Fragen im Keim zu ersticken, nein, die Überschrift zeugt nicht von schlechten Französischkenntnissen meinerseits, sondern birgt nur einen gelungenen Wortwitz wie ich finde. Denn in diesem Artikel soll es um eine der meiner Meinung nach aktuell besten Jungschauspielerinnen Frankreichs, der gebürtigen Belgierin Déborah François gehen. 😉
Denn Déborah François ist nicht nur eine absolute Augenweide, sie spielt auch sehr intensiv und erweckt die unterschiedlichsten Rollen mit größter darstellerischer Brillanz zum Leben. Davon zeugen nicht zuletzt die drei César-Nominierungen von denen die gerade mal 25-Jährige bereits einen mit nach Hause nehmen konnte, sowie der „Prix Romy Schneider“, einem der renommiertesten Nachwuchspreise, den u.a. auch schon Juliette Binoche, Mélanie Laurent sowie jüngst Bérénice Bejo erhalten haben.
Zum ersten Mal ist mir François in „Das Mädchen, das die Seiten umblättert“ aufgefallen, in dem sie mich dermaßen umgehauen hat, dass ich unbedingt noch mehr mit ihr sehen wollte. Im folgenden möchte ich daher fünf ihrer besten und erfolgreichsten Filme besprechen und auf diese Weise vielleicht auch dem Einen oder der Anderen die sie noch nicht kennen Lust machen sich die Filme dieser großartigen Aktrice anzusehen.
„Das Kind (OT: L’enfant)“ von 2005
Bereits in ihrem Filmdebut zeigte die damals gerade 17-jährige François ihr schauspielerisches Ausnahmetalent. Der Film handelt von dem jungen Bruno, einem kleinkriminellen Versager, und seiner Freundin Sonia die in einer verarmten Siedlung am Rande von Lüttich leben. Sonia hat soeben ihr gemeinsames Kind entbunden und ist anfangs noch hoffnungsvoll, dass Bruno das Kind annehmen und sich mit ihr um den kleinen Jimmy kümmern wird. Sie muss jedoch bald feststellen, dass Bruno zu keinerlei emotionalen Bindung zu Jimmy fähig ist. Bruno geht weiterhin seinen Diebeszügen nach, für ihn ist alles um ihn herum nur potenzielle Handelsware. Und so kommt es eines Tages zum Unvorstellbaren. Während Sonia ihren Jungen beim Einwohnermeldeamt registriert gibt Bruno vor mit dem Jungen im Park spazieren zu gehen. In Wirklichkeit verkauft er ihn aber an einen dubiosen Adoptionsvermittler, für läppische 5.000 Euro. Nachdem Sonia davon erfährt erleidet sie einen schweren Schock und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Erst in diesem Moment dämmert Bruno langsam was er schreckliches getan hat und versucht daraufhin Jimmy wieder zurückzuholen, doch für einen hohen Preis…
Dieser Film geht einem wirklich an die Nieren. Das liegt zum einen an den genial spielenden François und Renier, aber auch an dem exzellent geschriebenen Drehbuch. So empfindet man für Bruno trotz seiner unvorstellbar grausamen Tat nie Hass oder Ekel, sondern man fühlt mit ihm, hat sogar Mitleid, und das macht den Film noch mal eine ganze Stufe eindringlicher.
Ein grandioser Film, der noch lange nachhallt und völlig zurecht bei den Filmfestspielen von Cannes 2005 mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, zudem erhielt er vier Nominierungen für den César, u.a. für Déborah François als beste Nachwuchsdarstellerin und den besten Film.
Frankreich, Belgien – 2005 – 1 Std. 35 Min.
Regie: Jean-Pierre & Luc Dardenne
mit Jérémie Renier, Déborah François und Jérémie Segard
Genre: Drama
„Das Mädchen, das die Seiten umblättert (OT: La tourneuse de pages)“ von 2006
„La tourneuse de pages“ habe ich vor rund drei Jahren zum ersten mal im TV gesehen und war hellauf begeistert. Ich habe schon lange nicht mehr so einen ruhigen und dennoch beklemmenden Thriller gesehen. Der Film beginnt mit der 10-jährigen Klavierschülerin Mélanie Prouvost, die an einer Aufnahmeprüfung für das Musikkonservatorium teilnimmt bei der die berühmte Pianistin Ariane Fouchécourt (toll: Catherine Frot) in der Prüfungskommission sitzt. Als diese jedoch während des Vorspiels einen weiblichen Fan heranwinkt um dieser ein Autogramm zu geben (nachdem sie es vor dem Vorspielen als unpassenden Zeitpunkt abgelehnt hatte) gerät die kleine Mélanie ins stocken und verpatzt ihre Prüfung. Wutentbrannt und zutiefst verletzt gibt sie das Klavier spielen auf. Acht Jahre später beginnt die mittlerweile erwachsene Mélanie ein Praktikum bei der Bank des Ehemanns von Ariane. Als sich durch Zufall die Möglichkeit ergibt in den Ferien als Babysitter für den Sohn der Fouchécourts zu arbeiten nutzt sie diese und so trifft Mélanie dort erstmals wieder auf Ariane, die sie nicht erkennt. Als Ariane erfährt, dass Mélanie früher selbst mal Klavier gespielt hat bittet sie sie ihr als Umblätterin für ein anstehendes wichtiges Konzert behilflich zu sein. Mélanie willigt ein und sieht nun die Möglichkeit auf Rache endlich gekommen. Denn sie will nur eines, Arianes Leben zerstören so wie diese ihres zerstört hat…
Was im ersten Moment an Genre-Klassiker wie „Die Hand an der Wiege“ erinnert, wird hier jedoch sehr viel subtiler behandelt. Denn Mélanie ist einerseits so liebenswert-schüchtern und freundlich und gleichzeitig doch so mitleidslos-berechnend, dass es einem wirklich eiskalt den Rücken hinunterläuft. Und ihre Rache ist auch nicht brutal, im ganzen Film wird z.B. kein einziger Tropfen Blut vergossen (d.h. doch an einer Stelle, das ist aber der größte Lacher im Film und der Typ hat es auch so was von verdient 😉 ), sie übt ihre Vergeltung sehr viel subtiler aus indem sie sich das Vertrauen der Familie erschleicht und diese so von innen heraus zu vernichten versucht. Das perfide Ende trägt zudem ebenso dazu bei, dass dieser Film noch lange im Gedächtnis bleibt. Diverse Kritiker haben hymnische Vergleiche zu den Filmen von Claude Chabrol gezogen, dem möchte ich nicht widersprechen.
François spielt einfach nur göttlich. So beängstigend und gleichzeitig so liebenswürdig war schon lange kein Villain mehr. Für mich gehört ihre Mélanie zu den zehn besten Bösewichten der Filmgeschichte. Leider hat sie es damals nicht in unser „Bösewichter-Voting“ geschafft, vermutlich war bzw. ist der Film einfach zu unbekannt. François und Frot wurden wie die passende Filmmusik auch wieder völlig zurecht für den César nominiert.
Ein exzellenter Thriller, ein kleines großes Meisterwerk und für mich der beste französische Film seit mind. 20 Jahren.
Frankreich – 2006 – 1 Std. 25 Min.
Regie: Denis Dercourt
mit Catherine Frot, Déborah François, Antoine Martynciow und Pascal Greggory
Genre: Thriller, Drama
„Female Agents – Geheimkommando Phoenix (OT: Les femmes de l’ombre)“ von 2008
Frankreich 1944: Die SOE (Special Operations Executive), eine Spezialeinheit des britischen Nachrichtendienstes will mittels eines Geheimkommandos aus weiblichen französischen Spionen einen britischen Geologen aus den Händen der Wehrmacht befreien, der vor der Küste der Normandie Proben für den geplanten Einmarsch der alliierten Streitkräfte genommen hatte. Sollte er plaudern wäre die einzige Möglichkeit die Deutschen in Frankreich noch zu schlagen in Gefahr…
Dieser Film ist wohl François‘ finanziell erfolgreichster, zugleich aber auch schwächster Streifen. Er ist zwar opulent ausgestattet, spannend in Szene gesetzt und durchaus fesselnd. Er strotzt allerdings trotz des Hinweises zu Beginn, dass dieser Film auf wahren Begebenheiten beruhe, leider vor historischen Fehlern, zudem wurden vier der sechs handelnden Hauptfiguren komplett frei erfunden. Dies schmälert leider den Genuss, da er sich ja als wahrheitsgetreue Darstellung definiert.
Schauspielerisch agiert das französisch-deutsche Star-Ensemble im großen und ganzen zwar auch souverän, aber einige Charakterentwicklungen passieren dann doch etwas zu schnell bzw. scheinen teils auch zu weit hergeholt. Am schwächsten agiert übrigens Moritz Bleibtreu den ich sonst sehr gerne sehe. Doch hier bleibt er trotz stets gesunder Naturbräune leider etwas zu blass, ihm nimmt man den knallharten SS-Oberst leider keinen einzigen Moment ernsthaft ab. Kein Vergleich zum ein Jahr später die Leinwand erklimmenden Christoph Waltz als Landa. Bleibtreu bleibt einfach Bleibtreu, der in eine Nazi-Uniform gesteckt wurde. Kann man sich aber dennoch mal anschauen.
Frankreich – 2008 – 2 Std. 00 Min.
Regie: Jean-Paul Salomé
mit Sophie Marceau, Julie Depardieu, Marie Gillain, Déborah François und Moritz Bleibtreu
Genre: Thriller, Action, Kriegsfilm
„C’est la vie – So sind wir, so ist das Leben (OT: Le premier jour du reste de ta vie) von 2008“
„C’est la vie“ ist eine wunderbare Tragi-Komödie die das Leben der Familie Duval über den Zeitraum von 12 Jahren an fünf exemplarisch gewählten Tagen begleitet. Diese Erzählweise war bis dato völlig neu, wurde aber daraufhin des öfteren kopiert (z.B. von David Nicholls bei seinem Roman „Zwei an einem Tag“ und der anschließenden Drehbuchfassung). Der Film beginnt am 24.08.1988 als der älteste Sohn der Duvals den altersschwachen Familienhund zum einschläfern bringt und zudem auszieht um sein Medizinstudium in Angriff zu nehmen. Die weiteren „Stationen“ sind der 03.12.1993, 22.06.1996, 25.09.1998 und die Reise endet schließlich am 26.05.2000. Dabei wird man als Zuschauer Zeuge von skurill-witzigen Begebenheiten, wunderbar romantischen Augenblicken, aber auch sehr ernsthaften und traurigen Momenten. Wie das Leben nun mal so ist mit allen Höhen und Tiefen (selten war ein „deutscher“ Verleihtitel daher passender als der Originaltitel). Es gibt viele Filme die das normale Familienleben spiegeln, aber nur selten war ein Film so realitätsnah wie dieser. Zudem ein wahres Fest für alle Freunde gut geschriebener Dialoge. „C’est la vie“ wurde daher bei der „César“-Verleihung 2009 auch mit unglaublichen 9 Nominierungen belohnt (getoppt nur noch von „Public Enemy No. 1“ mit 10 Nominierungen) und konnte am Ende drei Preise mit nach Hause nehmen, u.a. Marc-André Grondin (der den Tunichtgut „Raph“ spielt), sowie eben Déborah François (als jüngste Schwester Fleur), für die besten Nachwuchsdarsteller. François‘ hat zudem die tollste Entwicklung im Film von der 15-jährigen Grunge-Göre (ab der ’93-Episode) über die Punkbraut hin zur engagierten Studentin.
Prädikat: besonders wertvoll!
Frankreich – 2008 – 1 Std. 55 Min.
Regie: Rémi Bezançon
mit Jacques Gamblin, Zabou Breitman, Déborah François, Marc-André Grondin und Pio Marmaï
Genre: Tragi-Komödie
„Studentin, 19, sucht… (OT: Mes chères études)“ von 2010
Der letzte hier besprochene Film ist zugleich auch (neben „Das Kind“) der verstörendste. „Studentin, 19, sucht…“ handelt von der Fremdsprachen-Studentin Laura, die in Schulden versinkt und nicht weiß wie sie ihre Rechnungen bezahlen soll. Als sie eines Tages während einer Vorlesung ohnmächtig wird weil sie schon seit Tagen nichts mehr gegessen hat, da selbst hierfür das Geld nicht reicht, geht sie auf ein Angebot einer „Liebesbörse“ im Internet ein und trifft sich mit dem Mittfünfziger Joe, für 100 Euro für eine Stunde. Anfangs noch voller Scham und Ekel erliegt Laura jedoch dem Reiz des schnellen Geldes (zumal Joe ihr mehr bezahlt als vereinbart) und sie trifft sich erneut mit einem Fremden. Hin- und her gerissen zwischen Ekel und Selbsthass, aber auch der Freude darüber endlich wieder Geld zum essen zu haben, gerät sie immer tiefer in einen Strudel aus Eskorttätigkeiten und Prostitution…
Der Film beruht auf dem Tatsachenroman einer ehemaligen Studentin und Prostituierten, die unter dem Pseudonym Laura D. ihre Lebensgeschichte veröffentliche. Dieses Buch war ein Riesenskandal in Frankreich und wurde sogar zum Politikum da Laura berichtete, dass sie mangels alternativer Förderprogramme (wie unser BAFöG z.B.) bei weitem nicht die Einzige gewesen sei, die sich prostituieren musste um ihr Studium zu finanzieren.
Die filmische Umsetzung ist stellenweise sehr schonungslos und direkt. Es gibt viele für einen Fernsehfilm doch sehr delikate Sexszenen und auch bei Lauras erster Quasi-Vergewaltigung hält die Kamera knallhart drauf. Daher wird die DVD bei uns auch nur mit FSK 18 vetrieben. Stellenweise ist das schon echt harter Tobak. Aber auf jeden Fall ein wichtiges Thema, das leider mittlerweile auch hierzulande langsam zu einem Thema wird. Und François spielt auch hier wieder sensationell, man leidet jeden Augenblick mit ihr mit.
Wer also jenseits von Soft-Porno-Romantik einen Einblick in das schmutzige echte Geschäft mit dem Sex werfen möchte sei dieser Film wärmstens empfohlen.
Frankreich – 2010 – 1 Std. 45 Min.
Regie: Emmanuelle Bercot
mit Déborah François, Alain Cauchi und Mathieu Demy
Genre: Drama