Die größten Oscar-Fauxpas (4): Hilary Swank’s Triumph über Staunton, Winslet & Bening

   Million Dollar Baby

Die Academy schafft es immer wieder herausragende Arbeiten auszuzeichnen, doch wo eine Masse von Menschen entscheiden, passieren auch Fehler. Einige sind rückwirkend betrachtet mitunter schwer nachvollziehbar. Der 2. Oscar für Hilary Swank gehört zu so einer Kategorie, wobei ich ein Vertreter bin, der alle 5 Nominierten Darstellungen als fast ebenbürtig betrachtet. Die Oscarsaison 2004/2005 war in der Kategorie „Best Actress“ wirklich herausragend und trotz weiterer starker Konkurrenz von Nicole Kidman (Birth), Julie Delphy (Before Sunset), Uma Thurman (Kill Bill: Vol 2), Zhang Ziyi (House of Flying Daggers) und Kate Winslet (Finding Neverland) hat die Academy eine vortreffliche Auswahl getroffen und auch eine Nicht-Englisch-Sprachige Darstellung hat sich seit diesem Jahr lückenlos bis zu Cottilards Gewinn ein paar Jahre später integriert!

Million Dollar Baby 2 anette bening being julia

Hilary Swank vs. Annette Bening again!!!

Trotz großartiger Leistung von Hilary Swank in Million Dollar Baby ist es wohl mehr die Rolle an sich und das Filmlegende Clint Eastwood nach Mystic River für weitere Oscars (nach Erbarmungslos, 1992) überfällig war, als die Darstellung an sich, die zum erneuten Oscartriumph für Swank führte. Eastwoods Film mauserte sich kurz vor der Wahl immer mehr zum Favoriten in den Sparten „Bester Film“ und „Beste Regie“ und folglich zieht dies in der Regel mindestens ein Darstellerpreis mit sich. Die fast gleichstarke Konkurrenz hat sich vermutlich auch zuviele Stimmen gegenseitig weggeschnappt, so dass Swanks Comeback kaum aufzuhalten war… Annette Bening war nach dem Golden Globe Gewinn und der Tatsache, dass sie bereits im Frühjahr 2000 gegen Swank den Kürzeren zog als Mitfavoritin ins Rennen gegangen, ebenso wie die mit dem Europäischen Filmpreis, dem Coppi Volpi von Venedig und dem englischen Oscar BAFTA ausgezeichnete Imelda Staunton. Kate Winslet hat mit ihrer 4. Oscarnominierung und der Doppelnominierung beim BAFTA (Eternal Sunshine & Finding Neverland) ihrer Status als überfällig bestätigt, der ihr wenige Jahre den Oscartriumph sichern sollte. Inzwischen gilt Winslets Darstellung laut American Film Institute und Filmforen dieser Welt als eine der besten Leinwanddarstellungen überhaupt, weil sie einen universellen Charakter geschaffen hat, der ihre Vielseitigkeit wieder einmal demonstrieren sollte.

 Kate Winslet Eternal Sunshine 2 vera drake  

 The Runner-up!!!

Auch wenn es für mich als großer Kate Winslet-Fan ein leichtes wäre dem Allgemeinbild zuzustimmen, ist es für mich Imelda Staunton, die mein Oscargold in diesem Jahr bekommen hätte! Ihre Darstellung als Mutter, die sich aufopfernd für ihre Mitmenschen kümmert und ein dunkles Geheimnis mit sich herumträgt, lässt einen Schlichtweg die Kinnlade nach unten Fallen. Spätestens als die Polizei in einer Verlobungsfeier hereinplatzt und Imelda Staunton mit einem einzigen langen Blick dem Zuschauer vermittelt, dass sie genau weiß warum die Polizei in ihr Haus eintritt und ihr nun ihr geliebtes Leben aus den Händen gerissen wird, ist phänomenale Schauspielkunst höchster Klasse.

imelda staunton vera drakeanette bening being julia 2hilary swank oscar 2catalina sandino morenoKate Winslet Eternal Sunshine

Catalina Sandino Morena hat sich nach dem Gewinn vom Silbernen Darstellerbären in Berlin bis zu einigen Darstellerpreisen der Kritikervereinigungen als Fünfte im Bunde etabliert, doch angesichts des starkes Nominierungsfeldes war sie vollkommen Chancenlos und dürfte die wneigstens Stimmen erhalten haben! Ihre Darstellung ist aber durchweg nominierungswürdig und sie hat sich den Spot redlich verdient.

In der folgenden Review möchte ich Euch Vera Drake genauer vorstellen und von Euch wissen, welches ihr als die Darstellung des Jahres empfunden habt oder ob ihr glaubt, dass die Academy zurecht Hilary Swank ausgezeichnet hat? Bin gespannt auf Eure Antworten!

vera drake 2

Die hilfsbereite Vera Drake (Imelda Staunton) kümmert sich aufopfernd um die Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Im Jahre 1950 wohnt sie mit Ehemann Stan (Philip Davis) und ihren zwei erwachsenen Kindern Sid (Daniel Mays) und Ethel (Alex Kelly) in einer engen Londoner Wohnung. Sie pflegt nicht nur ihre kranke und schwache Mutter, sondern umsorgt auch einen Nachbarn im Rollstuhl. Dabei ist sie eine viel beschäftigte Frau. So hält sie die Haushalte wohlhabender Herrschaften in Ordnung. Trotz der vielen Arbeit kommen Mann und Kinder nicht zu kurz. Der Alltag der Nachkriegszeit ist hart. Aber Vera muntert ihre Lieben immer wieder mit ihrer guten Laune auf. Eines Tages wird die Familienidylle jäh zerstört. Ausgerechnet während Ethels Verlobungsfeier stürzt die Polizei herein und nimmt Vera fest. Seit langem hilft Vera schwangeren Frauen in Not und treibt deren Föten unentgeltlich ab. Doch ein Mädchen ist an den Folgen des laienhaften Eingriffs gestorben. Veras Familie wusste nichts von ihrer Nebentätigkeit und ist aufs Tiefste erschüttert.

vera drake 4

Bei den Venediger Filmfestspielen in 2004 gewann Imelda Staunton den Preis für „Die beste Darstellerin“, Regisseur Mike Leigh den „Goldenen Löwen“. Zahlreiche Preise und 3 Oscarnominierungen (Regie, Hauptdarstellerin, Drehbuch) folgten. Stauntons portraitierte Figur Vera Drake berührt die Zuschauer zutiefst. Autor und Regisseur Mike Leigh zeichnet sie – wie die anderen Charaktere seines Dramas – authentisch nach. Das Publikum erhält nicht nur Einblick in ihren sozialen und beruflichen Alltag, sondern zudem in die allgemeine Befindlichkeit der englischen Arbeiterklasse der 1960er Jahre. Leigh setzt sich sowohl mit der Armut und den Kriegserlebnissen der Protagonisten auseinander, als auch ihrer widersprüchlichen Moralvorstellungen. So demonstriert das Sozialdrama, dass Abtreibung in den 1950ern von der Mehrheit der englischen Bevölkerung verpönt ist. Vera ist in dieser Gesellschaft zugleich Opfer und Täter. Sie hilft den Frauen, die unter keinen Umständen ein Kind gebären wollen. Andererseits ist sie aber keine Ärztin und kann den Eingriff nicht fachgemäß ausführen. Kameramann Dick Pope zeigt die weinende, verzweifelte Vera immer wieder in Nahaufnahme und schafft so eine ideale Bühne für Stauntons herausragendes Spiel, welches den Zuschauer erschaudern lässt. Die Leistung des gesamten Casts wirkt umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass Mike Leigh das Hauptthema der illegalen Abtreibung bis zuletzt verschwiegen hat, um besonders authentische Reaktionen der Darsteller zu erzielen. Auch erwähnenswert finde ich, dass er mit immer fast demselben Stammcast zusammenarbeitet, ihre Gewichtung aber immer eine völlig Andere ist. Zusehen kriegen wir zum Beispiel Sally Hawkins und Eddie Marsan aus „Happy Go Lucky“ (2008) oder Jim Broadbent, Lesley Manville und Ruth Sheen aus „Another Year“ (2010) in kleineren, aber gut entwickelten Nebenrollen.

Bei „Vera Drake“ handelt es sich um ein melancholisches Werk mit viel Liebe zum Detail und überzeugenden Charakteren, das moralische Fragen aufwirft, ohne sie endgültig zu beantworten. Absolutes Sehenswert!

Wertung80

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Artikel, Filme, Oscar, Oscar-Fauxpas, Reviews. Fügen Sie den permalink zu Ihren Favoriten hinzu.