Kreuzweg

FFLU Kreuzweg Review


Nachdem Dietrich Brüggemann mit eher komödiantischen Stoffen bekannt geworden ist, legt er nun mit seinem vierten Langfilm sein erstes waschechtes Drama vor, bleibt dabei aber seinem besonderen Stil mit langen unbewegten Einstellungen, den er bereits mit „Neun Szenen“ etabliert hat, treu. Für das Drehbuch zu „Kreuzweg“ wurde Brüggemann, zusammen mit seiner Schwester Anna, übrigens mit dem Silbernen Bären bei der diesjährigen Berlinale ausgezeichnet. Und das vollkommen zurecht!

Denn „Kreuzweg“ ist ein ungewöhnliches, heftiges und sehr eindringliches Kammerspiel. Es stellt in 14 einzelnen ungeschnittenen Takes, in denen die Kamera ihren Fixpunkt nie verlässt, entlang der Kreuzwegstationen Jesu, das Leben und Leiden der jungen Maria (Lea van Acken) dar, die in einer streng religiösen und ultrakonservativen Familie aufwächst, aber auch ein ganz normaler Teenager sein möchte und somit ständig mit neuen Konflikten konfrontiert wird.

Maria steht kurz vor ihrer Firmung in der (fiktiven) Gemeinde der Paulusbrüder (welche jedoch recht offensichtlich an die existierende Pius-Bruderschaft angelehnt ist). Hier wird der katholische Glaube noch nach dem alten Ritus praktiziert, man hat der katholischen Kirche nämlich seit dem 2. Vatikanischen Konzil abgeschworen, das nach ihrer Vorstellung der Sünde Tür und Tor geöffnet hat.
Der fanatische Pater Weber (Florian Stetter) predigt seinen Schützlingen, dass sie als wahre Christen Soldaten Gottes seien und somit alle Ungläubigen bekehren müssen. Damit rennt er bei Maria offene Türen ein, denn ihr größter Wunsch ist es sich für Gott aufzuopfern, in welcher Form auch immer.
Doch Maria ist ständig neuen Versuchungen ausgeliefert. In der Schulbibliothek lernt sie Christian (Moritz Knapp) aus ihrer Parallelklasse kennen, den sie auf Anhieb mag und der sie einlädt in seinem Kirchenchor zu singen. Aber dort wird neben Bach auch Gospel gesungen, und solch „satanische“ Musik will (und darf) sie nicht unterstützen. Als sie ihrer Mutter (Franziska Weisz) von der Einladung erzählt (allerdings dichtet sie Christian zu einer Freundin um), droht diese umgehend ihre Firmung abzusagen, wenn sie ernsthaft solch gotteslästerliche Dinge tun wolle. Und so ist Maria weiter hin- und her gerissen. Zwischen ihrer Sehnsucht Gott zu dienen und ihrer Sehnsucht nach einem „normalen Leben“, zwischen der Strenge ihrer Familie und den immer wieder neuen Lockungen. Einzig Bernadette (Lucie Aron), die als Au-pair bei Marias Eltern arbeitet, steht ihr bei, doch auch sie kann die nahende Katastrophe nicht aufhalten, auf die Maria zusteuert. …

Dieser Film ist wirklich außergewöhnlich, ein Glücksgriff für das deutsche Kino. Die bereits erwähnte wie in Beton gemeißelte Kamera und die langen Plansequenzen sind im wahrsten Sinn des Wortes atemberaubend, als Zuschauer sitzt man hilflos davor und fühlt sich selbst wie gefangen und an einen Stuhl gefesselt. Das jegliche Fehlen von Musik (bis auf zwei kurze Ausnahmen im Sportunterricht und in der Kirche) und das stellenweise Ausbleiben von Hintergrundgeräuschen tun dann noch ihr übriges. An einigen Stellen hätte man eine Stecknadel im Kino fallen hören können, absolut magisch in Zeiten in denen es sonst aus allen Ecken und Enden kracht und scheppert.
Die gerade mal 14-jährige Lea van Acken, die die Maria spielt, ist zudem eine echte Offenbarung. Sollte sie mit der Schauspielerei nach, oder auch schon während, ihrer Schulzeit fortfahren, prophezeie ich ihr eine glänzende Karriere.
Sie war auch bei der Vorführung in Ludwigshafen zu Gast, und wenn man dieses frohgemute Energiebündel auf der Bühne hat herumhüpfen sehen, weiß man ihre grandiose, in sich gekehrte Leistung in „Kreuzweg“ sogar noch mehr zu schätzen.

Brüggemann greift hier übrigens nicht die Kirche oder den Glauben an sich an, aber zeigt konsequent auf wohin Überreligiosität und grenzenloser Fanatismus führen kann. Und Fundamentalisten sind eben nicht nur Sprengstoffgürtel tragende arabische Männer mit Vollbärten.


D – 2013 – 1 Std. 47 Min.
Regie: Dietrich Brüggemann
mit Lea van Acken, Franziska Weisz, Lucie Aron, Florian Stetter, Moritz Knapp, Michael Kamp, Birge Schade, Ramin Yazdani & Hanns Zischler
Genre: Drama

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