The Imitation Game – Ein Streng Geheimes Leben (OT: The Imitation Game)

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Offen gestanden hegte ich trotz des talentierten Hauptdarstellers und sogar nach der Enthüllung, dass Morten Tyldums erster englischsprachiger Spielfilm ganze acht Oscarnominierungen auf sich vereinen konnte, bis zuletzt keine sonderlich hohen Erwartungen. Maßgeblich verantwortlich dafür war womöglich die vor dreizehn Jahren entstandene Adaption „Enigma“ mit ähnlichem Hauptthema, welche ich als äußerst langweilig und hölzern empfunden habe. Doch wie so oft begeistern einen gerade die Produktionen, von denen man sich im Vorfeld nicht allzu viel versprochen hatte…

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In erster Linie ist die „The Imitation Game“ – und das ist keinesfalls als Nachteil anzusehen – ein konventionell dramaturgisierter Historienthriller über einen bemerkenswerten Mann, der die Kryptoanalytik revolutionierte und mithilfe der verdeckten Entschlüsselung des deutschen Funkspruchsystems entscheidend zur Rettung von Millionen Menschenleben und zu einer vorzeitigen Beendigung des Zweiten Weltkrieges beitrug. Der Film verliert durch die Einbringung von Bild- und Tonmaterial aus den Kriegsjahren (beispielsweise U-Boot-Aufnahmen oder die bereits durch „The King’s Speech“ bekannt gewordene Rede Georges VI.) nie seinen partiellen Dokumentarcharakter. Zudem wurde das an sich sperrige Spionagesujet zumeist auf ein verstehbares Niveau heruntergebrochen, nichtsdestotrotz mit spannungsgenerierenden Rückblenden unterstrichen, die dafür sorgen, dass das Werk sowohl als subtiler Thriller als auch als menschliches Porträt funktioniert. Vor allem dem punktierten Drehbuch mit evidenten Dialogen und ohne Längen sowie dem stetigen Fokus auf Alan Turing ist es zu verdanken, dass die Handlung weder moralisiert noch heroisiert. Leichte Abzüge gibt es bezüglich der geschichtlichen Korrektheit, denn der geneigte Zuschauer entdeckt mehrere Überlieferungsfehler. Beispielsweise wurde die Beziehung zwischen Alan und Joan aus dramaturgischen Gründen weitaus intensiver dargestellt als sie in der Realität bestand, die Umstände seiner Kindheit und Inhaftierung sind nicht durchgängig stimmig und auch mit der Vita des Agenten Cairncross wurde recht frei umgegangen. Diese „Flüchtigkeiten“ fallen Nicht-Historikern freilich nicht auf und sind sekundär, da der Gesamtkontext ansonsten beherzigt wurde. Während die letzten Lebensjahre für mein Empfinden zwar glücklicherweise nicht sentimental, dafür jedoch etwas zu überhastet angegangen worden sind, stellt es einen Vorzug dar, dass die Herrenhäuser und zeittypischen Bekleidungen zugunsten der intelligent konstruierten Inszenierung auffallend in den Hintergrund treten. Meine unlängst getroffene Aussage bezüglich der Arbeiten von Alexandre Desplat muss ich an dieser Stelle revidieren, denn die Kompositionen „The Imitation Game“ sind in der Tat das Beste, was dieses Genie (angeblich innerhalb von gerade einmal zwei Wochen) nicht nur in dieser Saison, sondern innerhalb der letzten Jahren hervorgebracht hat – und das möchte angesichts seiner Bibliographie etwas heißen. Sicherlich nicht nur dessen Kollege Philip Glass hat Wohlgefallen an der virtuos-orchestralen Untermalung, die das Gesehene stets perfekt intensiviert. Folglich wäre es mir am liebsten, wenn Jóhannsson und Desplat sich den Oscar teilen würden, wenngleich es äußerst unwahrscheinlich erscheint.

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2014 scheint in der Tat ein absolut überragendes Jahr zu sein, was das Schauspiel der britischen Männer anbelangt, denn nach Eddie Redmayne und Timothy Spall liefert nun auch Benedict Cumberbatch eine Vorstellung, die in vielen Belangen ihresgleichen sucht und den meisten der weiblichen Kolleginnen den Rang abläuft. Er punktet durch einen unfassbaren Facettenreichtum, weswegen die Wesenszüge seiner diffizilen Figur – d.h. sein ungemeiner Scharfsinn, ein leichtes Maß an Arroganz, aber auch eine tief verwurzelte Depression – erst zu voller Geltung gelangen konnten. Vor allem die Momente nach der Hormonbehandlung sind für jemanden, der ebenfalls gleichgeschlechtlich liebt, nur schwer zu ertragen, doch obwohl man darauf verzichtete, dieses Verfahren zu zeigen, berühren die seelischen Folgen und die intensive Verkörperung von Alans Niedergang sowohl Hetero- und Homosexuelle gleichermaßen. Keira Knightley, die ich bisher oft zu eindimensional fand, mich nach „Abbitte“ und „Anna Karenina“ aber milde gestimmt hatte, schafft diesmal aus meiner Sicht ähnliches wie Hilary Swank, weil sie nach langer Zeit endlich einen wirklich gelungenen, durchgängig präsenten Auftritt bot. Besonders die Sequenz, in der sie Alan als „fragilen Narzissten“ beschimpft, brannte sich in mein Gedächtnis ein. Die abschließenden zwanzig Minuten zeigen zudem, dass die darstellerische Chemie zwischen ihnen stimmte, da beide keine Angst hatten, ihre Gefühle für den Zuschauer erkennbar werden zu lassen. Ferner lieferten auch Mark Strong, Charles Dance und erneut Matthew Goode sehenswerte Performances.

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Die Frage, ob „The Imitation Game“ sich letztlich all seine Nennungen seitens der Academy verdient hat, würde ich nach zwei Sichtungen entschieden bejahen wollen, obwohl ich „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ eine Nuance besser gefallen hat. Tyldums ambitioniertes Werk, das nicht nur Geschichtsinteressierte ansprechen dürfte, vereint jedenfalls Spannung, unaufdringliche Emotion, technische Akkuratesse, ein tolles Ensemble und entgegen des Umstandes, dass das Ende des Zweiten Weltkrieges sich in diesem Jahr zum 70. Mal jährt, fein gezeichnete Denkanstöße für die Gegenwart, welche die vorhandenen Defizite nahezu ausgleichen.

UK / USA 2014 - 113 Minuten Regie: Morten Tyldum Genre: Historiendrama / Biographie / Thriller Darsteller: Benedict Cumberbatch, Keira Knightley, Matthew Goode, Mark Strong, Charles Dance, Allen Leech, Matthew Beard, Rory Kinnear, Tuppence Middleton, Victoria Wicks
UK / USA 2014 – 113 Minuten
Regie: Morten Tyldum
Genre: Historiendrama / Biographie / Thriller
Darsteller: Benedict Cumberbatch, Keira Knightley, Matthew Goode, Mark Strong, Charles Dance, Allen Leech, Matthew Beard, Rory Kinnear, Tuppence Middleton, Victoria Wicks
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