Big Eyes

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Wenngleich mir „Sleepy Hollow“, „Charlie Und Die Schokoladenfabrik“ und (im Gegensatz zur Mehrheit) sogar „Dark Shadows“ überaus gefallen haben, würde ich mich nicht als besonders großen Fan der Filmographie von Tim Burton bezeichnen wollen, was wohl vorrangig daran liegen dürfte, dass dessen thematisches und stilistisches Spektrum bisher doch recht einseitig gewesen ist. „Big Eyes“, sein nunmehr 17. Spielfilm, für welchen er ursprünglich gar nicht als Regisseur vorgesehen war, weckte in mir seit der Sichtung des Trailers – aufgrund der Besetzung und der künstlerischen Thematik – ein hohes Maß an Vorfreude, das sich nun als voll und ganz gerechtfertigt erwies.

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„Big Eyes“ ist – entgegen der Golden-Globe-Kategorisierung – aus meiner Sicht viel eher ein überraschend traditionell gehaltenes, subtil humoriges Drama über eine wahre Geschichte als eine bloße Komödie. Darin wird in wohltuend dezenter Erzählart die Schaffensphase der Künstlerin Margaret Hawkins beleuchtet, die ab den frühen 50ern zumeist Kinder mit unproportional großen, dunklen Augen auf die Leinwand brachte. Sie heiratet den zunächst charmanten Walter Keane, der sich jedoch rasch ihr Talent zunutze macht, indem er die Urheberschaft der extravaganten Werke und die damit verbundenen Einnahmen in Millionenhöhe für sich beansprucht. In einem von medialer Aufmerksamkeit begleiteten, juristischen Verfahren kämpft Margaret schließlich um die Anerkennung ihres Vermächtnisses… Der Film besitzt für mein Empfinden nicht nur eine optimale Länge und einen klassischen Spannungsbogen, sondern auch eine Interesse weckende, ein Zitat Warhols enthaltende Einführung und funktioniert infolgedessen insbesondere als ästhetische, faktengetreue und glücklicherweise niemals übersteigert melodramatische Milieu- und Charakterstudie innerhalb eines dynamischen Jahrzehnts. Dagegen finden wir die für den Regisseur überaus typischen, sarkastischen Züge erst in den abschließenden Sequenzen vor Gericht wieder und primär in der zweiten Hälfte eine messerscharf-exzellente Dialogisierung. Zudem konnte die Botschaft, dass Kunst im modernen Zeitalter leider immer mehr zur Fließbandware verkommt, durch Walters ansteigende Gier und Kontrollausübung hervorragend zur Geltung gelangen, gleiches trifft auf die Versinnbildlichung des seinerzeit noch immer nicht die volle Gleichberechtigung besitzenden, weiblichen Geschlechts zu. Zweifelsohne hätte jedoch eine höhere, erzählerische Dichte an einigen, etwas zu behäbig geratenen Stellen nicht geschadet.

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Die in impressionistische, anfangs sicherlich leicht gewöhnungsbedürftige Pastellfarben eingetauchten Szenarien sind das einzige, das man direkt dem eigenwilligen Filmstil von Burton zuordnen würde. Interessant ist dies, weil die Kulissen in passender Manier sowohl als künstlerische Metapher als auch stets im Kontrast zu den Gefühlsregungen Margarets stehen. Auch den Kostümdesignern, Stylisten und der von Bruno Delbonnel stammenden Kameraarbeit kann man wegen der stilvollen, optischen Gestaltung schwerlich einen Vorwurf machen. Des Weiteren empfand ich die Filmmusik von Burtons Stammkomponisten Danny Elfman als Bereicherung, weil sie diesmal nicht nur aus überdrehten Klängen bestand, sondern wehmütig auf den Zuschauer einprasselte. In diesen Kontext fügte sich auch Lana del Reys grandios interpretierter Titelsong in das Zentrum des Biopics ein, der sich angesichts der überaus schwachen, nominierten Stücke eine Oscarnennung schon allein wegen der passenden Liedzeilen („…it’s amazing what women in love will do…“) redlich verdient hätte, während „I Can Fly“ einen guten Schlusspunkt setzte.

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Getreu dem auf Margarets Vita überlieferten Zitat „Eyes are how I express my emotions.“ punktet die Hauptdarstellerin vor allem in nahezu unvergleichlicher Weise mit ihren Gesichtsausdrücken und Blicken. Somit kommen die scheuen, fragilen Charakterzüge durch Adams’ empfindsames Spiel hervorragend zum Tragen, gleichermaßen aber auch die schrittweise, nicht überhastete Emanzipation gegenüber ihrem herrischen Ehemann. Sie offeriert einen als Zuschauer einen Blick in ihr Seelenleben und kann dadurch sich bis zum Schluss mit der Figur identifizieren. Exakt deswegen erachte ich es als unverständlich, dass sie zwar für „American Hustle“ und „The Fighter“ nominiert worden ist, nicht aber für diese Performance, welche aus meiner Sicht ihre vielschichtigste seit der Verkörperung der Novizin in „Glaubensfrage“ darstellt. Christoph Waltz wird häufig vorgeworfen, er könne nur bösartige Charaktere verkörpern, doch in „Big Eyes“ beweist er mithilfe seines zurückgenommenen Auftretens in der ersten Filmhälfte das Gegenteil. Schließlich wirkt er in den Szenen, in denen er Margaret mit Schmeicheleien manipuliert genau so authentisch wie in jenen, die ihn erneut als diabolischen Menschentypus erscheinen lassen. Lobenswert ist zudem die kurze, aber überzeugende Performance von Madeleine Arthur als Margarets Tochter. Sicherlich fehlt es überdies an vollends überzeugenden Nebendarstellern, doch das Interagieren der beiden Protagonisten entschädigte für dieses Manko.

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Aus all diesen Gründen ist es aus meiner Sicht äußerst bedauerlich, dass der Film den Academy-Mitgliedern nicht gefallen zu haben scheint, denn Tim Burton ist damit endlich ein substantieller, anrührender, intimer und auf die kommenden Produktionen neugierig machender Spartenwechsel geglückt, der von seiner gestaltungsbezogenen Ästhetik, der Gegenwartsrelevanz und den hervorragenden Hauptdarstellern lebt. Wenigstens die HFPA wusste dies mithilfe von drei Golden-Globe-Nominierungen respektive eines gerechtfertigten Gewinns für Amy Adams entsprechend zu würdigen. Dennoch bin ich mir beinahe sicher, dass deren Oscar-Rolle nicht mehr lange auf sich warten lassen wird…

USA 2014 – 106 Minuten Regie: Tim Burton Genre: Drama / Biographie Darsteller: Amy Adams, Christoph Waltz, Krysten Ritter, Jason Schwartzman, Danny Huston, Terence Stamp, Jon Polito, Elisabetta Fantone, James Saito, Madeleine Arthur
USA 2014 – 106 Minuten
Regie: Tim Burton
Genre: Drama / Biographie
Darsteller: Amy Adams, Christoph Waltz, Krysten Ritter, Jason Schwartzman, Danny Huston, Terence Stamp, Jon Polito, Elisabetta Fantone, James Saito, Madeleine Arthur
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