Unerreichbare Meilensteine der amerikanischen Filmgeschichte

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Vier bisher noch von niemandem rezensierte Werke mit literarischer Drehbuchvorlage stellen in meinem Leben seit Jahren bedeutsame filmische Konstanten dar, mit denen sich alle anderen, später entstandenen Filme unweigerlich zu messen haben, weswegen sie von mir ohne jedwede Diskussion auch die Höchstwertung erhalten. In Summe bringen es die berechtigterweise Klassikerstatus genießenden Produktionen unterschiedlicher Genres, die allesamt zur Abwechslung einmal nicht dem historischen Typus zuzurechnen sind, auf 16 Oscarstatuetten bei sagenhaften 38 (!) Nominierungen. Doch auch ohne diese Vielzahl an Anerkennungen würden die US-amerikanischen Meilensteine zu meinen Lieblingsfilmen gehören, denn jeder ist auf seine ganz besondere Weise einzigartig, atemberaubend, nachwirkend und aus filmischer Sicht innerhalb der jeweiligen Sparte vielleicht sogar auf ewig unübertroffen…

Der Zauberer Von OZ / Das Zauberhafte Land (OT: The Wizard Of OZ)

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Wenn sich ein Werk der Filmgeschichte die leider inzwischen immer inflationärer verwendete Bezeichnung als „Klassiker“ wirklich redlich verdient hat, dann dürfte dies der vielleicht meistzitierte Film aller Zeiten sein, der überdies einer der ersten war, der (fast) vollständig in prächtigen Farben erschien. „Der Zauberer Von OZ“ brachte das MGM-Studio mit Produktionskosten von annähernd drei Millionen US-$ an den Rand des wirtschaftlichen Ruins, doch genau wie das nur wenige Monate später veröffentlichte Epos „Vom Winde Verweht“ wurde auch das größtenteils von Victor Fleming inszenierte Musical rasch zu einem finanziellen Publikumserfolg und läutete überdies eine neue Ära der Filmrealisation ein. Neben „Metropolis“ ist die Verfilmung der Geschichte rund um die kleine Dorothy, die durch einen Wirbelsturm in das Land OZ gerät und zusammen mit einer Vogelscheuche, einem Holzfäller aus Blech und einem mutlosen Löwen zahlreiche Abenteuer zu bestehen hat, eine von lediglich vier (!) Kinoproduktionen, die von der UNESCO in die Liste des Weltdokumentarerbes aufgenommen wurde, wofür es eine ganze Anhäufung an Gründen gibt.

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In der originalgetreuen Umsetzung von Lyman Frank Baums pädagogisch wertvoller, gleichnamiger Erzählung aus dem Jahr 1900, die neben „Alice Im Wunderland“ zu den beliebtesten Romanen der englischsprachigen Kinderliteratur zählt und mehrfach fortgesetzt wurde, geht keine einzelne Facette des hohen Symbolismus der Vorlage verloren. Beispielsweise stellt es eine wunderschöne Idee dar, dass Dorothys liebenswerte Begleiter sich aus tiefster Seele ebenjene Charakterzüge ersehnen, über die sie bereits unverkennbar im Überfluss verfügen. Viele der verwendeten Dialoge, Liedtexte und Floskeln zählen mittlerweile zum kulturellen Erbe einer ganzen Nation, denn auch heute – ganze 76 Jahre nach der Veröffentlichung – kennt nahezu jeder Amerikaner diese faszinierende, lehrreiche, temporeiche und musikalische Märchenadaption. Insbesondere die Optik dessen muss nach wie vor als phänomenal angesehen werden, denn die stilistischen Feinheiten verströmen noch immer einen charakteristischen Zauber, der bestens ohne Computereffekte auskommt. Sicherlich mögen manche der technischen Elemente mittlerweile überholt anmuten, für die damalige Zeit jedoch war die visuelle Sphäre gleichermaßen Revolution als auch Triumph. Besonders der direkte Kontrast zwischen den tristen, monochrom gehaltenen Landschaften von Kansas und den betörenden, surrealen Kulissen der abwechslungsreichen Fantasiewelt ist perfekt gelungen und die hervorragende Arbeit aller Designer bebildert „Das Zauberhafte Land“ – so der Alternativtitel – außergewöhnlich. Man merkt den detailverliebten Requisiten des Munchkinlandes und der Smaragdstadt sowie den aufwendigen Masken und traumhaften Kostümen einfach an, dass die Macher die Möglichkeit besonders zelebriert haben, eine gesättigte Kolorierung auf der Leinwand abzubilden. Des Weiteren glänzt der ideal lange Film mit klassischem Spannungsbogen ebenfalls auf akustischer Ebene voll und ganz. Schließlich stellt das hymnenartige, grandios geschriebene und interpretierte Lied „Over The Rainbow“ mit all seiner zeitlosen Relevanz für mein Empfinden den schönsten Filmsong der Geschichte dar und bereichert den Handlungsverlauf in selben Maße wie alle hinreißenden Musicalnummern („We’re Off To See The Wizard“, „If I Only Had A Brain“ oder „Ding-Dong, The Witch Is Dead“) voller Esprit und Herz, die wohl nicht nur ich ausnahmslos mitsingen kann. Für die wunderschönen, variablen Klänge stach Herbert Stothart im Zuge der Oscarverleihung keine geringere Filmmusik aus als Max Steiners Kompositionen in „Vom Winde Verweht“, doch im Allgemeinen muss es als Unglücksfall erachtet werden, dass gerade diese beiden Meisterwerke gezwungen waren, in direkte Konkurrenz miteinander zu treten. Neben dem Sieg in den beiden Musikkategorien gewann Judy Garland 1940 völlig zu Recht den Spezialpreis für die vielversprechendste Nachwuchsperformance. Man kann, retrospektiv betrachtet, ungemein dankbar dafür sein, dass der ursprünglich für die Hauptrolle vorgesehene Kinderstar Shirley Temple nicht den Zuschlag bekommen hat, sondern das Mädchen aus Minnesota, welches bereits in einem ihrer ersten Engagements so ziemlich jede Nuance ihres multiplen Talents präsentieren konnte, weswegen Alt und Jung mit ihrer Figur mitfiebern. Dass Margaret Hamilton, die sich beim Dreh aufgrund der Feuerwerke Verbrennungen zuzog, in der Liste des „American Film Institute“ (als höchstplatzierte Frau) der vierte Rang unter den besten Schurken der Filmhistorie zuerkannt wurde, erscheint vollkommen angemessen, denn die Rolle der bitterbösen Hexe des Westens hätte man schlichtweg nicht inbrünstiger, brillanter und unterhaltsamer verkörpern können. Hinzu kommen Auftritte von musicalerfahrenen Herren wie Ray Bolger als Vogelscheuche und Frank Morgan in gleich fünf verschiedenen Rollen, die neben den quirligen Munchkins weitere Sympathieträger darstellen und die Story mit geschmackvollem Humor bereichern sowie die spielfreudige Billie Burke als Glinda.

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Wären die Vereinigten Staaten früher in den Zweiten Weltkrieg eingetreten, hätte dieser großartige, dreifach oscargekrönte Film wohl niemals das Licht der Welt erblickt, woran sich zeigt, welchen Stellenwert das Timing im Filmgeschäft einnimmt. Ich möchte nicht in Abrede stellen, dass die Inszenierung gelegentlich am Rande des Kitsches, der nicht jedermanns Sache sein dürfte, entlangschlittert, doch insbesondere der Status als erster Farbfilm dieser Größenordnung und die empathische Darstellerriege relativieren dies mehr als eindeutig. Das Gemeinschaftsprojekt ist meines Erachtens das beste Beispiel für ein altersunabhängig unterhaltsames Musical, das jedes Mal aufs Neue mitreißt und einem ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Folglich muss „Der Zauberer Von OZ“, dem im letzten Jahr bei der Oscarverleihung ein würdiger Tribut gezollt wurde, nicht nur als ein wegweisendes Urgestein des Fantasy-Genres angesehen werden, sondern auch als einer der mit Abstand besten Musikfilme, von dessen Enthusiasmus und Charme die Genrevertreter des 21. Jahrhunderts nur noch träumen können und das der Zuschauerhaft vor Augen führt, dass es zu Hause tatsächlich am schönsten ist.

USA 1939 - 100 Minuten Regie: Victor Fleming & King Vidor Genre: Musical / Märchen / Abenteuer Darsteller: Judy Garland, Frank Morgan, Margaret Hamilton, Ray Bolger, Bert Lahr, Jack Haley, Billie Burke, Charles Grapewin, Clara Blandick, Charles Becker
USA 1939 – 100 Minuten
Regie: Victor Fleming & King Vidor
Genre: Musical / Märchen / Abenteuer
Darsteller: Judy Garland, Frank Morgan, Margaret Hamilton, Ray Bolger, Bert Lahr, Jack Haley, Billie Burke, Charles Grapewin, Clara Blandick, Charles Becker

Endstation Sehnsucht (OT: A Streetcar Named Desire)

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Es gibt einige filmische Meisterleistungen, die eine mehrfache Sichtung geradezu herausfordern, um deren Quintessenz und gestalterische Genialität in Gänze herausfiltern zu können – und auf der anderen Seite auch solche, bei denen bereits die erste Vorstellung offenbart, dass man soeben etwas ganz Großes, vielleicht sogar Makelloses erleben durfte. „Endstation Sehnsucht“ zählt aus meiner Sicht interessanter Weise gleich zu allen beiden Typen, denn diese Dramenadaption hinterlässt sofort einen bleibenden Eindruck, während man aber auch nach Jahren immer wieder neue Allegorien entdeckt, die einem zuvor verborgen geblieben sind. Obschon das literarische Vermächtnis des Pulitzerpreisträgers und als Drehbuchautor fungierenden Tennessee Williams weitere erstklassige Stücke wie „Die Katze Auf Dem Heißen Blechdach“ und „Plötzlich Im Letzten Sommer“ enthält, muss ich „Endstation Sehnsucht“ als gelungenste von allen bezeichnen, dessen Exzellenz durch den griechischstämmigen Elia Kazan einem noch breiteren Publikum zugänglich gemacht worden ist. Wie unvergänglich diese hochpsychologisch aufgeladene Tragödie von 1951 erscheint, zeigt sich unter anderem daran, dass Woody Allens kürzlich erschienenes, hochgelobtes Werk „Blue Jasmine“ unverkennbar an die basale Handlung angelehnt worden ist, doch im direkten Vergleich stellt das Original zweifelsohne die stärkere, innovativere Version dar.

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Zwar beschränkt sich sowohl das Theaterstück als auch die Verfilmung zielgerichtet auf nur wenige Personen, doch es ist unverkennbar, dass die Zielsetzung von Williams und Kazan primär darin bestand, eine sinnbildliche Sozialstudie über den Abstieg der Aristokratie als Spätfolge des Untergangs des Konföderierten Staatenbündnisses zu kreieren. Die im Zentrum stehende, adlige Blanche DuBois verliert in der Tat alles, was sie hat und schätzt, weswegen sie gezwungen ist, zu ihrer in bescheidenen Verhältnissen lebenden Schwester zu ziehen, die zu allem Überfluss ein Kind von einem „gewöhnlichen“ Immigrantennachkommen erwartet. Infolgedessen kommen sowohl einwanderungsbedingte Klassenkonflikte zur Sprache, aber auch – gemessen an der Zeit der frühen 1950er – äußerst anrüchige, unkonventionelle Lebenssujets zur Sprache wie die sexuell motivierte Hörigkeit und Promiskuität, eheliche Gewaltausübung auf verbaler und nonverbaler Ebene sowie ein sich bis zum kompletten Realitätsverlust steigerndes seelisches Krankheitsbild, das einen deswegen besonders hart trifft, weil die Protagonistin nicht imstande ist, sich aus ihrer sehnsüchtigen, mädchenhaften Scheinwelt zu befreien. Obwohl viele, als zu provokant empfundene Szenen der Schere zum Opfer fielen, hat Kazan es dennoch uneingeschränkt geschafft, eine von düsterer Atmosphäre gekennzeichnete Studie zu schaffen, in der etliche Dialoge bewusst Raum für Interpretationen zu lassen. Essentielle Sätze wie „Ich will nicht die Wahrheit, ich will Fantasie!“ und „Ich habe mich immer auf die Güte von Fremden verlassen.“ erschüttern einen als Zuschauer im Kern und offerieren, wie brillant das messerscharfe Drehbuch und die substantiellen Figurenzeichnungen ausgeformt worden sind. Neben der linguistisch-psychologischen Raffinesse werden die gesellschaftlichen Charakteristika des Südstaaten Louisiana vor allem mithilfe der erstklassigen Jazzklänge von Alex North verdeutlicht, welche als absolutes Novum in Filmen dieser Zeit angesehen werden müssen. Ferner zeichnet sich die konsequente Inszenierung durch das bewusst schlicht gehaltene Szenenbild und die fortwährend nachfühlbare, beinahe schwüle Verdichtungsart aus. All diese Elemente sind besonders effektorientiert, somit nicht nur bloßer Selbstzweck zur Generierung einer kammerspielartigen Stimmung, was auch die auffallend emotionsfokussierte Kameraführung einbezieht, die teilweise an das Horrorgenre erinnert. Die Wirkung bewegt sich aufgrund dessen in Form einer machtvollen, gleichwohl subtilen Mixtur stringent zwischen Bühnenwerk und Spielfilm, welcher in erster Linie von den Darstellerleistungen lebt. Vivien Leigh brauchte in ihrem unglücklicherweise viel zu kurzem Leben nicht mehr als zwei famose Filmrollen, um sich als eine der herausragendsten Darstellerinnen ihrer Generation zu profilieren und bis ins heutige Zeitalter im Gedächtnis von Cineasten zu bleiben, denn sowohl ihre Darstellung der Scarlet O’Hara als auch die der Blanche DuBois müssen als darstellerische Offenbarungen ohnegleichen angesehen werden. Ihrem fragilen, nervösen, um Wahrung der Fassade bemühten, jedoch unfassbar authentischen Agieren, das dazu beitrug, ihre psychischen, eigensinnigen Qualen sichtbar werden zu lassen, schaut man gebannt zu, obwohl ihre Figur freilich mehr als unsympathisch ist. Ebendieser darstellerischen Intensität konnte vermutlich einzig und allein der junge Marlon Brando in dieser Dimension standhalten. Seine Performance als grobschlächtiger Stanley Kowalski in ambivalenter Interaktion mit Leigh wirkt gerade dann umso beeindruckender, wenn man sich vor Augen führt, dass dies sein Leinwanddebüt gewesen ist, er ferner über keine schauspielerische Ausbildung verfügte und stattdessen einer der prägendsten Vertreter des „Method Acting“ war. Dass er für diese meisterhafte, teilweise angsteinflößende und tief empfundene Darstellung nicht ausgezeichnet wurde, bedaure ich bis heute, denn dadurch hätte der Film im Übrigen alle vier Darstellersparten für sich entscheiden können, was gerechtfertigt gewesen wäre, da das Ensemble eine unfassbar geniale Gemeinschaftsleistung entbietet. Kim Hunter und Karl Malden überzeugen durch ihre andersgeartete Präsenz nämlich in ihren jeweiligen Nebenrollen ebenfalls voll und ganz.

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Daraus resultierend ist „Endstation Sehnsucht“ nicht nur ein vorteffliches Schauspieldrama mit vielfältig deutbarem Titel über einen exemplarischen, menschlichen Niedergang, das innerhalb einer überaus starken Filmsaison (unglücklicherweise „nur“) vier Oscars gewann und in sämtlichen anderen Kategorien vertreten war, sondern vor allem auch der aus meiner Sicht beste und nachwirkendste Film aus der unmittelbaren Nachkriegsphase und darüber hinaus aus der nicht gerade unfruchtbaren Filmographie von Elia Kazan. Die nachfolgenden Adaptionen mit Ann-Margret und Jessica Lange in den Hauptrollen sind gut, aber können der ersten Fassung nicht annähernd das Wasser reichen! Trotz seiner Entstehung vor rund 65 Jahren muss der zielgerichtete Zweistünder noch immer als ganz großes Kino angesehen werden, der darin brilliert, bedeutsame und existentielle Fragen für jeden Gesellschaftstypen aufzuwerfen.

USA 1951 - 122 Minuten Regie: Elia Kazan Genre: Psychodrama / Kammerspiel Darsteller: Vivien Leigh, Marlon Brando, Kim Hunter, Karl Malden, Rudy Bond, Nick Dennis, Peg Hillias, Richard Garrick, Ann Dere
USA 1951 – 122 Minuten
Regie: Elia Kazan
Genre: Psychodrama / Kammerspiel
Darsteller: Vivien Leigh, Marlon Brando, Kim Hunter, Karl Malden, Rudy Bond, Nick Dennis, Peg Hillias, Richard Garrick, Ann Dere

Wer Hat Angst Vor Virginia Woolf? (OT: Who’s Afraid Of Virginia Woolf?)

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Der nächste Angehörige meiner individuellen Bestenliste, den ich vorstellen und möglicherweise ins Gedächtnis zurückrufen möchte, besitzt unbestreitbare Parallelen zu „Endstation Sehnsucht““, denn beide sind in Schwarzweiß gedrehte, gestaltungsbezogen reduzierte Kammerspiele und zeichnen sich in ähnlichem Maße durch tiefschürfende, zynische und von der Qualität der Darsteller lebende Einblicke in das Gefühlsleben der Protagonisten innerhalb ihres Mikrokosmos aus. „Wer Hat Angst Vor Virginia Woolf?“ ist eines der wenigen Werke, die mich ins Mark erschüttert haben und meine filmischen Präferenzen in mannigfacher Hinsicht beeinflusst haben, weswegen nichts anderes möglich ist, als die Vergabe der höchstmöglichen, punktuellen Bewertung. Es muss als schier unfassbar erachtet werden, dass Mike Nichols seinerzeit zum allerersten Mal auf dem Regiestuhl saß, der wiederum mit seinem Spätwerk „Hautnah“ erneut eindrucksvoll untermauerte, dass er eine Vorliebe für Schöpfungen hatte, die wahrlich alles sind, aber sicherlich keine leicht zu verdauende Kost. Bekanntermaßen bin ich vor allem für theaterbasierte Stoffe empfänglich, doch gegen den Film, der im kommenden Jahr sein 50. Veröffentlichungsjubiläum feiern wird, wirkt selbst der von mir geschätzte „Der Gott Des Gemetzels“ wie ein Kindergeburtstag.

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Der Terminus „Seelenstriptease“ ist prädestiniert für die Wirkung, welche die vorlagenorientierte Umsetzung von Edward Albees Drama erzielt, in dem es um das abendliche Aufeinandertreffen zweier Paare unterschiedlichen Alters und mit mannigfachen Neurosen geht, das in einem unberechenbaren Fiasko endet. Ausgehend von einer bewusst harmlos arrangierten Einführung steigert sich die Handlung rasch zu einem derb-schwarzhumorigen, von Demütigung und verbaler Provokation gekennzeichneten, nervenzehrenden Verwirrspiel, bei dem lediglich einer der Protagonisten die Fäden stringent in der Hand behält. Die geschilderte Partnerschaft von Martha und dem Historiker George erinnert augenscheinlich an die phasenweise an die Beschaffenheit der ähnlich turbulenten Ehe der beiden verkörpernden Akteure, was wohl der hauptsächliche Grund dafür war, dass „Wer Hat Angst Vor Virginia Woolf?“ innerhalb kürzester Zeit zum Kassenschlager avancierte. Eine besondere Leistung besteht neben den Dialogen, welche beweisen, dass Worte ähnlich wie Waffen eingesetzt werden können, in erster Linie darin, dass einem die gezeichneten Charaktere sowohl vertraut und realistisch als auch völlig fremd und überspitzt erscheinen. Zu beobachten, wie die Fetzen fliegen, stetig wechselnde Allianzen entstehen und vergehen sowie Salz in offene Wunden gestreut wird, könnte kaum schmerzhafter gestaltet werden können. Schlussendlich bilden Aspekte wie Überlegenheit und Rachsucht, viel stärker allerdings noch die Unfähigkeit zur gegenseitigen Ehrlichkeit innerhalb einer Partnerschaft und die fest verwurzelte Unzufriedenheit mit dem eigenen Selbst den zentralen Knackpunkt für alles, was sich daraus entspinnt. Das perfide, sich durch den Alkoholkonsum steigernde Treiben, dem Nick und Honey zum Opfer fallen, mündet letzten Endes konsequent und durchzogen von kurzen, ideal platzierten Phasen des Aufatmens in einem eleganten, auflösenden Finale epischen Ausmaßes. Aufgrund der Drastik der Dialoge und den sexuellen Anspielungen erhielt Nichols Erstlingswerk bei Veröffentlichung eine Altersgabe ab 18 Jahren sowie verhältnismäßige ambivalente Kritiken, was vielleicht auch dem Umstand geschuldet werden kann, dass das psychotische, für die moderne Gesellschaft relevante Drama seiner Zeit schlichtweg voraus gewesen ist. Entgegen der weit verbreiteten Meinung stellen Kammerspiele für das Kamerateam eine äußerst herausfordernde Angelegenheit dar, weil es die Eintönigkeit der schattenbehafteten Umgebung lebendig halten muss, was im konkreten Fall und durch das Zusammenspiel mit schnellen Schnitten ebenfalls bis zur Perfektion gelungen ist. Auch für diese, sogar für einen Grammy vorgeschlagene Filmmusik war Alex North verantwortlich, der mit reduzierten Klängen erneut eine elegische Atmosphäre schuf. Dem überragenden Ensemble muss es geschuldet werden, dass man auch bei der zehnten Sichtung nicht wagt, die Augen auch nur für einen Lidschlag vom Bildschirm abzuwenden. Das, was die vier Schauspieler in dieser klaustrophobischen Umgebung abgeliefert haben, kann tatsächlich nur als „Brett“ betitelt werden – wie viele meiner Kollegen häufig zu sagen pflegen, das seinesgleichen vergeblich sucht. Ich weiß nicht, woher insbesondere Elizabeth Taylor diese intensive und apodiktische Präsenz bezogen hat, doch ich bin jedes Mal wieder gleichermaßen überrascht, wie perfekt sie mit dieser ordinären, seelisch zutiefst ramponierten Rolle verschmolzen ist. (Interessanterweise stammen meine beiden liebsten weiblichen Performances aller Zeiten aus demselben Jahrfünft, denn nur zwei Saisons später gewann Hepburn ihren dritten Goldjungen für „Der Löwe Im Winter“). Doch auch ihr Ehemann zeigt hierin seine uneingeschränkte Karrierebestleistung, weil er sowohl sie manipulativen und sarkastischen Züge als auch die Frustration eher lebt als sie nur zu spielen. Ergreifend, exzessiv und schonungslos zugleich trieben sich Burton und Taylor gegenseitig zu Höchstleistungen an, doch auch George Segal und Sandy Dennis boten trotz ihrer deutlich passiver gezeichneten Rollen und angesichts ihrer bis dato überschaubaren Filmerfahrungen ebenfalls fantastische Darbietungen. Von Sandy Dennis in der Rolle des labilen Naivchens hätte ich mir infolge ihres verdienten Academy Awards auf jeden Fall Gelegenheiten zur Anknüpfung gewünscht, die jedoch ausblieben. Speziell die sich im Rasthaus abspielende Sequenz sehe ich auf darstellerischer Ebene als eine der besten, die jemals geschaffen wurde.

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Als der Schlusssatz, der die im Titel aufgeworfene Frage beantwortet, nach zwei Stunden fällt, möchte man als Zuschauer angesichts der gebotenen Schlachtfeldszenarien am liebsten entgegnen: „Ich auch!“ Das fehlerfreie, provokante Drama lässt einen einfach für lange Zeit nicht los und hat sich das Vermächtnis als eins der meistnominierten Werke in der Oscargeschichte redlich verdient, wobei ich in der Tat auch Burton und Segal die Preise zugesprochen hätte, da die Herren ihren weiblichen Partnerinnen in keinem Belang nachstehen. Wieso nicht ein einziger Golden-Globe gewonnen werden konnte, übersteigt dagegen mein Fassungsvermögen. „Wer Hat Angst Vor Virginia Woolf?“ ist sicherlich alles andere als ein Wohlfühlfilm, der vom Publikum geistige Reife und innere Stabilität abverlangt, doch er ist ein selten gesehener, überaus fokussierter Blick auf eine selbstzerstörerische Beziehung, die vielleicht näher an tatsächlich existente Lebensgemeinschaften angelehnt ist, als man zunächst vermuten würde. Das Genie Mike Nichols verließ uns vor nicht allzu langer Zeit, dennoch wird wohl primär dieses anspruchsvolle Gesamtkunstwerk seinen Tod um Jahrzehnte überdauern. Wer es bisher noch nicht kennen sollte, der sollte ebendies unbedingt schnellstmöglich nachholen!

USA 1966 - 131 Minuten Regie: Mike Nichols Genre: Psychodrama / Kammerspiel Darsteller: Elizabeth Taylor, Richard Burton, Sandy Dennis, George Segal
USA 1966 – 131 Minuten
Regie: Mike Nichols
Genre: Psychodrama / Kammerspiel
Darsteller: Elizabeth Taylor, Richard Burton, Sandy Dennis, George Segal

Das Schweigen Der Lämmer (OT: The Silence Of The Lambs)

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Beginnen wir die Analyse des vierten und jüngsten der präsentierten Meilensteine mit einer an sich belanglosen, persönlichen Anekdote: An bestimmten Feiertagen oder zu besonderen Gelegenheiten hat es sich in vielen Haushalten zur Tradition entwickelt, sich wiederholt ein- und denselben Filmklassiker – vorzugsweise Komödien oder Zeichentrickfilme – gemeinsam mit der Familie zu Gemüte zu führen, obwohl viele der Dialoge bereits in Gänze mitgesprochen werden können. Am besinnlichen Heiligabend bevorzugen meine Mutter und ich jedoch in den fortgeschrittenen Abendstunden, wenn unsere Partner bereits längst auf dem Sofa eingenickt sind, immer wieder aufs Neue ein gänzlich anderes Werk, welches als eine von lediglich drei Produktionen in den wichtigsten fünf Oscar-Kategorien als verdienter Sieger hervorging, eine gigantische Fangemeinde besitzt und nicht von ungefähr als bester Vertreter seiner Gattung gilt. Weil ich mir jedoch ebenfalls gewiss bin, dass sich wohl die Mehrzahl der Autorenrezensionen in Bezug auf das „Das Schweigen Der Lämmer“ auf ähnlichem Niveau bewegen, was die Bepunktung anbelangt, bewegen, bedarf es womöglich gar nicht allzu ausschweifender Erklärungen.

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Die Synthese des auf den Punkt gebrachten Drehbuchs und der erstklassigen Regieführung kann als nichts anderes als ein Geniestreich intelligenter und hochspannender Konstruktion angesehen werden – und das, obwohl man für die Sparte gewissermaßen unkonventionelle Wege geht, indem die Identität des in Serie mordenden Bösewichts recht schnell enttarnt wird. Dennoch hat man sich des zugrunde liegenden, erschreckender Weise an realen Kriminalfällen orientierten Weltbestsellers von Thomas Harris elegant angenommen und die komplexe, verstörende Handlung rund um besonders tiefe Abgründe und Traumata der humanen Psyche adäquat auf ein verfilmbares Niveau „heruntergebrochen“, wodurch nicht eine Minute Langeweile aufkommt. Mithilfe eines akkuraten Geflechts von horrorähnlichen Stilmitteln beweist „Das Schweigen Der Lämmer“, dass eine beklemmende Stimmung nicht unbedingt an evidenten Blutrausch gekoppelt sein muss. Schließlich kreierten die scharfe Dialogisierung, der Ton, die Art des Schnitts, der wechselhafte Kamerafokus und eine musikalische Auswahl voller krasser Gegensätze sowie Neukompositionen von Howard Shore eine unvergleichbare, weder davor noch danach erreichte Atmosphäre, welche die entscheidend von den Ausführungen des in Sicherheitsgewahrsam begindlichen Psychologen abhängende Jagd nach Buffalo Bill zu einer fesselnden Erfahrung erheben, die zwar einige schockierende Sequenzen enthält, ansonsten aber auffallend durch eine außergewöhnlich Intellektualität überzeugt. Als Zuschauer fühlt man sich bis zur an Grandiosität nicht überbietbaren Schlussszene fortwährend, als sei man direkt in das Geschehen involviert und die Vielzahl an brillanten, teils brutalen Zitaten rangiert nicht ohne Grund in mehreren Bestenlisten. In Gestalt der jungen Agentin Clarice Starling erhält das Publikum inmitten der psycholosch delikat gezeichneten Nebencharaktere darüber hinaus eine mehr als vielschichtige Identifikationsfigur. Insbesondere die Interaktion zwischen Anthony Hopkins und Jodie Foster, die schrittweise von der spitzfindigen Annäherung zum Psycho-Duell, das einem das Blut in den Adern gefrieren lässt, anschwellt, kann nicht anders in Worte gefasst werden als Schauspiel vom Aller-Aller-Feinsten. Wie der gebürtigen Waliser in einem Interview einmal selbst zu Protokoll gab, hört sich die Hannibal‘sche Stimme bezüglich ihres Tonfalls beinahe an wie „…eine Kombination von Truman Capote und Katharine Hepburn.“ Doch primär seine Eloquenz, in der herausfordernden Rolle aufzugehen, fesselt einen jedes Mal in ähnlichem Maße, sodass es sich meines Erachtens um die mit Abstand wertvollste und verstörendste Leistung eines männlichen Darstellers überhaupt handelt, unabhängig davon, dass man die Figur, die zwischen Genialität und diabolischem Wahnsinn pendelt, leider nur rund zwanzig Minuten zu Gesicht bekommt. Ironischerweise schafft der manipulativ agierende Kannibale es sogar, dass man in ihm eindeutig sympathischere Züge erkennt als beispielsweise in der Figur des Dr. Chilton. Ohne den mindesten Zweifel hat Foster ihre nicht weniger herausfordernde, preisgekrönte Performance mit Facettenreichtum und Glaubwürdigkeit bravourös gemeistert, während auch die beängstigend sarkastische und manische Brillanz der Leistung des viel zu wenig gewürdigten Ted Levine als grotesker Frauenmörder keinesfalls unterschlagen werden sollte, den die breite Masse zudem als Captain Stottlemeyer in „Monk“ kennen dürfte.

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Während „Das Schweigen Der Lämmer“ parallel zur Buchvorlage die Stellung eines subtilen, perfektionistischen und hochspannenden Thrillers einnimmt, sind die nachfolgenden Adaptionen rund um Hannibal Lecter unglücklicherweise allesamt krampfhaft auf selbstbezweckende Schockeffekte ausgelegt, was ihn von Demmes Werk signifikant unterscheidet. Aus meiner Sicht wären rückblickend auch mehr als sieben Nennungen von Seiten der Academy absolut gerechtfertigt gewesen, denn dieser Film muss letzten Endes als meisterhaftes und bis zum heutigen nicht annähernd erreichtes Glanzstück seines Genres angesehen werden und avancierte mit Recht bereits nach nicht einmal einem Vierteljahrhundert zu einem Kultfilm. Hut ab!

USA 1991 - 118 Minuten Regie: Jonathan Demme Genre: Psychothriller / Kriminalfilm / Drama Darsteller: Jodie Foster, Anthony Hopkins, Brooke Smith, Ted Levine, Kasi Lemmons, Scott Glenn, Anthony Heald, Diane Baker, Paul Lazar, Dan Butler, Charles Napier, Tracey Walter
USA 1991 – 118 Minuten
Regie: Jonathan Demme
Genre: Psychothriller / Kriminalfilm / Drama
Darsteller: Jodie Foster, Anthony Hopkins, Brooke Smith, Ted Levine, Kasi Lemmons, Scott Glenn, Anthony Heald, Diane Baker, Paul Lazar, Dan Butler, Charles Napier, Tracey Walter
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