Pawel Pawlikowskis hat als erster Regisseur den Oscar für den „Besten nicht englischsprachigen Film“, auch gerne als „Bester Auslandsfilm“ betitelt, dieses Jahr nach Polen gebracht. Angesichts der großen Konkurrenz mit „Winterschlaf“, „Leviathan“, „Timbuktu“, Wild Tales“, „Höhere Gewalt“, uva. dieses Jahr verwundert es derweilen schon, warum „Ida“ so gut beim Europäischen Filmpreis, BAFTA und wie gesagt zuletzt bei den Oscars abgeschnitten hat. Pawlokowski erzählt von zwei polnischen Frauen im Widerstreit zwischen Tradition und Moderne, die unterschiedlicher kaum sein könnten und mehr oder minder gezwungen sind, sich mit sich, ihrer Vergangenheit, Gegenwart und möglicher Zukunft auseinanderzusetzen. Erzählt wird in nüchternen, sorgfältig komponierten Schwarz-Weiß-Bildern, die den filmischen Inhalt und das Innenleben ihrer Figuren sehr gut sichtbar werden lassen und größtenteils von solcher Anmut sind, dass man sich die Kompositionen ausdrucken und an die Wand hängen möchte…
Jede der beiden Frauen kämpft mit einer Identitätskrise: Anna (wunderbar lakonisch: Agata Trzebuchowska) als jüdische Nonne, Wanda (grandios: Agata Kulesza) als gesellschaftliches Relikt in einer neuen Zeitrechnung, die froh wäre, könnte sie ihre Vergangenheit einfach vergessen bzw. in Alkohol und wechselnde Männerbekanntschaften ertränken. Früher war sie als „Rote Wanda“ gefürchtet gewesen und galt als die härteste Strafrichterin bei den stalinistischen Schauprozessen. Ihre Mitschuld am Tod unschuldiger Menschen hat sie längst akzeptiert. Doch ihr leidenschaftlicher Antifaschismus hat auch persönliche Opfer gebracht. Annas Besuch zwingt sie, sich noch einmal mit diesem Verlust auseinanderzusetzen. Also begibt sich das ungleiche Gespann auf eine Reise in die polnische Provinz und ihre gemeinsame Vergangenheit, um den Ort zu finden, an dem die Leichen von Annas Eltern vergraben wurden. Der Vergangenheitsbewältigung findet also auf vielen Bedeutungsebenen statt.
In der stärksten Episode erleben wir Anna in ihrer Zerrissenheit zwischen der heimische Idylle des Klosters und ihrem Hunger auf das Leben außerhalb ihrer Mauern, der durch ein wunderbares Jazzstück eingeleitet wird.
Die großen Stärken von „Ida“ liegen in seiner stillen, aber herausragend nuancierten und emphatischen Figurenzeichnung, die von zwei hervorragenden Darstellerinnen getragen werden, die nicht ohne Grund zahlreiche Darstellerpreis gewonnen haben, wovon Agata Kulesza mit ihrer eher extrovertierten Wanda besonders im Gedächtnis bleibt und eine Oscarnominierung verdient gehabt hätte und in der kurzen Laufzeit von 77 Minuten plus 5 Minuten Abspann, welche sich ohne großen Schnickschnack gänzlich ihren beiden Protagonisten widmet und sich nicht wie viele andere Werke thematisch überfrachtet. Ein wirklich wunderbarer Film, der eine zeitliche Gültigkeit besitzt.
Oscar:
- Bester fremdsprachiger Film (Polen)
Oscarnominierung:
- Beste Kamera (Lukasz Zal & Ryaszard Lenczewski)
BAFTA:
- Bester fremdprachiger Film (Polen)
BAFTA-Nominierung:
- Beste Kamera (Lukasz Zal & Ryaszard Lenczewski)
Golden Globe-Nominierung:
- Bester fremdsprachiger Film (Polen)
Europäischer Filmpreis:
- Bester Film
- Beste Regie (Pawel Pawlikowski)
- Bestes Drehbuch (Pawel Pawlikowski & Rebecca Lenkiewicz)
- Beste Kamera (Lukasz Zal & Ryaszard Lenczewski)
Europäischer Filmpreis-Nominierungen:
- Beste Darsteller (Agata Trzebuchowska)
- Beste Darstellerin (Agata Kulesza)
uvm.
Insgesamt 63 internationale Filmpreise plus 49 weitere Nominierungen!