Moonlight

Seit vergangener Woche lief mit „Moonlight“ nun auch der letzte aller neun diesjährig in der Königskategorie der Academy bedachten Werke in den deutschsprachigen Lichtspielhäusern an, der wohl allerspätestens seit der denkwürdigen Oscarnacht mit hoher Erwartungshaltung erwartet wurde. In seinem erst zweiten Spielfilm offeriert Barry Jenkins die dreiteilige Chronologie eines gleichgeschlechtlich liebenden, jungen Afroamerikaners, welche nicht nur Höchstwertungen auf gleich mehreren, namhaften Filmseiten einfuhr und trotz eines verschwindend geringen Budgets von gerade einmal 2 Millionen US-$ drei Oscarstatuetten gewann, sondern überdies auch vollkommen unfreiwillig in einem größten Fauxpas in der 89-jährigen Verleihungsgeschichte verwickelt wurde. Dessen ungeachtet stellt die partiell autobiographische, mit bemerkenswerter Geduld erzählte und eben nicht von sensationellen Ereignissen lebende Verfilmung in erster Linie ein essentielles, zugleich unaufdringliches Plädoyer für Humanität und die eigene Identitätsfindung unter schwierigen Umständen dar, das Parallelen zu anderen Werken der letzten Jahre freilegt und genau dann berühren kann, wenn man bereit ist, dies zuzulassen.

Innerhalb eines von Drogenkonsum, Mobbing und physischer Gewalt dominierten Vorortes von Miami wird der offene Zuschauer weniger zum Zeugen einer verallgemeinernden Milieuskizze als einer gänzlich auf den Protagonisten Chiron zugeschnittenen Personenstudie, die größtenteils auf eine musikalische Untermalung verzichtet. In Form eines klassischen Triptychons erzählt, entfaltet „Moonlight“ einen geradezu ausladenden Hang zum Symbolismus der griechischen Mythologie, der dem breiten Publikum freilich nicht einmal auffallen dürfte und verbindet dies mit einer einfachen, nichtdestotrotz tiefschürfenden Geschichte, welche ein individuelles Coming-Out genau als das charakterisiert, was es im Grunde genommen ist, und zwar eine schrittweise, kraftraubende und vor allem langwierige Selbstfindungsphase. In ebendiesem Kontext bildet das zweite Kapitel aus meiner Sicht den uneingeschränkten Höhepunkt des Dramas und bildet sowohl bezüglich der harschen Dialoge und authentischen Darstellungen als auch der evozierten Emotionen eine geradezu perfekte, bittersüße und in angenehmer Weise voyeuristische Einheit, die der redundante Schlussakt unglücklicherweise nicht aufrecht zu halten imstande ist. Andererseits begründet sich die durchgängig vorhandene, gestalterische Kunstfertigkeit neben einer gekonnten Schnittarbeit und dem steten Wechsel von Licht und Schatten vor allem anhand der ungewöhnlichen, jedoch überaus effektvollen Kameraführung, denn schwankende und schemenhafte Aufnahmen wurden bewusst als Stilmittel eingesetzt, um Rückschlüsse auf das jeweilige Seelenleben der Beteiligten zu forcieren. Wenngleich man sich mit dem zur Adoleszenz heranreifenden Jungen nicht uneingeschränkt identifizieren kann, wurde Chiron von drei gleichermaßen talentierten, extrem feinfühlig agierenden Jungdarstellern verkörpert. Bezüglich des Oscargewinns von Mahershala Ali muss man im Gegenzug leider konstatieren, dass die Diversitätsdebatte des letzten Kalenderjahres augenscheinliche Früchte getragen hat, denn seine schauspielerische Leistung mutet ausgenommen von zwei im Gedächtnis bleibenden Sequenzen als solide, aber keinesfalls als nominierungs-, geschweige denn oscarwürdig an. Ich bleibe daher dabei, dass der Preis für den „Besten Nebendarsteller“ daher niemand anderem als Michael Shannon zugestanden hätte. Im genauen Gegensatz zu Ali vermag Naomie Harris nicht nur aufgrund ihrer ethnischen Herkunft zu überzeugen, sondern in der Rolle der gebrochenen, emotional verwahrlosten Mutter einzig und allein mithilfe einer überragenden, inbrünstigen und im Mittelteil geradezu atemverschlagenden Performance, die in vielen Belangen ihresgleichen sucht.

In Summe betrachtet, lässt sich „Moonlight“ insbesondere in dynamischen Zeiten wie den unsrigen als erzählenswertes, anspruchsvolles und souverän inszeniertes Drama über einen jungen Mann, der gleich zwei in sozialer Hinsicht häufig an den Rand gedrängten Gruppen angehört, identifizieren, dem jedoch ein geringeres Maß an Leerlauf eindeutig zum Vorteil gereicht hätte. Als besten Film des Jahres oder gar als zeitloses Meisterwerk erachte ich die Theateradaption aufgrund der angesprochenen Mankos zwar nicht, nichtsdestotrotz ist sie in der Lage, ein gewinnbringendes Gedankenmosaik zu befördern und beweist darüber hinaus, dass speziell die sogenannten „kleinen, subtilen Filme“ wertvolle Beiträge zu einer offeneren Gesellschaft leisten können.

USA 2016 – 111 Minuten
Regie: Barry Jenkins
Genre: Drama
Darsteller: Ashton Sanders, Alex R. Hibbert, Trevante Rhodes, Mahershala Ali, Naomie Harris, Shariff Earp, Duan Sanderson, Janelle Monáe, Jaden Piner, Jharrel Jerome, André Holland
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