Little Women

© Sony Pictures

Die in die Wirren des Sezessionskrieges eingebettete Geschichte der Familie March dürfte wohl lediglich jenen Menschen gänzlich unbekannt sein, die hinter dem Mond leben. Ganze sechs Mal wurde der mittlerweile zum Kanon der Weltliteratur gehörende Jugendroman von Louisa May Alcott bereits für Leinwand und Fernsehen adaptiert. 150 Jahre nach Erstveröffentlichung der Vorlage traute sich erneut eine Regisseurin an die Inszenierung der Saga. Ähnlich wie „Betty und ihre Schwestern“ von 1994 setzt auch Gerwigs Variante von „Little Women“ auf ein hochkarätiges Schauspielensemble und das visuelle Wiederaufleben des 19. Jahrhunderts, rechtfertigt die Neuauflage aber darüber hinaus durch einen abweichenden, narrativen Fokus. Entgegen aller Erwartungen ist die Erzählung der grundverschiedenen Schwestern Josephine, Margaret, Elizabeth und Amy noch immer wert, einem breiten Publikum zugänglich gemacht zu werden – dank eines enormen Maßes an Gegenwartsrelevanz sogar mehr denn je.

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In Form ihrer zweiten Tätigkeit auf dem Regiestuhl hält sich Greta Gerwig insgesamt eng an die Romanvorlage, deutet aber entscheidende Elemente gewinnbringend um und legt das Hauptaugenmerk auf den zweiten Part des Buches. „Wenn die Hauptperson eine Frau ist, sollte sie am Ende verheiratet sein – oder tot. Eins von beidem.“ Dieses Zitat, das im 21. Jahrhundert geradezu haarsträubend anmutet, den gesellschaftlichen Zeitgeist jedoch ironisch-treffend einfängt, bildet sowohl den Auftakt als auch den steten Zufluchtspunkt der Darbietung. Was folgt, ist ein stilsicheres, leichtfüßiges und auf zwei Zeitebenen im Abstand von sieben Jahren arrangiertes Porträt, dessen Stränge sich durch eine elegante Verflechtung auszeichnen. Gerwig beweist immenses Gespür für die Epoche und bewegt den Zuschauer, indem sie die Sehnsucht nach den kleinen Dingen des Lebens illustriert und den Fokus auf liebenswerte Menschen legt, die wenig besitzen, aber dennoch viel zu geben bereit sind. „Little Women“ beleuchtet außerdem die Beziehung von Geschwistern in all ihren Facetten, die von bedingungsloser Verbundenheit und Aufopferung reicht, aber auch Selbstverwirklichungstendenzen und unvermeidbare Rivalität nicht unerwähnt lässt. Während das Kostüm- und Haardesign jeweils zu den stärksten Arbeiten des Jahres zählen, darf Alexandre Desplat seinen Ruf als einer der besten Komponisten unserer Tage zementieren und liefert die perfekte Untermalung voller Wehmut und sinfonischer Raffinesse. Dass die Lauflänge im Mittelteil ein wenig zu lang ist, lässt vor allem lebensnahe und erfrischende, mitunter freche Dialogisierung sowie die energetische Darstellerriege, bestehend aus sechs oscarnominierten Personen, verzeihen. Die im Zentrum stehende Saoirse Ronan überzeugt als burschikose Jo, die zuvor bereits Katharine Hepburn und Winona Ryder verkörperten, macht sie aber dennoch vollständig zu ihrer eigenen Figur, an deren Seite man bleiben möchte. Ein weiteres Highlight bildet Emma Watson als älteste March-Tochter, der es gelingt, die Rolle der Hermine Granger endlich abzustreifen, während Chalamet sich als einziger Mann des Hauptcasts mit einer sehenswerten Performance behaupten kann. Hinzu gesellen sich sehenswerte, unterhaltsame Auftritte der Newcomerinnen Florence Pugh und Eliza Scanlen sowie von Meryl Streep, die nach längerer Abstinenz wieder mal ein Ausrufezeichen setzen kann. Lediglich Laura Dern hätte phasenweise einen Gang zurückschalten sollen.

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Losgelöst von gewissen Vorbehalten ist in Gestalt von „Little Women“ ein stimmiger Film aus eigenem Recht entstanden, der die Versionen von 1949 und 1994 deutlich übertrifft und emotional auch dann involviert, wenn man die literarische Basis genauestens kennt. Trotz des gelegentlich allzu modernen Couleurs begeht Gerwig nicht den Fehler, die genderspezifischen Charakteristika der Ära völlig über den Haufen zu werfen und regt stattdessen mit Zurückhaltung und Charme zum Nachdenken an. Dadurch hebt sich das für sechs Oscartrophäen vorgeschlagene Werk in angenehmer Weise von den lautstärkeren Anwärtern als „Bester Film“ ab und kann hierzulande seit dieser Woche im Kino des Vertrauens in Augenschein genommen werden.

USA 2019 – 135 Minuten
Regie: Greta Gerwig
Genre: Historiendrama / Familiensaga / Literaturverfilmung
Darsteller: Saoirse Ronan, Emma Watson, Florence Pugh, Eliza Scanlen, Timothée Chalamet, Laura Dern, Meryl Streep, Bob Odenkirk, James Norton, Tracy Letts, Louis Garrel, Chris Cooper
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