Tenet

© Warner Bros. Pictures

Quälend lange sechs Monate sind aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie seit meinem letzten Kinobesuch vergangen und so war die Empfänglichkeit für einen Spätsommer-Blockbuster, der obendrein schon seit Längerem als Oscarkandidat gehandelt wird, besonders groß. Regisseur Christopher Nolan blickt vor allem seit der „The Dark Knight“ – Verfilmungen auf eine enthusiastische Fangemeinde, lieferte jedoch vor allem mit „Interstellar“ und „Inception“ zwei vielbeachtete Mammutprojekte, an denen sich (nicht nur auf subjektiver Ebene) jeweils die Geister schieden. Der Name seines neuesten Werks „Tenet“, ein vielseitig deutbares Anagramm, verrät zunächst einmal nichts über die eigentliche Handlung, und darin liegt vermutlich der große Reiz des Spektakels, das Kosten in Höhe von einer Viertelmilliarde US-Dollar verschlang. Die Parabel über das Verhältnis von Ursache und Wirkung verlangt jedoch ein weiteres Mal viel vom Betrachter ab und man so verlassen wohl einige mit dem Eindruck, dass weniger sporadisch mehr gewesen wäre.

© Warner Bros. Pictures

Selten zuvor hätte es sich jedoch so sehr gerächt, den Kinosaal zu spät zu betreten, denn Nolan verliert keine Zeit und zündet das erste, actionreiche und kaltschnäuzige Feuerwerk bereits nach zwei Minuten. Das darauffolgende, komplexe Handlungsgefüge, in dessen Zentrum die Verhinderung eines Dritten, noch dazu ausrottenden Weltkrieges steht, vielfach logischen Denkmustern, dennoch erlangt das Gebotene vor allem dann einen mitreißenden Sog, wenn man bereit ist, nicht zu rational zu denken und sich an den eingangs geäußerten Leitsatz „Versuchen Sie nicht, es zu verstehen, sondern fühlen Sie es.“ zu halten. Ebendies gelingt phasenweise auch ausgesprochen gut und sogar überaus spannend, bis die Macher es übertrieben und dem Effektgetümmel auf Kosten des Inhalts einen zu hohen Stellenwert zugestanden. Aus diesem Grund bleibt der Involvierungscharakter im Hinblick auf die Hauptfiguren gerade in der Mitte auf der Strecke und auch eine zart angedeutete Romanze wirkt reichlich deplatziert. Nolans eingespieltem Team ist jedoch schwerlich ein Vorwurf zu machen, denn sowohl Musik, Schnitt als auch Kamera gehen selbst über Genremaßstäbe hinaus, greifen perfekt ineinander und veredeln die eleganten Schauplätze in Indien und Estland sowie an der malerischen Amalfi-Küste, doch ganz besonders die perfekte Gestaltung der Toneffekte bleibt im Gedächtnis. Klirrende Scheiben, dröhnende Triebwerke, brechende Wellen und harte Fausthiebe sind seit Langem nicht mehr so berauschend und authentisch vertont worden und so müsste es mit dem Teufel zugehen, wenn keine Berücksichtigung von Seiten der Academy im Rahmen der 93. Oscarverleihung erfolgen sollte. Auch die Besetzung ist gleichermaßen imposant als auch namhaft, denn es gelang, fünf Beteiligte zu gewinnen, die bereits mindestens eine Golden-Globe-Nominierung erhielten. Während John David Washington als namenloser Protagonist Angemessenes offeriert, liefert der als Co-Lead agierende Robert Pattinson es allerdings einmal mehr an schauspielerischer Entwicklung vermissen. Letztlich sind es vor allem die Nebendarsteller, die dem Film einen Hauch von Klasse verleihen. Neben Aaron Tylor Johnson und Sir Michael Caine entbietet insbesondere Kenneth Branagh eine großartige, vielfach widerwärtige Performance, die ihn obendrein als Bösewicht in einem kommenden Bond-Film empfehlen dürfte.

© Warner Bros. Pictures

Trotz handwerklicher Perfektion, Drehorten in insgesamt sieben Staaten und einer kolossalen Bildgewalt dürfte auch Nolans elfte Tätigkeit auf dem Regiestuhl polarisieren und kommt aus meiner Sicht jedoch nicht über solide Kinounterhaltung mit selbstherrlichen Tendenzen hinaus. Wenngleich man sich erzählenswerter, anti-simultaner Ansätze bediente, ist das nicht ohne Fragezeichen auskommende Epos im direkten Vergleich weit von der Brillanz des allumfassend dichten Vorgängers „Inception“ entfernt. Seit heute dürfen sich Actionhungrige jedoch gerne selbst ein Bild von „Tenet“ machen.

USA / UK 2020 – 150 Minuten
Regie: Christopher Nolan
Genre: Action / Science-Fiction / Thriller
Darsteller: John David Washington, Robert Pattinson, Elizabeth Debicki, Kenneth Branagh, Dimple Kapadia, Aaron Taylor-Johnson, Clémence Poésy, Sir Michael Caine, Himesh Patel, Denzil Smith
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