Passend zur fünften Ausgabe der Reihe sind es diesmal genauso viele Filme, die in aller Kürze im Fokus stehen werden und sich anhand der Charaktere unmittelbar mit dem Thema „Transgender“ auseinandersetzen und diesbezüglich stark voneinander abweichende Perspektiven und Qualitätsansprüche wählen. Jahrzehntelang war das Thema Trans- und Intersexualität ein feuerrotes Tuch für Drehbuchautoren, Regisseure und Schauspieler/innen wie auch die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, in der Betroffene oft gezwungen waren, sich im Geheimen auszuleben oder als „Hermaphroditen“, „schizophren“ oder „abartig“ verunglimpft wurden. 2018 wurde in Form von „divers“ schließlich auch hierzulande die rechtliche Gleichstellung eines „dritten“ Geschlechts vorangetrieben und insbesondere im letzten Jahrzehnt gab es enorme Fortschritte, um Menschen, die sich von Kindheitsbeinen im „falschen Körper“ fühlen, ein selbstbestimmtes und glückliches Leben zu ermöglichen. Nichtsdestotrotz beschleicht einen der Eindruck, dass das Sujet medial immer dann gesteigerte Beachtung, wenn prominente Persönlichkeiten wie Dana International, Balian Buschbaum, Chaz Bono oder Lorielle London sich zu ihrer eigenen Transsexualität bekennen oder aber diverse Reality-Formate ironisch, oft aber auch befremdlich verfälschend damit umgehen, die der angestrebten, sozialen Akzeptanz allzu oft im Weg stehen. Genau diese Zielsetzung sollte allerdings aus meiner Sicht der Motor eines Spielfilms mit dieser Thematik sein und wie so oft gelingt dies manchen Leinwandwerken besser als anderen, doch immerhin kann man diesmal in drei von fünf Fällen eine klare Empfehlung aussprechen.
The Danish Girl
Viele dürften es kaum für möglich halten, dass die erste geschlechtsangleichende Operation bereits vor exakt 90 Jahren unter der Aufsicht eines Dresdener Frauenarztes vonstattenging, bis die diesbezügliche Forschung 1933 ideologiebedingt abrupt zum Erliegen kam. Dem romanbasierten und auf wenige Jahre beschränkten Lebensbericht des dänischen Landschaftsmalers Einar Wegener, der schrittweise zu Lili Elbe transformierte, sowie seiner Frau Gerda widmete sich Oscargewinner Tom Hooper vor fünf Jahren in Gestalt von „The Danish Girl“ mit Dichte, Atmosphäre und einem hohen Maß an Einfühlungsvermögen und schuf eine Parabel, die nicht nur Mitgliedern der LGBT-Community zutiefst zu Herzen gehen dürfte. Sicherlich mag den tatsächlichen Lebensstationen der beiden Protagonisten selektiv und mit gewissen künstlerischen Freiheiten begegnet worden sein, dennoch ist das Gebotene stets plausibel und gekennzeichnet von starken Dialogen, die wichtige und obendrein zeitlose Diskurse entfalten.
In der Rolle des Betrachters wird man daher zum Zeugen eines kräftezehrenden Kampfes gegen / für die eigene Identität und der Liebe zweier besonderer Menschen. Leicht hätte die Darstellung von Eddie Redmayne als „Geschlechtswandler“ zur Karikatur geraten können, was jedoch nicht der Fall ist, da dieser eine vortreffliche Leistung liefert und in beiden Geschlechtern brillante Momente zeigt zum Dreh- und Angelpunkt des Dramas wird. Unabhängig davon, ob Alicia Vikander nun eher als Haupt- oder Nebendarstellerin zu klassifizieren ist, besteht kein Zweifel, dass ihr Oscargewinn hochverdient gewesen ist, da es ihr konsequent gelingt es, zu fesseln und den Schmerz darüber, dass der eigene Ehemann sich plötzlich in eine andere Person verwandelt, mit enormer Präsenz und Authentizität zu visualisieren. Garniert wird das Ganze mit träumerischen, vielfach symbolistischen Aufnahmen inmitten von Originalschauplätzen in Kopenhagen, Paris und Dresden, die jeweils wie lebendig anmutende Gemälde erscheinen sowie einem der stärksten Soundtracks von Alexandre Desplat. „The Danish Girl“ wurde seinerzeit für vier Oscars vorgeschlagen und bildet eine ergreifende, akzeptanzwerbende Allegorie mit brillanter Schlussphase, die lange nachwirkt und zwei Pionieren die gebührende Anerkennung zollt.
Boys Don’t Cry
Erst drei Mal kam es bis dato dazu, dass Schauspieler den Oscar tatsächlich gewinnen konnten, die das jeweils gegenüberliegende Geschlecht darstellten. Hilary Swank ist eine von ihnen und verkörperte vor mittlerweile 21 Jahren den als Teena Renae geborenen Brandon aus Nebraska, der sich zeitlebens im falschen Körper befindlich erachtete und seinen Nachnamen kurzerhand als Rufnamen wählte. Unter der Regie einer Frau entstand ein aufrüttelndes, phasenweise aufgrund der gezeigten Schonungslosigkeit stark an die Nieren gehendes Werk voller Düsterheit, das vor allem in den Vereinigten Staaten extrem polarisierte und bedauerlicherweise vorrangig für Darstellerpreise die notwendige Anerkennung fand. Selbst für Maßstäbe einer Independent-Produktion mit außergewöhnlich niedrigem Budget und innerhalb von lediglich vier Wochen gedreht, überzeugt das Gebotene sowohl als Charakterstudie als auch als Kriminalgeschichte auf authentischen Begebenheiten. Wenngleich die Wirkungsästhetik bisweilen einen Hauch zu düster ist und die Lauflänge nur gelegentlich hoffnungsspendende Momente bereithält, sorgt das Agieren der Hauptdarstellerin, die nicht nur optisch vollends als Mann durchgehen könnte sowie das von Chloë Sevigny auf ganzer Linie und lässt kleinere Mankos verzeihen. Erstgenannte lieferte in der tragischen Rolle des Brandon sogar mit Abstand ihre Karrierebestleistung. Mit interessantem, kernigen Score unterlegt und entscheidend von der Schnittarbeit lebend, stellt „Boys Don’t Cry“ wichtige, geschlechtsübergreifende Fragen und macht dem Publikum ferner erschreckend reaktionäre Lebensansichten innerhalb der Gesellschaft in den ländlich geprägten Great Plains zugänglich, denen wiederholt, jedoch nicht ausufernd mit Kritik begegnet wird. Was bleibt, ist ein überzeugender, für Schläge in die Magengrube sorgender und (gemessen an der Zeit) couragierter Film, der sich seine Aktualität nicht nur deswegen bewahren konnte, weil der eingebettete Kriminalfall aus juristischer Sicht auch nach 27 Jahren (!) nicht abgeschlossen ist.
Transamerica
Im selben Jahr wie „Brokeback Mountain“ erschien ein weiterer Independentfilm, der das Fünfzehnfache seines Budgets wieder einspielen konnte und sowohl melancholische als auch humorvolle Lesarten bedient. Ebenfalls auf einem Originaldrehbuch fußend, wird in „Transamerica“ die Geschichte der Endvierzigerin Bree, die als Mann geboren wurde, sich mitten im geschlechtsangleichenden OP-Marathon befindet und nach Jahren der Unkenntnis plötzlich auf ihren 17-jährigen Sohn Toby trifft, erzählt. Nicht nur aufgrund der Gelegenheitsjobs der Porträtierten wird deutlich, dass Transsexuellen noch immer ein hohes Maß an Gegenwind entgegenbläst, doch Regisseur Duncan Tucker geht in seiner bislang einzigen Kinoproduktion geschickt mit Vorurteilen, Generationenkonflikten und Klischees um und kreierte eine weitestgehend überzeugend, schwungvollere Tragikomödie, die phasenweise sogar extrem lustig ist, ohne die Beteiligten der Lächerlichkeit preiszugeben. Wenngleich einige Oberflächlichkeiten und redundante Abschnitte nicht von der Hand zu weisen sind, ist das Endergebnis ein überzeugendes – gerade für ein Erstlingswerk. Noch heute muss man sich fragen, wie es dazu kommen konnte, dass Felicity Huffman, die durch „Desperate Housewives“ global bekannt wurde, mit dieser gigantischen und zutiefst herausfordernden Performance bei der Wahl der „Besten Hauptdarstellerin“ ausgerechnet einer allenfalls soliden Reese Witherspoon unterliegen konnte, denn sie ist das außergewöhnliche Herzstück des Films und macht den Geschlechterspagat sowohl greifbar als auch zutiefst unterhaltsam. „Transamerica“ erhielt seinerzeit zwei Oscarnennungen und hebt sich in Summe in angenehmer Weise von dem viel zu oft gebotenen Klamauk im Hinblick auf transsexuelle Individuen ab.
Girl
Ein Werk, das den simplen Titel „Girl“ trägt, erhielt die seit 2010 vergebene „Queer Palm“ im Rahmen der Filmfestspiele von Cannes und wurde obendrein zum belgischen Oscarbeitrag auserkoren. Dass es dem Werk jedoch nicht gelang, als „Bester Fremdsprachiger Film“ nominiert zu werden, ist – subjektiv gesprochen – jedoch weniger dem oft angeprangerten Konservativismus der Academy-Mitglieder zu schulden, sondern eher dem unausgegorenen Gesamteindruck, den er trotz substantieller Ansätze hinterlässt. Das Drama zentriert das 15-jährige Transmädchen Lara, das den Traum einer Karriere als Ballerina hegt und sich inmitten ihrer Hormontherapie befindet. Der Darbietung von Tony Polster in seinem Schauspieldebüt ist kein Vorwurf zu machen, denn trotz der Andersartigkeit hegt man schnell Sympathie zu seiner Figur und folgt dem Werdegang mit Neugier. Leider spürt man ihm jedoch an, dass er gegen ein handlungs- und spannungsarmes Drehbuch förmlich ankämpft, denn der Film überzeugt zwar durchaus mithilfe von gelungenen Einzelsequenzen mit dokumentarischem Touch, versäumt es aber, diese als Einheit zusammenzufügen. Zwischen ebendiesen, von intimen Kameraperspektiven geprägten Szenen tritt bedauerlicherweise wiederholt absolute Leere ein, weswegen Laras von Ungeduld geprägte Transformation letztlich zwar informiert, aber nur in äußersten Ansätzen involviert. Ursächlich ist einerseits das Fehlen überzeugender Nebendarsteller, andererseits aber auch eine insgesamt zutiefst ausbaufähige Dialoggestaltung. Insbesondere der Schlussakt leidet unter dem Umstand, dass man als Observierender zwar geschockt ist über die aus Verzweiflung resultierenden Folgen, das Gefühl von Rührung jedoch ein wenig auf der Strecke bleibt. Letzen Endes ist „Girl“ zwar ein ambitionierter Versuch, einem breiten Publikum den beschwerlichen Pfad zur erträumten Vervollkommnung transsexueller Jugendlicher zugänglich zu machen, dennoch verlässt er das Gedächtnis verhältnismäßig schnell wieder. Schade.
Priscilla – Königin der Wüste
Ein erwartungsvoll stimmender Kritikenspiegel und ein Oscarsieg für das Kostümdesign führten kürzlich zu einer Inaugenscheinnahme eines bereits 26 Jahre alten Roadmovies rund um drei Travestiekünstler, das als Klassiker des Genres gilt und vollständig unter australischer Leitung produziert wurde. Doch leider musste man sich nach der Sichtung unweigerlich fragen, ob die Rezensenten tatsächlich denselben Film zu Gesicht bekommen haben wie ich selbst, denn „Priscilla – Königin der Wüste“ erwies sich als Werk, welches das Nervengerüst wiederholt auf eine harte Probe stellte statt zu unterhalten. Einerseits ist das Werk analog zu den Akteuren nicht besonders gut gealtert, andererseits bietet er selbst für Maßstäbe einer satirischen Musikkomödie nicht genug Tiefe und überhäuft die Handlung mit Klamauk statt um Toleranz und Verständnis zu werben. Das vorhandene Potential wird größtenteils auf Kosten szenetypischer Gags liegengelassen und ein Bild kreiert, dass heterosexuelle Männer wiederholt zu Vollidioten degradiert, weswegen auch nur jeder vierte Witz die Mundwinkel moderat nach oben bewegt. Des Weiteren gestaltet es sich als äußerst schwierig, dass die Macher kaum zwischen Transsexuellen, Drag Queens und Transvestiten unterschieden, sodass Laien mit großer Wahrscheinlichkeit in dem Vorurteil bestätigt werden, es handle sich um ein- und dieselbe klischeebehaftete Orientierung. Abgesehen von den Kostümen, denen man Detailverliebtheit sicherlich nicht absprechen kann und ein paar sehenswerten Aufnahmen aus Down Under bietet „Priscilla“ auch auf darstellerischer Ebene viel zu wenig. Lediglich Hugo Weaving, den man später in „Der Herr der Ringe“ erleben durfte, legt sporadisch Spielfreude an den Tag, während man Terence Stamp überdeutlich anmerkt, dass er für die Hauptrolle, die von Tony Curtis abgelehnt wurde, nur die zweite Wahl war. Insgesamt erscheint „Priscilla“ daher als schnell vergessbarer Abklatsch, der vergeblich versucht, auf den Pfaden von „Ein Käfig voller Narren“ zu wandeln, mit Singsang das inhaltliche Vakuum überspielt und im Hinblick auf den Kampf um Gleichberechtigung wiederkehrend einen bitteren, karikaturesken Beigeschmack hinterlässt.