Mit leichter Verspätung möchte ich noch ein paar Kurzkritiken zu den 5 Filmen nachreichen, die ich vor etwa fünf Wochen beim Festival des deutschen Films gesehen hatte. Leider war mir dies zuvor aus beruflichen, wie privaten Gründen zeitlich nicht möglich. Es handelt sich dabei um teils empfehlenswerte Kino-, aber auch zwei Fernsehfilme.
Über den Tag hinaus
Greta (Katja Studt) ist Ende 30, solo und arbeitet als Taxifahrerin in Frankfurt am Main. Sie hat gerade eine stressige Nachtschicht hinter sich und will eigentlich nur noch nach Hause ins Bett, als ihr die Zentrale einen wichtigen Termin aufs Auge drückt. Ein alter Stammkunde hat den ganzen Tag gebucht, und möchte heute noch eine lange Liste mit Dingen und Orten abarbeiten. Doch sein Stammfahrer ist verhindert und sonst sind auch schon alle Touren ausgeplant.
Widerwillig nimmt Greta den Job an und trifft auf den 83-jährigen Walter Singer, Psychologieprofessor im Ruhestand. Zu Beginn will sie ihn nur so lange fahren, bis ein anderer Kollege frei wird, doch nach kleineren Startschwierigkeiten kommen sie doch tiefer ins Gespräch und Greta verspricht alsbald Walter den gesamten Tag zu fahren. Dabei zoffen und vertragen sie sich immer wieder, doch am Ende entsteht ein Band zwischen ihnen, das noch lange über den Tag hinausreichen soll. …
Die wohl eher als Schauspielerin bekannte Edda Leesch hat mit ihrem Drehbuch eine leise, aber durchaus zum Sinnieren anregende kleine psychologische Studie vorgelegt, in der sich die beiden auf den ersten Blick grundverschiedenen Charaktere im Laufe des Tages einander öffnen und so bereits verdrängt geglaubte Erinnerungen und Schicksale wach werden, die sich letztlich gar nicht so unähnlich sind.
„Über den Tag hinaus“ ist ein sehenswertes Roadmovie, das mit locker-leichtem Humor durchsetzt und durchaus tiefgründig ist.
Ausstrahlungstermin ist Mittwoch, der 9. September 2015 um 20:15 im Ersten
D – 2015 – 1 Std. 30 Min.
Regie: Martin Enlen
mit Katja Studt, Horst Sachtleben, Christine Schorn & Dorothea Walda
Genre: Tragi-Komödie
Wer bin ich?
Auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: ich bin normalerweise kein großer Fan des „Tatort„. Die Münster-Reihe um Jan-Josef Liefers und Axel Prahl ist mir zu gewollt auf lustig getrimmt, zu den lächerlichen Hamburg-Folgen um Til Schweiger brauche ich wohl gar nichts erst zu sagen und die meisten anderen Ermittlerteams verfolge ich nicht einmal. Die einzig positiven Ausnahmen in diesem 08/15-Krimi-Einheitsbrei stellen für mich dabei die Folgen um den Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) aus Wiesbaden dar. Obwohl Tukur seinen Murot als fast schon biederen Kommissar klassischer Couleur anlegt, der jedoch eine gehörige Portion Witz und Charme der alten Schule besitzt, gehören die bisherigen Filme dennoch mit zu den skurrilsten und außergewöhnlichsten, die diese Reihe in seiner bisher 45-jährigen Geschichte hervorgebracht hat.
Nicht zu Unrecht hat dieser fünfte (und letzte?) Fall von Murot, wie bereits der geniale Vorgänger „Im Schmerz geboren“, zum zweiten Mal in Folge den Medienkulturpreis des Festival des deutschen Films erhalten!
Kam besagter „Im Schmerz geboren“ letztes Jahr als kongeniale Mischung aus Tarantino-Western und Shakespeare-Bühnenstück daher, kann man den fast noch abgefahreneren „Wer bin ich?“ am besten als eine Art Hommage an Werke von Federico Fellini und Charlie Kaufman beschreiben.
Dabei beginnt der Film ganz klassisch. Im Parkhaus eines Wiesbadener Casinos wurde eine Leiche gefunden. Murot und seine Partnerin Magda Wächter (Barbara Philipp) beginnen ihre Ermittlungen, entdecken dabei einen zweiten Toten im Kofferraum eines verdächtigen Wagens, doch dann, plötzlich: Cut!
Die Kamera durchbricht die vierte Wand, alle Darsteller fallen aus ihren Rollen und wir betrachten das Set eines Tatorts, an dem gerade eine Szene gedreht wird, in der eine Leiche in einem Parkhaus eines Wiesbadener Casinos gefunden wird; kurze Kaffeepause.
Die Produktion hatte am Abend zuvor gerade Bergfest gefeiert (also den erfolgreichen Abschluss der ersten Hälfte des Gesamt-Drehs), Ulrich Tukur (auch Ulrich Tukur) und seine Kollegen hatten dies ausgiebig im Casino am Drehort gefeiert und zwar so heftig, dass sich Tukur an nichts mehr erinnern kann.
Später in der Maske bekommt er Besuch von einem echten Ermittlerteam. Ein Aufnahmeleiter des Hessischen Rundfunks wurde ermordet. Dieser hatte bei der Feier im Casino eine beträchtliche Summe Geld gewonnen, von dem aber jede Spur fehlt. Und Tukur hat ihn als letzter lebend gesehen, da er nach durchzechter Nacht, nachweislich von einer Videokamera gefilmt, bei ihm mitgefahren war. Tukur gerät unter Mordverdacht. Zu allem Übel findet Tukur auch noch das vermisste Geld in seinem Wohnwagen, ohne sich erinnern zu können, wie es dorthin gelangt ist.
Bald sitzen ihm zudem Regisseur und Autor des dadurch produktionsgefährdeten Tatorts (Michael Rotschopf & Justus von Dohnányi, die nicht sich selbst spielen), sowie die Schauspiel-Kollegen Wolfgang Koch & Margarita Broich , das neue Tatort-Team aus Frankfurt, und Martin Wuttke, der den Killer in Murots neuem Fall spielen soll und den selbst große Geldsorgen umtreiben, im Nacken. …
Regisseur und Autor (also der echte) von „Wer bin ich?“ Bastian Günther trommelt hier ein Who is Who der Tatort-Szene zusammen. Neben den aktiven Tukur, Philipp, Koch und Broich, u.a Wuttke (ehemaliger Leipzig-Kommissar) und von Dohnányi (der bei Murots Fällen 2 („Das Dorf“) und 3 („Schwindelfrei“) als Regisseur verantwortlich zeichnete).
Günther setzt mit diesem erneut sehr ungewöhnlichen Tatort zudem ein echtes Ausrufezeichen. Natürlich ist die Grundidee des Films im Film und der drohenden Katastrophe beim Dreh desselbigen, an Fellinis „8 1/2“ angelehnt, was er aber daraus zaubert ist wirklich eine kleine Sensation. Mit viel Wortwitz und herrlich selbstironischen und uneitlen, im wortwörtlichen Sinne, Selbstdarstellungen der Schauspieler serviert er dem Zuschauer Figuren und Plots, die auch aus der Feder des bereits oben erwähnten Kaufman oder Spike Jonze stammen könnten. Hinzu kommt ein echter Knaller am Ende, der den Fortgang der Reihe um Murot bzw. Tukur in jeglicher Hinsicht offen lässt. Da verzeiht man auch gerne einen ganz leichten Durchhänger gegen Mitte des Films.
Ausstrahlungstermin ist Sonntag, der 27. Dezember 2015 um 20:15 im Ersten
D – 2015 – 1 Std. 30 Min.
Regie: Bastian Günther
mit Ulrich Tukur, Barbara Philipp, Martin Wuttke, Justus von Dohnányi, Michael Rotschopf, Yorck Dippe, Sascha Nathan, Wolfgang Koch & Margarita Broich
Genre: Krimi, Drama, Satire
Wir Monster
Die 14-jährige Sarah (genial: Janina Fautz) ist verzweifelt, ihre Eltern Paul (Mehdi Nebbou), ein alternder Musiker, der noch immer versucht ein Rockstar zu werden, und Christine (Ulrike C. Tscharre), der komplette Gegenentwurf zu Paul, leben schon seit einiger Zeit getrennt und haben beide neue Partner, die Sarah jedoch beide nicht ausstehen kann.
Als Paul Sarah und deren beste Freundin Charlie (Marie Bendig) gerade ins Ferienlager fahren will, geraten die Mädchen in einen Streit, worauf Charlie an einem Waldstück wutentbrannt das Auto verlässt. Sarah rennt ihr hinterher, während Paul am Auto wartet. Als jedoch einige Zeit verstrichen ist, macht sich Paul langsam Sorgen, sucht nach ihnen und findet Sarah völlig aufgelöst am Rande eines nahe gelegenen Stausees. Sie „beichtet“ ihrem Vater, dass sie Charlie aus Wut absichtlich hinuntergeschubst hat. Paul ist geschockt und fährt mit ihr zur nächsten Polizeistation um einen „Unfall“ zu melden, bringt es jedoch nicht übers Herz, da er um die emotionale Labilität seiner Tochter weiß und sie nicht noch mehr Belastungen aussetzen will. Paul weiht seine Ex-Frau ein und gemeinsam versuchen sie die Tat zu vertuschen, inkl. loswerden von Beweismaterial, wie Charlies Rucksack.
Was beide jedoch nicht ahnen, Charlie ist wohlauf. Sarah und Charlie hatten sich den „Mord“ nur ausgedacht um ihre Eltern aufzuwecken, ihnen zu zeigen, dass sie auch noch existieren! Auch Charlie fühlte sich nämlich durch ihren alleinerziehenden Vater (Ronald Kukulies), einen trockenen Alkoholiker, vernachlässigt und ist vorübergehend bei ihrem festen Freund untergetaucht.
Als die beiden den „Spaß“ aufdecken wollen ist es allerdings bereits zu spät. Denn mittlerweile hat Charlies Vater die Polizei eingeschaltet und sowohl sie, als auch Sarahs Eltern, haben sich bereits zu stark in Widersprüche verwickelt und Dinge unternommen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können. …
Regisseur und Co-Autor Sebastian Ko hat mit „Wir Monster“ einen unfassbar starken Thriller geschaffen, der noch lange nachhallt und einen sprachlos im Kinosaal zurücklässt. Denn, ohne großartig zu spoilern, das Ende ist, nachdem die Maschinerie durch den „Dumme-Mädchen-Streich“ in Gang gesetzt wurde, unausweichlich und man kann als Zuschauer eigentlich nur untätig zusehen, wie die Dynamik aus Lügen und panischen Entscheidungen dampfwalzengleich in einer Katastrophe biblischen Ausmaßes mündet.
Das Motiv der „Geister, die ich rief“ ist seit Goethe natürlich schon des Öfteren beschworen worden, doch selten so radikal und bitterböse wie hier. Zumindest für deutsche Verhältnisse dürfte es sogar einmalig sein.
Ob bzw. wann der Film die deutschen Kinoleinwände erklimmen wird, steht bisher noch nicht fest, zumindest konnte ich noch nichts darüber finden.
Ich hoffe allerdings in nicht allzu weiter Ferne. Für mich neben „Victoria“ DIE Überraschung des deutschen Films in diesem Jahr!
D – 2015 – 1 Std. 35 Min.
Regie: Sebastian Ko
mit Janina Fautz, Mehdi Nebbou, Ulrike C. Tscharre, Marie Bendig, Dominik Buch, Daniel Drewes, Marc Fischer, Britta Hammelstein, Ronald Kukulies & Kerstin Thielemann
Genre: Thriller, Drama
Worst Case Scenario
Der mehr von sich überzeugte denn begabte Regisseur Georg (Samuel Finzi) möchte während der Fußball-EM 2012 in Polen und der Ukraine eigentlich einen Kinofilm über das Großereignis drehen. Das Team ist bereits vor Ort als auf einmal der Geldhahn zugedreht wird, da man seitens der Produktionsfirma kalte Füße bekommen hat. Doch Georg gibt nicht so einfach auf, dann wird halt ein kleiner No-Budget-Film gedreht. Was die Dogma-Filmer um von Trier und Vinterberg können, das schafft er doch mit links. Zudem ist man auch schon mit dem gesamten Team vor Ort.
Doch auch die Mitglieder der Crew sind immer weniger von dem Projekt überzeugt, Kameramann und Tontechniker reisen vorzeitig ab und Hauptdarstellerin Meike (Laura Tonke) entpuppt sich als untalentiertes Püppchen. Und während Georg immer mehr improvisieren muss, eröffnet ihm Produktionsassistentin Olga (Eva Löbau), zugleich Georgs Ex, dass sie von ihm schwanger ist. …
„Worst Case Scenario“ ist mit seinen beiden Hauptdarstellern grandios besetzt und die Grundidee ist wirklich gut, allerdings setzt Regisseur und Autor Franz Müller das ganze leider zu steif und harmlos in Szene. Der Titel zeigt ja schon an, dass es sich hier um eine klassische Mediensatire handelt, doch für eine Abrechnung mit der Filmbranche geht er viel zu bieder um, das hätte alles noch viel galliger und böser sein müssen. Dabei ist es definitiv kein schlechter Film, allerdings kann er in einem Jahr, in dem er sich mit „Birdman“ messen muss, auch nur verlieren.
Finzi und Löbau merkt man aber den Spaß beim Dreh an und so ist „Worst Case Scenario“ zum einmaligen schauen durchaus in Ordnung.
Kinostart war bereits am 2. Juli, parallel zum Festival.
D – 2014 – 1 Std. 22 Min.
Regie: Franz Müller
mit Samuel Finzi, Eva Löbau, Laura Tonke, Jakub Ehrlich, Florian Mischa Böder & Justyna Bartoszewicz
Genre: Komödie
Zerrumpelt Herz
So künstlerisch der Titel klingt, so künstlerisch sieht der Film auch aus. Regisseur und Co-Autor Timm Kröger bringt mit seinem Abschlussfilm der renommierten Filmakademie Baden-Württemberg ein märchenhaft wirkendes, sehr lethargisch inszeniertes Drama mit leichten Mysteryelementen auf die Leinwand, das hauptsächlich von seiner exzellenten Bildsprache und der opulenten Musik von u.a. Gustav Mahler lebt, die hier auch opernhaft dröhnend fast durchgängig eingesetzt wird. Denn gesprochen wird recht wenig in diesem Erstling, und wenn doch wirkt es meist sehr verkopft und philosophierend. Wo wir auch bereits bei der Schwäche des Films wären. Denn Kunst bedeutet ja nicht zwangsläufig künstlerisch-wertvoll, und Krögers Film schlittert immer um diese Grenze herum.
Die Geschichte spielt im Jahre 1929 und handelt vom Musiklehrer Paul Leinert (Thorsten Wien), der sich gemeinsam mit seiner Frau Anna (Eva Maria Jost) und seinem Kollegen Willi Krück (Daniel Krauss) auf die Suche nach seinem Jugendfreund, dem Komponisten Otto Schiffmann (Christian Blümel) macht, der ihm einen rätselhaften Brief hinterlassen hat. Ottos Karriere liegt im argen und seine Ehe ist ebenfalls gescheitert, weshalb er die Ruhe in einem idyllischen Wald gesucht hat. Doch an Ottos Hütte angekommen ist er unauffindbar. Und so warten die Drei und machen immer wieder kleinere Suchaktionen, bis er eines Tages doch wie aus dem Nichts in der Türe steht. …
„Zerrumpelt Herz“ konnte seine Weltpremiere gleich im letzten Jahr bei den Filmfestspielen von Venedig feiern, was für einen Studentenfilm durchaus unüblich ist. Einen deutschen Kinostarttermin gibt es dennoch bis heute nicht.
Visuell und akustisch wie erwähnt eine Augenweide, doch trotz seiner geringen Laufzeit von gerade mal 81 Minuten kommt einem die Zeit recht lang vor, denn es passiert fast nichts. Regisseure wie Lars von Trier oder Terrence Malick arbeiten zwar oftmals mit ähnlichen Mitteln, doch verstehen es diese besser neben dem artifiziellen Geplänkel auch noch die Story im Gang zu halten. Dies fehlt mir hier leider ein wenig.
D – 2014 – 1 Std. 21 Min.
Regie: Timm Kröger
mit Thorsten Wien, Eva Maria Jost, Daniel Krauss, Christian Blümel & Andreas Conrad
Genre: Drama, Mystery