Wie hat es mich beglückt, als ich hörte, dass Leo Tolstois „Anna Karenina“, einer meiner absoluten Lieblingsromane aller Zeiten, erneut auf die Leinwand gebracht werden sollte. Und wie enttäuscht war ich, als feststand, dass ausgerechnet Keira Knightley, welche mich bisher noch nie wirklich überzeugen konnte, die Hauptrolle übernehmen würde. Schließlich tritt sie somit das schwere Erbe u.a. von Greta Garbo und Vivien Leigh an, welche die russische Adlige schon vor Ewigkeiten eindrucksvoll verkörperten und mit welchen sie nun unweigerlich verglichen wird. Diese Besetzung ließ meine gesamte Erwartungshaltung etwas sinken, was jedoch ebenfalls daran lag, dass ich einen blutleeren Abklatsch von Joe Wrights doch recht seelenloser Literaturverfilmung „Stolz & Vorurteil“ befürchtete.
Umso erfreulicher ist jedoch, dass man die Adaption in meinen Augen doch in seiner Gesamtheit als gelungen einschätzen kann. Die Handlung spielt im imperial geprägten Russland des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in deren Zentrum die junge, verheiratete Fürstenschwester Anna steht. Diese ist trotz ihres angenehmen Lebenswandels zutiefst unglücklich, weswegen sie erst für eine Affäre empfänglich ist, welche, getreu den Tolstoi’schen Grundmustern tragisch endet. So viel dürfte (oder müsste) eigentlich jedem bekannt sein! Insgesamt hat man sich handlungsbezogen stark an die literarische Vorlage gehalten, was meines Erachtens immer den besten Weg darstellt. In meinen Augen wird somit ein beeindruckendes und historisch genaues Gesellschaftspanorama inszeniert, das gerade wegen seiner Gestaltung unterhaltsam und nachvollziehbar zugleich anmutet. Der Zusammenprall von Aristokratie und Bürgertum wurde, im Gegensatz zu den vorherigen Versionen, besonders stark und kontrastreich hervorgehoben. Das Konzept, das in anderen bühnengerechten Werken meistens nur im Ansatz angedeutet wurde, hält Joe Wright nämlich während der gesamten Laufzeit durch. Man fühlt sich fortwährend so, als säße man in einer klassischen Theaterinszenierung. Szenenübergänge werden mithilfe des Abbaus von Requisiten dargestellt und die meisten Kulissen wirken exakt wie eine Schauspielbühne. In den Zusammenhang passt gerade dies meiner Meinung nach äußerst gut, denn vor allem die theatralischen Elemente können als Symbol gesehen werden, und zwar für das typische Paradoxon von dramatischen Stücken, welche sich stets zwischen Künstlichkeit und Realität hin- und herbewegen. Dass dieser inszenatorische und dennoch moderne Einfall jedoch sehr stark polarisieren dürfte, überrascht mich jedoch nicht. Alle Handlungsstränge einzubauen, wäre ohnehin kaum möglich gewesen, schließlich hat das Buch unglaubliche 1200 (!) Seiten, sodass Kürzungen legitim und notwendig geworden sind.
Die Aufführung lässt, zumindest in Bezug auf Gestaltungsmittel, absolut keine Wünsche offen! Die oscarnominierten Kostüme sowie die Szenerien sind wunderschön und von liebevoller, aufwendiger, exakter, dennoch zeittypischer Machart, hinzu kommt eine berauschende Kameraarbeit, vor allem während der Ballsequenzen. Auch die ungemein abwechslungsreiche, musikalische Untermalung, für die erneut der italienische Meister Dario Marianelli verantwortlich war, zieht einen sofort in ihren Bann und ist in meinen Augen heute vollkommen zu Recht für einen Oscar vorgeschlagen worden.
Die Performance von Keira Knightley ist, um es kurz zu machen, deutlich besser als erwartet. Sie spielt für meine Begriffe souverän und sogar mit einem gewissen Abwechslungsreichtum, dennoch fehlt es ihr einfach an der Intensität ihrer Vorgängerinnen, innerste Gefühle für den Zuschauer uneingeschränkt sichtbar zu machen, sodass man vollends und durchgängig davon berührt werden kann. An einigen Stellen fühlte ich mit ihr, an anderen wiederum weniger. Insgesamt jedoch muss sie sich ihrer Darstellung aber keinesfalls schämen, vor allem in den so ereignisreichen, letzten dreißig Minuten überzeugte sie und zeigte die beste darstellerische Leistung ihrer Karriere. Des Weiteren wurde der Rest des Ensembles mit erfrischenden, jungen, wenn auch allesamt nicht überragenden Darstellern besetzt… Ganz besonders gefiel mir aber ein weiteres Mal Jude Law in der Rolle des geprellten Ehemannes, welcher oft genug bewiesen hat, dass er ein breites Spektrum an Facetten beherrscht,
Insgesamt gibt es lediglich Kleinigkeiten zu bemängeln. Von meiner Seite aus hätte das Herzschmerzmotiv und die Bedeutung des Ehebruchs innerhalb der adligen Gesellschaft noch etwas stärker hervorgestellt und die Dialoge etwas verdichtet werden sollen, doch ansonsten bin ich zufrieden und halte alle vier Oscarnennungen für absolut gerechtfertigt! Für Liebhaber opulenter, dramatischer und historischer Literaturverfilmungen (wie mich) ist „Anna Karenina“ mit Sicherheit ohnehin empfehlenswert!