Knapp über eine Woche ist es jetzt her, dass die Academy die Nominierungen für die diesjährige Oscar-Verleihung bekannt gegeben hat. Es gab einige Überraschungen und einige Ungerechtigkeiten – über beides kann man tagelang diskutieren. Ich wollte mich jetzt aber mal den Tatsachen und den 8 Filmen widmen, die in der Königskategorie für den besten Film nominiert wurden. Welcher Film ist aus meiner Sicht der beste – welcher der schwächste?
Wer hat’s nicht geschafft?
Bevor ich mich allerdings diesem Ranking widme, will ich trotzdem noch einmal kurz lamentieren und drei meiner Favoriten aufzeigen, die es nicht ins finale Line-Up geschafft haben. Auch wenn wir alle wissen, dass auf dem 9. Platz FOXCATCHER gewesen sein dürfte, so gehört dieser bei mir jedoch nicht dazu. Zwei meiner Favoriten dürften trotzdem nur sehr knapp an einer Nominierung vorbei geschrammt sein, während Nummer drei in der ganzen Awards-Season leider gar keine Rolle gespielt hat.
NIGHTCRAWLER | Wertung: 7,5 /10
Jake Gyllenhaal in der Rolle seines Lebens als psychopathischer Kameramann, der für die sensationsgeilen Nachrichtenstationen gewaltsame Bilder liefert, welche die Quoten nach oben treiben sollen. Hochspannend und eiskalt in Szene gesetzt, gesellschaftskritisch und ein grandioser Hauptdarsteller. Das Regiedebüt von Dan Gilroy erinnert an Klassiker wie TAXI DRIVER und ist in jedem Fall einer der besten Filme des Jahres. Eine ausführlichere Meinung zum Film gibt’s in meinen Kurzkritiken von Nov/Dez 2014!
GONE GIRL | Wertung: 8 /10
David Fincher gehört für mich zu den besten Filmemachern unserer Zeit. Sein neuer Thriller ist in puncto Regieführung, Kamera, Schnitt und Musik nicht nur wieder mal ein technischer Leckerbissen – auch die clever erzählte Story mit diversen Wendungen und tollen Darstellungen von Ben Affleck und Rosamund Pike, ziehen den Zuschauer in ihren Bann. Pefektes Thriller Kino! Eine ausführliche Kritik von Johannes zu GONE GIRL gibt’s hier!
ENEMY | Wertung: 8 /10
Dieser kleine Film von Denis Villeneuve (PRISONERS) ist leider im vergangenen Jahr etwas unter gegangen. Trotzdem liefert Jake Gyllenhaal hier eine weitere Hammerperformance ab, in der er gleich doppelt zeigen kann, was für ein vielschichtiger Schauspieler er ist. Der Film dürfte auf jeden Fall zu speziell für die Geschmäcker der Academy gewesen sein – David Lynch Fans werden bei diesem labyrinthischen Mindfuck-Thriller trotzdem auf ihre Kosten kommen. Eine längere Meinung zum Film gibt’s in meinen Kurzkritiken Mai/Juni 2014.
Platz 8: AMERICAN SNIPER | 3/10
Nach einer Reihe eher mäßigen Werken kehrt Clint Eastwood mit AMERICANSNIPER zu den Oscars zurück. Zu unrecht, wie viele hier im Forum finden. Dem stimme ich zu, auch wenn ich das Werk nicht komplett verteufeln will. Der Film hat teils gute Ansätze und besonders die Kriegsschauplätze hat Eastwood gut in Szene gesetzt (was er sich offensichtlich bei Kathryn Bigelow abgeschaut hat). Handlungsstränge in der Heimat sind auf der anderen Seite jedoch voll von Pathos und schlampiger Regieführung. Der Spannungsbogen im Drehbuch funktioniert überhaupt nicht und hätte grade am Ende noch einen Höhepunkt vertragen können. Den lässt der alte Clint dann aber leider einfach aus. Somit dominiert in weiten Strecken die Langeweile. Bradley Cooper spielt seine Rolle zwar gut – im Best Actor-Lineup hat er dieses Jahr allerdings überhaupt nichts verloren.
Das allergrößte Problem – und das ist der Knackpunkt – habe ich allerdings mit der Hauptfigur: Zum einen kaufe ich dem Film die Charakterisierung von Chris Kyle nicht ab, denn ich habe zahlreiche Zeugenberichte und Interviews gelesen, in denen der „Held“ sich selbst weitaus rassistischer und dümmer darstellte, als er hier gezeichnet wird. Mir ist so, als habe man nur die „guten“ Seiten von Kyle einfließen lassen und alles Negative ausgespart, um ihn für die Zuschauer als amerikanischen Helden ohne Makel zu idealisieren. Das war der Kerl jedoch ganz sicher nicht. Auf der anderen Seite ist mir die Erzählung zu schwarz-weiß-malerisch und die fragwürdigen Gründe, weshalb dieser Krieg in erster Linie überhaupt stattgefunden hat, werden gar nicht durchleuchtet. Das ist zu flach und unkritisch für die heutige Zeit. Der Film verkommt dadurch für mich somit hauptsächlich zu einem militärischen Propaganda-Film, anstatt zu einem Charakterdrama. Der echte Kyle, der öffentlich sein Bedauern darüber bekundete, dass er nicht noch mehr Irakis töten konnte, wirkt auf mich eher wie ein Dorftrottel als ein wahrer Held. Unreflektierter Ami- Patriotismus „at it’s best“. Denen scheint es ja aber wieder zu gefallen, wenn man sich die Einspielergebnisse so ansieht! Amerika, Amerika über allen!
Anmerkung: Seth Rogen twitterte diese Woche, dass der Film ihn an eine bestimmte Szene aus INGLOURIOUS BASTERDS erinnere und erntete für diesen Nazi-Propaganda-Vergleich harsche Kritik. Gemeint war der Film STOLZ DER NATION, in dem Daniel Brühl als Scharfschütze Frederick Zoller agiert. Jetzt schaut euch doch mal an, unter welchem Filmtitel AMERICAN SNIPER gestern bei IMDB in der Auflistung der Producer Guild Awards zu sehen war. Ich habe mich schlapp gelacht.
Platz 7: THE THEORY OF EVERYTHING | 6,5/10
Eigentlich war ich nicht besonders heiß auf diesen Film: Ich muss mir nach der Sichtung aber immerhin eingestehen, dass Eddie Redmaynes Leistung grandios ist. Das Schicksal ist selbstverständlich beispiellos: Ein Mann, der zwar im eigenen Körper gefangen ist, schafft es die Astrophysik zu revolutionieren. Es ist am Ende natürlich auch eine dankbare Rolle für die Oscar-Season, aber beim Versuch diesen Part zu spielen, kann man schnell ins Lächerliche oder klischeehafte abdriften. Redmayne gelingt aber das Kunststück, seine Figur nicht nur als leidendes Wesen zu zeichnen, sondern schafft durch sein Spiel auch die Balance zum Optimismus und zur Ironie. Felicity Jones als Ehefrau Jane ist ebenfalls äußerst sehenswert und ihr Schicksal nicht weniger ergreifend – schließlich widmet sie ihr ganzes Leben für die Liebe und opfert sämtliche Bedürfnisse, was sie immer wieder an ihre eigenen Grenzen stoßen lässt.
Der Film selbst ist gut gemacht und hat vor allem visuell ein paar tolle Einfälle. Ich finde es auch gut, dass der Fokus auf den Schwierigkeiten liegt, die diese Krankheit auf die Liebe des Paares ausübt. Teilweise versucht der Film mir aber auch zu sehr als Oscar-Schinken zu fungieren. Grade der ganze Anfang ist meiner Meinung nach zu kitschig geraten, was sich im Laufe des Films aber zum Glück ändert. Ich fühlte mich oft an A BEAUTIFUL MIND erinnert, den ich dann ehrlich gesagt inhaltlich noch um einiges besser fand. Aber dafür, dass ich im Vorfeld von diesem Film nicht viel erwartet hatte, da die Thematik und das ganze drum herum eigentlich nicht mein „cup of tea“ sind, hat er mich teils doch noch positiv überraschen können. Eine ausführliche Kritik von Stefan zum Film findet ihr hier.
SELMA ist für mich insofern ein bedeutender Film, da er ein wichtiges Kapitel der schwarzen Geschichte in Amerika wiedergibt, das viele Leute in diesem Land heutzutage vielleicht gar nicht mehr so auf dem Schirm haben und grade jetzt wieder an aktueller Brisanz gewinnt. Absolutes Highlight ist zudem das intensive Spiel von David Oyelowo, der in diesem Jahr leider aufgrund des Blutbades in der Best Actor-Kategorie keinen Platz mehr bekommen hatte. Was dem Drehbuch positiv anzumerken ist, sind die scheinbar akribisch genau recherchierten Ereignisse, die hier wiedergegeben werden – auch wenn die Darstellung von President Johnson als nicht akkurat kritisiert wurde. Richtig gut waren auch die Kombination von Ava DuVernays Regieführung mit den Bildern des bislang eher unbekannten Kameramanns Bradford Young, der einen ähnlich breit angelegten Stil wie Roger Deakins an den Tag legt. Von ihm werden wir hoffentlich noch einiges hören bzw. sehen.
Streckenweise kann der Film aber seine aufgebaute Spannung nicht ganz aufrecht erhalten und eine Straffung der Geschichte hätte hier und da vielleicht ganz gut getan. Auch verfällt das Werk leider hin und wieder in teils kitschige Sequenzen, die unter anderem mit dem Titelsong noch unterstützt werden. Eine etwas kühlere und noch härtere Inszenierung und eine subtilere Musikauswahl hätten dem Film auf jeden Fall noch mehr Feinschliff gegeben, um sich von anderen Filmen seiner Gattung abzuheben. Ein bisschen mehr Doku und weniger „Glory“ wäre besser gewesen.
Auch wenn ich es mir zuvor anders erhofft hatte, so wurde ich mit BIRDMAN irgendwie nicht so richtig warm. Technisch ist das Werk natürlich eine Wucht: Den ganzen Film durch die großartige Kamera und den Schnitt so aussehen zulassen, als wäre er in einer einzigen Plansequenz gedreht worden, ist nicht nur ein rein optisches Highlight, sondern steht auch metaphorisch für den Aufführungsprozess eines Theaterstücks, was verbunden mit der Geschichte mehr als Sinn macht. Die Schauspieler sind durch die Bank weg genial, allen voran Michael Keaton, der in seiner Rolle nicht nur ein grandioses Comeback hinlegt, sondern auch seine eigene Karriere auf die Schippe nimmt. Es gibt außerdem tolle Nebendarstellungen von Edward Norton, Emma Stone und vor allem Zach Galifianakis sowie einen grandiosen Drum-Score, der perfekt zum gezeigten Geschehen passt.
Was mich allerdings etwas langweilte, war die Geschichte selbst. Auch wenn der Film von hitzigen Dialogen lebt, so war die Erzählung um den Ex-Hollywood-Star, der seine Karriere am Broadway reanimieren will, teils sehr ermüdend, berechenbar und schaltete auch hin und wieder für mich in den Leerlauf. Mir fehlten Überraschungen in der Story – das Ende war leider irgendwie vorhersehbar. Eine ausführliche Kritik von Johannes gibt’s hier.
Platz 4: THE IMITATION GAME | 7/10
THE IMITATION GAME war ein Film, der mich eigentlich überhaupt nicht interessierte – machte der Film doch vorab den selben Eindruck wie THE THEORY OF EVERYTHING, dass er einzig und allein dafür produziert wurde, um auf Oscar-Nominierungen abzuzielen. Im Nachhinein war ich doch positiv überrascht: Im Film versucht der Mathematiker Alan Turing (Benedict Cumberbatch) während des zweiten Weltkriegs die Kodierungsmaschine Enigma zu knacken. Was niemand weiß: Alan Turing ist homosexuell – ein Umstand, der im damaligen England unter Strafe stand.
Die Mischung aus spannender Zeitgeschichte und einfühlsamer Charakterstudie funktioniert ausgesprochen gut und wird vor allem durch zwei weitere parallel erzählte Handlungen in der Zukunft und in der Vergangenheit positiv bereichert. Durch die wechselnden Zeitsprünge kommt nie Langeweile auf und das dramatische Thema wird zusätzlich mit zahlreichen humoristischen Momenten angereichert. Das Drehbuch ist tatsächlich die Stärke des Films und wahrscheinlich doch der größte Gegner für WHIPLASH in der Adapted Screenplay-Kategorie. Die 8 Oscarnominierungen sind insgesamt trotzdem etwas überzogen und Cumberbatch sehe ich auf jeden Fall hinter Gyllenhaal und Oyelowo. Letztendlich ist mit der Produktion aber ein sehr guter Film über einen wirklichen Kriegshelden (hust…Clint Eastwood…hust) entstanden.
Platz 3: THE GRAND BUDAPEST HOTEL | 7,5/10
Wes Andersons jüngstes Werk ist im Kern wahrscheinlich besser als manche denken. Auch ich habe das erst bei einer zweiten Sichtung bemerkt (Ich fand ihn beim ersten mal lediglich ganz witzig). Obwohl ich seinen Humor sehr mag, so ging mir Andersons ewig gleiche Art zu inszenieren inzwischen ein wenig auf die Ketten . THE GRAND BUDAPEST HOTEL ist allerdings fast eine Parodie seiner bisherigen Filme, da er seinen Humor und Inszenierungsstil hier nochmals auf die Spitze treibt. Der Plot hat Tempo, jede Menge Witz und zahlreiche grandiose visuelle Einfälle, die einem bei der ersten Sichtung nicht gleich auffallen werden. Visuelle Comedy ist leider sehr rar geworden – umso mehr freue ich mich über diesen Film, denn fast jede Einstellung glänzt durch subtilen Humor! Dazu ein grandioser Cast bei dem sich Hollywoods A-Liste die Klinke in die Hand gibt. Was mir auch erst bei der zweiten Sichtung bewusst wurde, ist das unglaublich pointierte Spiel von Ralph Fiennes. Vor allem in der Originalfassung kommt sein komödiantisches Talent perfekt zur Geltung. Wirklich schade, dass die Best Actor-Kategorie in diesem Jahr so vollgestopft war. Ich muss aber zugeben, dass der Film alle 9 Nominierungen in den Kategorien, in denen er auch vertreten ist, verdient hat.
Richard Linklaters Langzeitprojekt ist ein beispielloser Film, der das Herz am rechten Fleck trägt und für den der Regisseur in diesem Jahr auch mit dem Oscar ausgezeichnet werden sollte. Obwohl in den fast 3 Stunden keine gradlinige Story erzählt wird, fesselt der Film in jedem Augenblick, da der Zuschauer nicht nur hautnah Zeuge wird, wie ein Kind heran wächst, sondern sich auch mit vielen Stationen seines Lebens identifizieren kann. Eine ausführlichere Rezension von mir findet ihr in meinen Kurzkritiken Mai/Juni 2014.
Wie inzwischen wahrscheinlich allseits bekannt sein dürfte, bin ich ein großer Befürworter dieses kleinen Meisterwerks. Ein hochspannendes Drehbuch mit zwei grandiosen Hauptdarstellern, die sich ein furioses Psycho-Duell liefern. Diese kleine Indie-Perle ist perfekt inszeniert, technisch in Sachen Kamera, Schnitt und Sound auf aller höchstem Niveau und final abgerundet mit einem eindringlichen Jazz-Soundtrack. Für mich mit Abstand der beste Film des Jahres, der im Laufe der Zeit durchaus meinen Olymp der 10/10-Wertungen aufsteigen könnte. Eine ausführlichere Beweihräucherung von mir zu diesem Meisterwerk gibt’s in meinen Kurzkritiken vom Januar 2015.
Spannend ist es natürlich auch zu sehen, wie die 8 Nominierten Filme aktuell auf IMDB im Ranking stehen. (Stand 23.01.2015) Überraschenderweise gar nicht mal so schlecht – aber seht selbst:
1. WHIPLASH – 8,7 | IMDB Top 250: #39
2. BIRDMAN – 8,4 | IMDB Top 250: #112
3. BOYHOOD – 8,3 | IMDB Top 250: #121
4. THE GRAND BUDAPEST HOTEL – 8,1 | IMDB Top 250: #185
5. THE IMITATION GAME 8,2 | IMDB Top 250: #200
6. THE THEORY OF EVERYTHING – 7,8
7. AMERICAN SNIPER 7,7 / SELMA – 7,7
Jetzt bin ich auf eure Rankings gespannt! Welcher Film der 8 Nominierten hat euch am besten gefallen? Welches Werk hat eurer Meinung nach nichts in der Liste verloren? Welche drei Filme hätten auf der Liste stehen sollen? Und für welche Aussagen würdet ihr mich dieses Mal am liebsten köpfen? 😉