Im Rahmen der schillernden Venezianischen Filmfestspiele vor ausgewähltem Publikum uraufgeführt, kristallisierte sich überaus schnell heraus, dass es sich im Falle des mit Horrorelementen ausgestatteten Psychothrillers „mother!“ um eine gewagte Filmproduktion handelt, die sowohl mit vereinzelten Stehenden Ovationen gewürdigt als auch mit Buhrufen gebrandmarkt wurde und demzufolge zum Kreis der Werke der diesjährigen Saison avancieren dürfte, an dem sich die Geister am stärksten scheiden dürften… Mit „Noah“ wagte sich der meinerseits aufgrund von „Black Swan“ hochgeschätzte Darren Aronofsky vor drei Jahren an einen klassischen Bibelmythos und scheint offensichtlich neben der Ausformung psychotischer Stoffe ein Faible für religiöse Sujets entwickelt zu haben. Dennoch würde es einer unangemessenen Verunglimpfung gleichkommen, „mother!“ lediglich als überfrachteten Pseudo-Biblizismus abzutun, da überdies auch andere, dunkle Wege beschritten worden sind. Aronofsky jedenfalls beweist mit seiner inzwischen siebenten Regierführung vor allem, dass er als Filmschaffender zutiefst unberechenbar ist, ihm allerdings keinesfalls mangelnde Konsequenz vorzuwerfen ist. Dieses Faktum wiederum bildet die maßgebliche Ursache dafür, dass die Genremischung vielen Zuschauern schlaflose Nächte bereiten dürfte und auch auf persönlicher Ebene zu den bisher verstörendsten Kinosichtungen überhaupt gezählt werden kann.
Eingebettet in das eigentlich idyllisch anmutende Setting rund um ein namensloses Ehepaar, welches ein abgelegenes, renovierungsbedürftiges Landhaus im viktorianischen Stil bewohnt und abrupten Besuch von einem völlig unbekannten Paar erhält, mutet bereits die Eingangssequenz von subtiler Bedrohlichkeit durchzogen an. Häufig stellt die gattungsspezifische Metaphorik schmückendes Beiwerk dar und ordnet sich dem Inhalt konsequent unter, im konkreten Falle jedoch war die Struktur interessanter Weise komplett spiegelverkehrt ausgerichtet, sodass man sich mehrfach selbst fragen musste: „Was zur Hölle passiert hier gerade?“ Sobald man allerdings erst einmal den Schritt gegangen ist, sich von jeder Art von buchstäblicher Logik zu verabschieden, wird einem schrittweise ein regelrechter, alptraumartiger und atemlos spannender Rausch an tiefgreifenden Symbolismen offeriert. Die Allegorien sind dabei mitnichten nur alt- und neutestamentarischer Natur, sondern entfalten auch psychologische und im Hinblick auf das abschließende Drittel hochmoderne, ja sogar tagespolitische Lesarten. Speziell das Momentum des zunehmenden demografischen Umbruchs mit all seinen massiven Auswirkungen – Bevölkerungsexplosion, Klimawandel, kumulierende Maßlosigkeit, zunehmender Undank und Egoismus und daraus resultierend anarchistische Zustände – setzt die Synapsen regelrecht unter Strom und würde genügend Ansätze für ganze Vorlesungsreihen bieten. Nach einer kurzen Phase familiären Innehaltens in direkter Mitte gipfelt das Gebotene schließlich in ein exzessives, in vielen Belangen absurdes Finale, welches definitiv geschmackliche Grenzen mit dem Vorschlaghammer einreißt und für Zartbesaitete keinesfalls zu empfehlen ist, weswegen auch die FSK-Freigabe ab 16 Jahren grenzwertig wirkt. Insbesondere an besagter Stelle hätte es durchaus nicht geschadet, manche Elemente nur anzudeuten, statt den Observierenden schonungslos um die Ohren zu dreschen. Was darüber hinaus exegetische Bezüge meines Erachtens auszeichnet, war und ist stets das sprichwörtliche „Prinzip Hoffnung“, doch genau daran mangelt es speziell dem kaum steigerungsfähigen Katastrophenszenario, abgesehen von einem Hauch Zuversicht, der erst in der letzten Filmminute zutage treten darf. Aronofsky vertraute die Kreierung der visuellen Sphäre erneut in Gestalt von Libatique und Weisblum zwei seiner Stammmitarbeiter an, die wie bereits in „Black Swan“ das Maximum ihres Könnens unter Beweis stellen durften. Insbesondere die hautnahe Kameraarbeit und der bewusst sparsam gehaltene Schnitt greifen wie Zahnräder ineinander und erschaffen eine bildgewaltige, verworrene Atmosphäre von grenzenlosem Schauder, der man sich schlichtweg nicht entziehen kann. Bemerkenswert ist außerdem, dass die ursprünglich vorgesehenen Kompositionen des Isländers Jóhannsson keine Verwendung fanden, sodass das Werk schlussendlich ohne ein einziges, zusammenhängendes Klangarrangement auskommt – und das auch erstaunlich gut.
Bei bisher insgesamt vierzehn (!) auf die vier Hauptprotagonisten entfallenden Oscarnominierungen durfte man mit Recht mehr als nur einen Hauch an darstellerischer Raffinesse erwarten. Trotz der Anonymität der Figuren haftet das Interesse stets an der weiblichen Hauptdarstellerin und gewissermaßen trägt die Schaffung von Identifikationsflächen zu einer Bestrafung der eigenen Psyche bei. Besondere Befriedigung verschaffte nämlich die (unerwartet) intensive One-Woman-Show von Jennifer Lawrence, die meines Erachtens als ihre wertvollste Darbietung seit „Winter’s Bone“ zu identifizieren ist und einer Oscarnominierung mehr als würdig wäre, dennoch spricht der bisherige Konservatismus der Academy dafür, dass sie ausgerechnet für ihre unglaublich herausfordernde Glanzleistung außen vor bleiben wird. Dessen völlig ungeachtet ist es ihr gelungen, das physische und psychische Martyrium einer Frau, deren Höchstpersönlichkeit entrissen wird und die den ganzen Schmerz der Gesellschaft förmlich herausschreit, gleichermaßen herausragend erlebbar werden zu lassen. Weiterhin begeisterte auch die nach langer Abstinenz zurückkehrende Michelle Pfeiffer mit einer präsenten, herrlich verruchten und unvergleichlichen Performance auf ganzer Linie in einer Rolle, welche symbolistisch praktisch alle Todsünden vereint. Hinzu kam das ebenfalls überzeugende Agieren von Javier Bardem und Ed Harris, die trotz unabsprechbarer Präsenz jedoch von den beiden Damen wiederholt an die Wand gespielt wurden.
In Summe gestaltete sich die punktuelle Bewertung eines Kinofilms niemals zuvor derart kompliziert wie in diesem Falle und eine zweite Inaugenscheinnahme erscheint daher als dringend notwendig. Ähnlich polarisierende Publikumsreaktionen haben seinerzeit wahrscheinlich nur Werke wie Kubricks „Uhrwerk Orange“ evoziert, der ebenfalls genau dann zum fesselnden, einschneidenden und surrealen Erlebnis zu mutieren imstande ist, wenn kein Wahrheitsanspruch erhoben wird oder aber falsche Erwartungen bestanden haben. Besonders in darstellerischer und handwerklicher Dimension kann man den Beteiligten jedenfalls absolut nichts vorwerfen, bezüglich des Drehbuchs wäre „weniger“ aber zweifelsohne deutlich „mehr“ gewesen. Für all jene, die den puren Nervenkitzel auf großer Leinwand schätzen, hält „mother!“ somit eine unerbittliche, brutale Odyssee bereit, ist andererseits jedoch schlichtweg zu anspruchsvoll, umgekehrt jedoch dürften Avantgarde-Liebhaber die mannigfachen Lesarten preisen, dabei allerdings wegen der Rohheit des Schlussakts vor den Kopf gestoßen werden. Es käme deswegen beinahe einer Sensation gleich, wenn der Zweistünder in mehr als ein oder zwei Kategorien awardbezogene Berücksichtigung finden würde, gerade weil andere Produktionen fernab aller Konventionen diese Hürde nicht erklimmen konnten, dennoch wirkt Aronofskys in absolut jeder Hinischt düstere, eigene Parabel ungewöhnlich lange nach und unterscheidet sich vielleicht genau deswegen von üblicher Spartenkost…