Spencer

© Neon

Uraufgeführt im Rahmen der letztjährigen Filmfestspiele von Venedig, schuf der Chilene Pablo Larraín in Gestalt von „Spencer“ bereits seine zweite Filmbiografie über eine Würdenträgerin der neueren Geschichte. Das Endergebnis, das hierzulande seit 13. Januar bewundert werden darf, kann sich absolut sehen lassen und überzeugt weniger als historische Chronik, sondern viel mehr als dichte, psychologische Studie über ein in Mitleidenschaft gezogenes, fremdbestimmtes und isoliertes Individuum inmitten des Goldenen Käfigs der Windsors.

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Zugegeben: Die Personalie Lady Di ist vielfach von verklärender Überheroisierung geprägt, welche untrennbar mit ihrer Selbstinszenierung als Opfer zusammenhängt. Dennoch ist es gelungen, ein intimes Porträt zu schaffen, das selbst Kritiker der selbsternannten „Königin der Herzen“ fesseln dürfte und Hintergründe nachvollziehbarer werden lässt. Dies liegt vor allem an dem engen, narrativen Fokus auf das Weihnachtsfest des Jahres 1991, als die Verbindung von Charles und Diana längst in Trümmern lag. Als besonders ansprechend mutet die wiederholte, symbolische Parallelziehung zu Anne Boelyn an, deren Leben Jahrhunderte zuvor ebenfalls tragisch endete. Die Macher bedienen sich fortwährend Thriller-artigen Gestaltungselementen und insbesondere das wohlüberlegte, audiovisuelle Zusammenspiel bildet eine elegante Einheit, weswegen es kaum ins Gewicht fällt, dass phasenweise kein einziges Wort gesprochen wird. Neben weitschweifigen Kameraperspektiven ist es vor allem eine absolut geniale Musikgestaltung, die sich schnell ins Gedächtnis einnistet. Dass „Spencer“ inszenatorisch unverkennbar auf den Pfaden von Larraíns Vorgängerfilm „Jackie – Die First Lady“ wandelt, stellt zugleich den größten Kritikpunkt dar, denn bezüglich des Grundkonzepts sind die beiden Filme sich schlicht und ergreifend zu ähnlich, sodass etwas mehr Risikobereitschaft nicht geschadet hätte. Zudem wird den übrigen Royals kaum Raum zur Entfaltung zugestanden. Dennoch überrascht vor allem Kristen Stewart, die vor einiger Zeit noch als „Frau der zwei Gesichtsausdrücke“ und verlacht und insgesamt drei Mal für die „Goldene Himbeere“ vorgeschlagen wurde, in der Titelrolle positiv und verkörpert Diana unerwartet facettenreich, fragil und mit Makeln behaftet. Sie in Nahaufnahmen dabei zu beobachten, wie sie vor dem starren Hofzeremoniell resigniert, flucht, sich selbst verletzt und über der Toilettenschüssel hängt, ist mitunter nur schwer ertragbar. Vieles spricht dafür, dass sie in zwei Wochen über ihre allererste Oscarnominierung als „Beste Hauptdarstellerin“ jubeln darf. In Nebenrollen überzeugen vor allem Timothy Spall und Sally Hawkins.

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Trotz anfänglicher Skepsis und kleinerer Schwächen ist „Spencer“ damit ein eigenwilliges Biopic mit Daseinsberechtigung über die gravierenden Folgen einer arrangierten, lieblosen Ehe, das die oft gesehene Schwarzweißmalerei gekonnt umschifft. Speziell das metaphorische Finale wühlt den Zuschauer auf und dürfte überdies nicht nur William und Harry ein Tränchen entlocken.

UK / USA / D / CL 2021 – 117 Minuten
Regie: Pablo Larraín
Genre: Biopic / Drama / Historienfilm
Darsteller: Kristen Stewart, Jack Farthing, Richard Sammel, Amy Manson, Sally Hawkins, Sean Harris, Timothy Spall, Michael Epp, Ryan Wichert, John Keogh, Olga Hellsing
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